Politiker:innen die Nähe vorspielen: Bayrische Brotzeit-Politik
Politiker*innen schunkeln bei Konzerten und springen Trampolin, um sich zu inszenieren. Einer übertreibt besonders: Markus Söder.
C laudia Roth hat sich offenbart: Auch sie ist Swiftie. Beim Konzert in München ließ sie sich filmen, wie sie sich begeistert im pickepackevollen Olympiastadion Luft zufächert, am Handgelenk Freundschaftsbänder, wie man das eben macht als Taylor-Swift-Fan, schunkelnd, lachend. Sie fühlt die Musik. Diese gekonnte Inszenierung des Privaten kann Roth gerade gut brauchen. Denn Stress hat sie wegen einer geplanten Reform der Filmförderung mit der Filmbranche und wegen ungebetener Modernisierungsvorschläge für die Bayreuther Festspiele mit den Wagner-Fans.
Gut, dass sie jetzt die Swifties auf ihrer Seite hat. Das sind vermutlich eh mehr als die Wagnerianer*innen. Während Roth sich der Musik annimmt, um sich zu inszenieren, wählt Annalena Baerbock den Sport, zeigt sich beim TSV Bayer 04 in der Parasportabteilung springend auf dem Trampolin. Das hat sie früher auf Leistungssportniveau gemacht. Ganz schön flexibel unsere Außenministerin! Die kann sogar Salto! Solche Bilder wie die der beiden Grünen sind Gold für Politiker*innen, denn plötzlich sehen wir die Person, nicht mehr die Position.
Die privaten Handlungen, nicht mehr die politischen. Die Zuschauer*innen sollen den Menschen mögen lernen, damit sie seinen Namen beim Kreuzchensetzen dann auch wirklich wiedererkennen.
Aber einer übertreibt damit: Markus Söder. Der bayerische Ministerpräsident (CSU) ist der momentan beste Grund für Digital-Detox. Söder, ehemals bekannt für konservativ-populistische Politik (Kreuzerlass, will den subsidiären Schutz für Geflüchtete abschaffen), Faschingskostüme (Shrek, Moses) und einen Vize (involviert in eine Affäre um antisemitische Flugblätter), postet auf seinen Social-Media-Kanälen Essen. Richtig viel.
Döneressen mit Follower*innen
Auf Instagram allein in den letzten vier Tagen acht Mal. Sein liebstes Opfer ist der Döner. Der Peak: Er geht mit 40 Follower*innen Döner essen, die sich dafür bewerben konnten und dann ausgelost wurden. 500 weitere Fans bekommen einen Trostpreis: ein Shirt, das Söder am Dönerspieß zeigt. Dann lernt Söder nach Monaten der Döner-Lobhudelei auch noch den Satz „Döner macht schöner“. Irre, Markus!
Manche mag an diesen Social-Media-Auftritten vor allem stören, dass sie überdecken, welche Politik Söder und Co betreiben. Das eigentlich Schmerzhafte ist aber, dass Söder mit den Posts eine Verbindung herstellt zwischen Essen, also Emotionen und Erinnerungen, und Politik. „Infantilisierung“ nennt Spiegel-Journalistin Anna Clauß das Vereinfachen der Politikdarstellung für die Wähler*innen. Das trifft. Gleichzeitig ist es aber auch das Vermiesen von Kindheitserinnerungen. Denn Essen ist Familie, Freundschaft und auch Teil von diesem komischen Ding „Heimat“. Deswegen hat es Söder ja auch auf besonders identitätsbeladene Nahrung wie den Döner abgesehen und auch auf die bayerische Küche.
Stolz postet er auf Instagram die Brotzeit, die er „mit der Bergwacht geteilt“ hat, die er schon in den Posts davor für seine Selbstinszenierung als Held ausgenutzt hat: Wurst, Käse, Brezn, Radieschen. Das Brotzeitbrett ist fast schon ekelhaft voll. Lecker! Aber ich will beim Blick auf Brotzeit bitte nicht an Markus Söder denken, sondern an die Nachmittage mit meinem Dauercamper-Opa im Vorzelt in Oberbayern, nach unseren Waldwanderungen, bei denen wir Eichhörnchen gesucht und Hirsche gefunden haben.
Leberkäs soll nicht sein, wenn Söder zwischen Essens-Posts auf einer Insta-Kachel fordert, dass die Kontrollen an den deutschen Grenzen auch nach der EM weiter durchgeführt werden. Leberkäs ist, wenn mein Onkel Christian mehr als 20 Familienmitglieder versorgt, die alle für das erste Spiel der Bayern in der neuen Bundesliga-Saison den Garten stürmen, und ständig irgendwer Neues dazukommt. Damit einem solche Erinnerungen nicht vermiest werden, sollte man dringend Social-Media-Auftritte von Markus Söder meiden. Denn der mag noch so emotional Knödel mit Lüngerl posten und sich dabei an seine Mutter erinnern. Aber Knödel sind halt nur gut, wenn sie von meiner Mama gekocht wurden.
Bei uns daheim kommt Markus Söder übrigens nur am Essenstisch vor, wenn sich wieder mal wieder jemand über ihn beschwert. Weil er mit seinem Trara um Tradition so tut, als wären alle Bayer*innen diskriminierende, hinterwäldlerische Rechtspopulist*innen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Steinmeiers Griechenland-Reise
Deutscher Starrsinn
Orbán und Schröder in Wien
Gäste zum Gruseln
Serpil Temiz-Unvar
„Seine Angriffe werden weitergehen“
Rechtsruck in den Niederlanden
„Wilders drückt der Regierung spürbar seinen Stempel auf“
Koalitionsverhandlungen in Potsdam
Bündnis fossiles Brandenburg
VW in der Krise
Schlicht nicht wettbewerbsfähig