Meinungsfreiheit in Belarus: Jäger und Gejagte
Welche Turnschuhe sind die besten zur Flucht vor der Polizei? Olga Deksnis erzählt von stürmischen Zeiten in Minsk. Folge 18.
![Eine Frau spricht mit einem Polizisten in Uniform Eine Frau spricht mit einem Polizisten in Uniform](https://taz.de/picture/4398556/14/Belarus-Tagebuch-1.jpeg)
M ein Newsfeed bei Facebook sieht aktuell so aus: Leute wurden festgenommen oder sind verschwunden, wir suchen sie.
Auf dem Flughafen wurde gerade die Basketballspielerien Elena Lewtschenko festgenommen, die für eine schon länger geplante Behandlung in ein anderes Land fliegen wollte. Aber man wirft ihr Störung der öffentlichen Ordnung oder Durchführung von Massenveranstaltungen vor. Die Machthaber machen Jagd auf alle, die gegen Lukaschenko sind. Lewtschenko hatte an Demos teilgenommen.
![](https://taz.de/picture/4371510/14/26001150-1.jpeg)
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Ich vermute, dass es bald heißen wird: Wer nicht im Knast war, ist kein Belarusse.
Die Menschen sind wütend, aber sie geben nicht auf. Am letzten Sonntag wurden mehr als 350 Leute verhaftet.
„Heute gab es im Stadtteil Sucharewo am Minsker Stadtrand eine Razzia“, schreibt eine belarussische Journalistin auf ihrer Website. „Die Menschen wurden auf dem Feld gepackt, sie sind durch den Wald weggerannt, ins Wasser gefallen und haben sich gegenseitig wieder herausgeholfen. Schwarzgekleidete Männer mit Taschenlampen haben sie verfolgt und bedroht: Wir werden schießen! Wissen Sie, was heute im Bezirks-Chat erörtert wurden? In welchen Sportschuhen man am besten fliehen könne. Ob man sich Springerstiefel anschaffen solle. Man sollte vielleicht Wachtposten an den Kreuzungen aufstellen, damit die Leute rechtzeitig abhauen könnten. Und ja, es lohne sich, Handfunkgeräte anzuschaffen.“
Es scheint, als könnten uns seltsame Nachrichten schon längst nicht mehr überraschen. Aber weit gefehlt: Das Informationsministerium deaktiviert ab 1. Oktober für drei Monate den Medienstatus des meistgelesenen Portals, die Seiten von tut.by. Die Journalist:innen arbeiten weiter, aber verlieren ihre Akkreditierungen. Man kann sie „legal“ – so der Standpunkt der Machthaber – verhaften, wie auch die Teilnehmer:innen der Protestaktionen. Die Arbeit wird für sie schwieriger. Seit dem 7. August 2020 hat das Portal tut.by schon vier Verwarnungen für verschiedene Texte über die Situation im Wahlkampf und nach den Wahlen bekommen.
„Diese Neuigkeiten machen mich ziemlich wütend“, sagt Veronika Grischkowa, ehemalige Korrespondentin des Staatsfernsehen. „Meinungsfreiheit? Davon haben die Machthaber hier noch nichts gehört. Die Journalist:innen von tut.by haben hohe Maßstäbe an die journalistischen Arbeit angelegt. Das, was sie schreiben, ist maximal objektiv. Wenn Journalist:innen schweigen, begehen sie eines der schlimmsten Verbrechen. Und genau deshalb ist es wichtig, das Transparenz-Prinzip zu wahren. Sogar dann, wenn ihre Worte anderen nicht gefallen.“
Im Jahr 2019 stand Belarus auf Platz 153 in der Rangliste der Pressefreiheit. Ich denke, in der neuen Liste sinken wir noch weiter ab.
Aus dem Russischen Gaby Coldewey
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