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Menschenrechte in der LieferketteNoch weiter abgesägt

Der Rechtsausschuss des EU-Parlaments hat massiven Abschwächungen der Lieferkettenrichtlinie zugestimmt – sie soll nur noch für wenige Firmen gelten.

Die Baumwollbauern von Agrocel im Dorf Kodesu, Indien, werden fair behandelt Foto: Joerg Boethling/imago

Berlin taz | Das sei „Erpressung“, sagten Menschenrechtsorganisationen und EU-Parlamentarier, als der Chefverhandler der Konservativen EVP Jörgen Warborn androhte, mit den Ultrarechten abzustimmen, wenn Mitte-links Po­li­ti­ke­r*in­nen nicht Abstriche beim europäischen Lieferkettengesetz hinnähmen.

Am Montagabend haben Sozialdemokraten und Liberale nun gemeinsam mit der EVP den Kompromiss angenommen, um weitere Abschwächungen des Lieferkettengesetzes zu verhindern. Die Grünen lehnten ihn ab. Schon vor der Abstimmung hatte Anna Cavazzini, die handelspolitische Sprecherin der Grünen im Europaparlament, beklagt: „Wir hätten zusammen mit den Sozialdemokraten am Ende noch Verbesserungen erreichen können, hätten sie dem Druck standgehalten.“ Das Endergebnis sei eine tiefgreifende Schwächung des ursprünglichen Gesetzes.

Dieses soll Unternehmen dazu verpflichten, Menschenrechtsverletzungen in ihrer Lieferkette – die mittlerweile so definiert ist, dass sie nur noch bis zum ersten Zulieferer reicht – zu verhindern und auf Umweltstandards zu achten. In der neuesten Fassung gelten die Regeln nur noch für Unternehmen mit mindestens 5.000 Mitarbeitenden und 1,5 Milliarden Euro Jahresumsatz. Damit wären nur noch etwa 10 Prozent der einstigen Firmen betroffen. Die Bundesregierung spricht von 150 Unternehmen in Deutschland.

Zudem wird die zivile Haftung gestrichen. Sie hätte es Betroffenen von Menschenrechtsverletzung ermöglicht, Unternehmen auf Schadenersatz zu verklagen, wenn sie nachweisen können, dass diese nicht im Rahmen ihrer Möglichkeiten versucht haben, Missstände zu beheben.

Initiative Lieferkettengesetz entsetzt

Sofie Kreusch von dem zivilgesellschaftlichen Bündnis Initiative Lieferkettengesetz schrieb, sie sei „entsetzt über die geplanten massiven Eingriffe in Menschen- und Arbeitsrechte weltweit – und ebenso darüber, auf welch beschämende Art und Weise diese Einigung zustande kam“.

„Erst kürzlich haben sich europäische Führungsetagen mehrheitlich für ambitionierte Berichtspflichten ausgesprochen – unter anderem, weil sie sich dadurch Wettbewerbsvorteile erwarten. Diese Vorteile sind jetzt Geschichte“, erklärte Katharina Reuter, Geschäftsführerin des Bundesverbands Nachhaltige Wirtschaft (BNW). Der Kompromiss bringe keine gemeinsamen Standards, keine Resilienz des Binnenmarkts und keine Stärkung der europäischen Zulieferindustrie. Stattdessen sei er ein „Flickenteppich ohne Lenkungswirkung“.

Tobias Wollermann, der bei der Otto Group für Unternehmensverantwortung zuständig ist, sagte: „Europäische Unternehmen und Kon­su­men­t:in­nen wollen transparente Lieferketten, faire Arbeitsbedingungen für alle und nachhaltige Produkte. Deshalb ist es wichtig, dass die Gesetzgebung harmonisiert wird und einheitliche Berichtsstandards auch für Unternehmen aus Drittstaaten gelten.“

Die Entscheidung gilt als richtungsweisend für die Abstimmung im Parlament. Danach müssen noch die Mitgliedstaaten im Rat und die EU-Kommission zustimmen. Die zivile Organisation Germanwatch und die Initiative Lieferkettengesetz appellieren nun an die Bundesregierung, insbesondere die SPD, sich für substanzielle Nachbesserungen in Brüssel einzusetzen.

Während Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) wiederholt die Abschaffung der Regeln gefordert hatte, hielt Vizekanzler Lars Klingebeil (SPD) bislang daran fest.

Die europäische Lieferkettenrichtlinie wurde schon einmal kurz vor Abschluss auf Druck des damaligen FDP-Finanzministers Christian Lindner stark abgeschwächt. Im Mai 2024 wurde sie dennoch beschlossen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) öffnete die Verhandlungen über den Text dann Anfang 2025 erneut, um Klagen der großen Wirtschaftsverbände über „Bürokratie“ entgegenzukommen.

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