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Mehrsprachliche BildungSprache und Macht

Die Romanautorin Olga Grjasnowa hat ein Plädoyer für die Anerkennung von Mehrsprachigkeit vorgelegt. Es verläuft jenseits weniger Prestigesprachen.

Eine bilinguale Kita: es gibt zu wenig staatlich geförderte Plätze Foto: dpa

Dass Mehrsprachigkeit eine Ressource ist, darüber sind sich wohl die meisten einig. Im multilingualen Europa wird das Sprachenlernen mit dem Ziel gefördert, dass sich je­de*r neben der Erstsprache in zwei weiteren Sprachen verständigen kann. Bildungsbürgerliche Eltern bemühen sich für ihre Zöglinge um Plätze in bilingualen Kindergärten und Schulen. Nur leider gibt es davon viel zu wenige, zumindest solche, die staatlich gefördert werden.

„Der monolinguale Habitus der multilingualen Schule“ (I. Gogolin) wurde schon vor über einem Vierteljahrhundert diagnostiziert und obwohl sich seither einiges bewegt hat, etwa Deutschlands klares Bekenntnis, ein Einwanderungsland zu sein, hat die grundsätzliche Orientierung des Bildungswesens an der Einsprachigkeit und das gleichzeitige Desinteresse an mehrsprachiger Kompetenz heute noch Gültigkeit.

Dazu kommt eine defizitäre Wahrnehmung von Mehrsprachigkeit: Nicht alle Sprachen sind gleichermaßen wertgeschätzt und erwünscht. Die Minorisierung des Türkischen oder Arabischen im Vergleich zu Sprachen wie Englisch, Französisch oder auch Mandarin verrät uns viel über die Machtbeziehungen zwischen verschiedenen Gruppen und Hierarchisierungen von Herkunftsländern.

Womit zwei Kernaussagen des ersten Sachbuchs der erfolgreichen Roman- und Bestsellerautorin Olga Grjasnowa umrissen wären. Grjasnowa legt kein per se philosophisches Buch vor, auch wenn sie sich auf Jacques Derrida und Judith Butler beruft. Es ist auch kein streng wissenschaftlicher Text, der sorgsam sämtliche Forschungsergebnisse zum Thema versammelt, was nicht bedeutet, dass die einschlägige Literatur keine Erwähnung findet.

Die Macht der Mehrsprachigkeit

Die „Macht der Mehrsprachigkeit“ ist ein Essay, der auch viele persönliche Erfahrungen und Beschämungen preisgibt. Wie fühlt es sich an, wenn das Sprachförderungskonzept der Regelschule darin besteht, Schü­le­r*in­nen ohne ausreichende Deutschkenntnisse ein bis mehrere Jahre zurückzustufen und dabei natürlich selbstredend keine weiteren zielführenden Förderungsmaßnahmen anzubieten? Wie ist es, gesagt zu bekommen, dass man in Deutsch leider nie ein „sehr gut“ bekommen werde, weil man ja mit leichtem Akzent spräche?

Das Buch

Olga ­Grjasnowa: „Die Macht der Mehr­sprachigkeit“. Dudenverlag, Berlin 2021, 128 S., 12 Euro

Wie verunsichert werden Eltern mehrsprachiger Kinder, wenn ihnen in Kindergärten und Schulen gesagt wird, die Kinder hinkten in der Sprachentwicklung den monolingualen Kindern hinterher und nicht dazu gesagt wird, dass das bei mehrsprachigen Kindern häufig beobachtet wird und eben kein Anlass zur Beunruhigung sein muss, weil diese Kinder zwei oder mehr Sprachsysteme gleichzeitig erwerben.

Diese Beispiele verleihen der „Macht der Mehrsprachigkeit“ ein ganz besonderes Gewicht. Denn den Le­se­r*in­nen nachvollziehbar und nachfühlbar zu machen, was es bedeutet, immer wieder Diskriminierungen einstecken zu müssen, weil in den Bildungsinstitutionen und in der Mehrheitsgesellschaft ein überwiegend uninformierter Umgang mit dem Thema Mehrsprachigkeit und Spracherwerb vorherrschen, erzeugt eine besondere Schubkraft.

Gesellschaftlicher Wandel

Theoretische Einsichten und Forschungsergebnisse, die seit Jahrzehnten vorliegen, scheinen allein nicht auszureichen, um einen gesellschaftlichen Wandel zu bewirken.

Grjasnowas Essay ist ein leidenschaftliches Plädoyer dafür, Mehrsprachigkeit, nicht einige Prestige-Sprachen, endlich umfassend als Ressource anzuerkennen und diese Wertschätzung konsequent in den Bildungsinstitutionen umzusetzen.

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2 Kommentare

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  • Amtssprache ist deutsch nicht was anderes ganz einfach.

  • Die Vielfalt der Sprachen der Herkunftsländer ist etwas sehr schönes und wertvolles. Multikulti im absolut postiven Sinn. Dauerhafte Mehrsprachigkeit nach Einwanderung ist dennoch unrealistisch. Welcher Einwanderer in Amerika spricht noch die Sprache seiner Großeltern? Einzige Ausnahme ist Spanisch, aber nur weil es eben auch vorher schon weit verbreitet war. Sprachen sind eben doch mehr Barriere als "Ressource". Das lehrt schon die Geschichte vom Turmbau zu Babel. Sprachbarrieren und -grenzen sind insofern in mancherlei Hinsicht mächtiger als territoriale Grenzen. Man versteht sich nur gut, wenn man sich auch sprachlich gut versteht.

    Eine einheitliche Sprache für die EU wäre nicht nur praktischer und billiger für Wirtschaft und Verwaltung, sondern auch identitätsstiftend. Die Menschen könnten sich viel mehr als Europäer fühlen, wenn sie "Europäisch" sprechen - eine Utopie, die natürlich nicht in Erfüllung gehen wird.