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Menschenrechte in RusslandDie letzten Reste der Zivilisation

Kommentar von Barbara Oertel

Russlands älteste Menschenrechtsorganisation wird per richterlichem Urteil verboten. Die Vorwürfe sind an Absurdität nicht zu überbieten.

Der Anwalt und AktivistInnen der verbotenen Helsinki-Gruppe vor dem Moskauer Gericht am Mittwoch Foto: Evgenia Novozhenina/reuters

I mmerhin: Zumindest an der Heimatfront läuft es für Russlands Präsidenten Wladimir Putin und seine Entourage rund – vorgeblich. Per Gerichtsbeschluss wurde nun auch die Moskauer Helsinki-Gruppe zur Strecke gebracht, wobei der Exekutionsbefehl direkt aus dem Kreml gekommen sein dürfte. Dummerweise konnten die Behörden die Ak­ti­vis­t*in­nen in Ermangelung von Fremdfinanzierung aus dem Westen nicht als „ausländischen Agenten“ abstempeln.

Wohl auch deshalb waren die Vorwürfe, wie so oft, an Absurdität nicht zu überbieten: Die Gruppe soll ihren Aktionsradius nicht auf das Gebiet der russischen Hauptstadt beschränkt haben. Die Wahrheit ist wohl eher, dass sich die Betroffenen „zu allem Überfluss“ auch noch offen gegen den Ukraine-Krieg positionierten und ihrer Heimat beraubte Ukrai­ne­r*in­nen in Russland unterstützten. All das gilt seit dem 24. Februar 2022 als Staatsverrat.

Der Fall der ältesten Menschenrechtsorganisation des Landes zeigt, jedoch einmal mehr in besonders erschreckender Weise, wohin dieses Land mittlerweile gekommen ist. Die Gründung der jetzt getilgten Nichtregierungsorgaisation war eine Antwort auf die Schlussakte von Helsinki im Jahre 1975, die unter anderem die Unverletztlichkeit der Grenzen (!) sowie die Wahrung der Menschenrechte festschrieb.

Schon damals, zu Sowjetzeiten, zahlten die Men­schen­rechts­ver­tei­di­ge­r*in­nen für ihr Engagement mit langen Haftstrafen, Zwangspsychiatrisierung oder erzwungenem Exil. Dennoch waren und blieben Ost und West fortan im Gespräch. Nicht zuletzt ging es für die Sowjetunion auch darum, ihr Gesicht zu wahren. Und heute? Putin hat längst alle Masken fallen lassen. Noch die letzten Reste der Zivilgesellschaft auszumerzen und zum Schweigen zu bringen ist die Zielvorgabe.

Genauso Programm ist der Krieg, den Moskau nicht mehr nur gegen die Ukraine, sondern gegen den sogenannten kollektiven Westen führt. Dessen Ziel – so hämmern es die Chef­pro­pa­gan­dis­t*in­nen den Menschen im staatlichen Auftrag ein – sei kein geringeres, als Russland zu vernichten. Rationalen Erklärungsversuchen entzieht sich diese Paranoia schon länger. Und was die Zerstörung Russlands betrifft: Dazu braucht es den Westen wahrlich nicht. Das besorgt Putins Regime schon selbst. Fragt sich nur, wie viel Zeit er noch dazu benötigt.

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Ressortleiterin Ausland
Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.
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5 Kommentare

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  • Zweifellos: Ab Neolithikum Talfahrt !

  • Es wird scheinbar sehr sehr kalt in Russland.



    Die Stimme derer, die in Russland mit Menschenrechten im Blick friedliche und gewaltfreie Perspektiven und Lösungen formulieren, wird jetzt noch stärker unterdrückt.



    Das verlangt noch mehr Mut von den Menschen innerhalb Russlands, die sich für Frieden und gegen den Krieg der Putin-Treuen in der Ukraine einsetzen. Diese mutigen Menschen verdienen unseren größten Respekt und Solidarität, die wir, wie auch immer, in Taten umsetzen sollten.

    • 2G
      2422 (Profil gelöscht)
      @Nilsson Samuelsson:

      Mit Reden wie der unserer Außenministerin, dass wir gegen Russland Krieg führen, entlarvt sich unser angeblicher Respekt vor den mutigen Menschen innerhalb Russlands, die unseren größten Respekt verdienen, zur reinen Plattitüde. Wir fallen diesen Menschen damit direkt in den Rücken.

  • Das zeigt, dass Putins Ideologie bedeutet, Alles zu zerstören, nicht nur die Ukraine, auch die russische Bürgergesellschaft. Einstudiert hat er diese Art praktische Umsetzung seiner Ideologie bekanntlich in Tschetschnien: Erst vollkommen zerstört, dann neu aufgebaut: Soviel Leninismus steckt eben noch in ihm drin: Alles neu machen. Das Alte und Morsche muss weichen, hätte Kaiser Wilhelm gesagt, der neue Zar Wladimir der Verächtliche äfft ihn krampfhaft nach! Krankhaft.

    • @Uwe Kulick:

      Huch, da hab ich mich aber blamiert: "Das alte und Morsche" musste in einer ganze anderen Rede weichen und Kaiser Wilhelm selbst war mit dem Alten und Morschen gemeint vom Redner Scheidemann.

      Insofern sitzt im Kreml jetzt auch einer, der es verdient hätte, dass ihm jemand mit solcher Rede "dankt" für den Abgang, je früher je besser.

      Aber meine Kritik bleibt richtig: Putin geht mit eiskaltem "Alles-Kaputtmachen" vor, und wenn die Ukraine den Krieg verliert, würde er alles neu aufbauen und hoffen, dass die UkrainerInnen sich wie einst die Tschetschenen systemdienlich umkrempeln lassen a la Kadyrow und seinen Hilfstruppen für den neurussischen Imperialismus. Ein perfider Plan.