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Anwalt Peter Fahlbusch zu Abschiebehaft„Mehr als die Hälfte rechtswidrig inhaftiert“

Vergessen und im falschen Knast: Peter Fahlbusch beobachtet viele Fehler bei der Abschiebehaft. Aber die Regierung will die Rechte Betroffener einschränken.

Endstation Deutschland: Ein Abschiebegefängnis in Hannover im Jahr 2018 Foto: Hauke-Christian Dittrich/dpa
Franziska Schindler
Interview von Franziska Schindler

taz: Herr Fahlbusch, im Juni hat das Kabinett nach eigenen Worten beschlossen, den „verpflichtend beigestellten Rechtsbeistand vor der Durchsetzung der Abschiebung“ abzuschaffen. Jetzt kommt das Gesetz in den Bundestag. Was heißt das in der Praxis?

Peter Fahlbusch: Das bedeutet zunächst einmal, dass die Koalitionäre das Gesetz nicht richtig gelesen haben. Einen „verpflichtend beigestellten Rechtsbeistand vor der Durchsetzung der Abschiebung“ gibt es gar nicht.

Bild: Thilo Nass
Im Interview: Peter Fahlbusch

60, ist seit 1998 Rechtsanwalt und hat sich auf Abschiebungshaftverfahren spezialisiert. Alle Haftverfahren, die er seit 2001 geführt hat, wertet er in einer Statistik aus.

taz: Ach so?

Fahlbusch: Wahrscheinlich meint der Koalitionsvertrag die im Februar 2024 eingeführte Regelung, derzufolge Menschen in Abschiebungshaft eine sogenannte Pflicht­an­wäl­t*in bestellt wird, wenn sie noch nicht anwaltlich vertreten werden. Friedrich Merz hatte schon im Kanzlerduell die Abschaffung der Pflicht­an­wäl­t*in­nen anklingen lassen, da sie seiner Auffassung nach Abschiebungen mit „allen Tricks“ verhindern würden. Das ist blanker Populismus und hat mit der bestehenden gesetzlichen Regelung nichts zu tun.

taz: Was ist denn die Aufgabe der Pflichtanwält*innen?

Fahlbusch: Sie überprüfen einzig, ob die Haft rechtmäßig angeordnet wurde. Wenn diese Regelung abgeschafft wird, hängt es wieder von Glück, individuellem Zugang zu Informationen, sozialen Netzwerke und Vermögen ab, ob Menschen an eine An­wäl­t*in kommen. Ich habe seit 2001 bundesweit gut 2.600 Man­dan­t*in­nen in Abschiebungshaft begleitet, mehr als die Hälfte der Betroffenen war zumindest teilweise rechtswidrig inhaftiert. Im Durchschnitt saßen sie knapp 4 Wochen zu Unrecht in Haft. Das zeigt, wie notwendig An­wäl­t*in­nen für diese Menschen sind.

taz: Warum sitzen so viele Menschen zu Unrecht in Abschiebungshaft?

Fahlbusch: Die Palette an Fehlern ist unfassbar breit. Teilweise sitzen Leute in Haft, obwohl sie das Land gar nicht verlassen müssen, krank und deswegen haftunfähig oder minderjährig sind. Teilweise sind Leute im falschen Gefängnis eingesperrt, also in Strafhaftanstalten mit entsprechend härteren Bedingungen. Manche werden schlicht in Abschiebungshaft vergessen: Wenn sie einmal inhaftiert sind, kümmert sich die zuständige Behörde nicht zeitnah darum, die für die Abschiebung notwendigen Dokumente zu beschaffen.

taz: Und Pflicht­an­wäl­t*in­nen können das verhindern?

Fahlbusch: Die Bestellung eines Pflichtanwalts kann helfen. Leider wurde das Gesetz mehr schlecht als recht umgesetzt. Nur ein Beispiel: Kennen die Betroffenen keine Anwält*in, sucht das Gericht sie aus. Nicht selten hat man das Gefühl, dass die Rich­ter*in­nen dann solche An­wäl­t*in­nen bestellen, die die Betroffenen besonders wenig engagiert vertreten. An vielen Gerichten können diese An­wäl­t*in­nen später nicht mehr gewechselt werden.

taz: Die Bundespolizei soll, wenn es nach der Koalition geht, auch die Kompetenz bekommen, vorübergehende Haft oder Ausreisegewahrsam zu beantragen. Können Sie sagen, was das in der Praxis bedeuten würde?

Fahlbusch: Wenn die Bundespolizei zum Beispiel am Wochenende bei Kontrollen an Bahnhöfen Menschen ohne gültige Papiere antrifft, kann sie momentan nichts tun. Und die Ausländerbehörden, die möglicherweise Haft beantragen könnten, sind oft nicht erreichbar. Das soll die Neuregelung ändern. Allerdings würde die Bundespolizei Haftanträge stellen, ohne die Ausländerakten und damit die Besonderheiten des Falls zu kennen. Ich prognostiziere bereits jetzt, dass das Ganze häufig schief gehen wird. Gravierender in der Praxis ist die Idee eines dauerhaften Ausreisearrestes für Gefährder und schwere Straftäter, nachdem diese ihre Haftstrafe verbüßt haben.

taz: Was sehen Sie denn daran als gravierend an?

Fahlbusch: Deutschland würde die sogenannte Beugehaft wieder einführen, wenn dieses Vorhaben umgesetzt wird. Die Idee ist, Betroffene so lange zu inhaftieren, bis sie etwa ihren Pass beschaffen oder ihre wahre Identität preisgeben und abgeschoben werden können. Der Wille der Menschen soll also durch Freiheitsentzug gebrochen werden. Das ist europarechts- und verfassungswidrig, wie so vieles in diesem Koalitionsvertrag.

taz: Was denn noch?

Fahlbusch: Leistungen für Ausreisepflichtige sollen in bestimmten Fällen noch häufiger gekürzt oder gar gestrichen werden – der Europäische Gerichtshof beschäftigt sich gerade damit, ob das überhaupt zulässig ist. Die schwarz-rote Koalition möchte zudem in der EU darauf hinarbeiten, dass Menschen auch in Länder abgeschoben werden können, zu denen sie gar keinen Bezug haben. Fällt das sogenannte „Verbindungselement“, würden Deals mit Ländern wie Ruanda möglich werden. Stellen Sie sich mal vor, Sie würden in ein Land abgeschoben, wo Sie niemals waren und niemanden kennen! Äußerst besorgniserregend ist für Asylverfahren zudem die geplante Ersetzung des Amtsermittlungsgrundsatzes durch den Beibringungsgrundsatz.

taz: Was meinen Sie damit genau?

Fahlbusch: Bislang müssen Gericht und Behörde aufklären, warum Geflüchtete nicht in ihrem Herkunftsland bleiben können – und zwar über das hinaus, was von den Asylsuchenden vorgetragen wird. Wird dies abgeschafft, können Gerichte ihre Entscheidung ausschließlich auf Tatsachen stützen, die die Beteiligten selbst vorbringen. Die Geflüchteten müssten dann alle Beweise für ihren Fall ranschaffen, also alle politischen, sozialen und technischen Zusammenhänge im Herkunftsland eigenständig darlegen. Für die Einzelnen ist das oft eine kaum zu überwindende Hürde. Ich finde es zynisch, dass im Koalitionsvertrag auch erklärt wird, das Grundrecht auf Asyl bleibe unangetastet: Davon ist ohnehin kaum noch etwas übrig. Wenn die Koalition ihre Vorhaben umsetzt, wird das eine weitere gravierende Verschlechterung der Rechtssituation von Geflüchteten bedeuten, weit über den Bereich Abschiebungshaft hinaus.

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