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Mehr Erkrankungen in ChinaCoronavirus immer aggressiver?

Die Zahl der Infizierten steigt drastisch – weil jetzt auch wahrscheinlich Erkrankte mitgezählt werden. Das ist aber sinnvoll, sagen Experten.

Schutz vor Coronavirus und Regen: Menschen in Hongkong Foto: Vincent Yu/ap

Peking taz | Es war nur eine Frage der Zeit, bis mit dem Austausch zweier Parteikader die politische Säuberungswelle in China losgehen würde. Das Kalkül hinter der prominent in den Staatsmedien berichteten Maßnahme: Peking möchte die Schuldfrage für den Virusausbruch vor allem auf der Ebene der Lokalregierung belassen.

Doch schon bald könnte die Krise auch die Führung in die Bredoullie bringen. Schließlich befindet sich das Land noch immer im Stillstand: Zwar wurden einige Fabriken mittlerweile wieder eröffnet, um die Unterbrechung von Lieferketten im Zaum zu halten und die Versorgung medizinischer Ausrüstung zu gewährleisten.

Doch viele Schulen und Universitäten, der Dienstleistungssektor generell und auch viele mittelständische Betriebe sind nach wie vor geschlossen. Vor allem die Verdienstausfälle für die Abermillionen Landarbeiter dürften für Unmut und Frust sorgen.

Auch die anhaltende Quarantäne zehrt an den Nerven. Die drastischsten Einschränkungen hat die Stadt Shiyan in der Provinz Hubei ausgegeben: Dort dürfen sämtliche Bewohner bis auf einige Ausnahmen nicht einmal mehr ihre Wohnungen verlassen. Solche Maßnahmen können auch als vorauseilender Gehorsam der Lokalregierung verstanden werden, die von Peking verordnete Virusbekämpfung mehr als ernst zu nehmen.

Dramatischer Anstieg aufgrund veränderter Zählweise

Dabei scheint die Lage in Hubei immer bedrohlicher. Nur wenige Stunden vor diesen personellen Konsequenzen vermeldeten die Gesundheitsbehörden eine Hiobsbotschaft: 14.840 Menschen sollen sich innerhalb der letzten 24 Stunden mit dem Erreger infiziert haben – also fast zehnmal so viele wie noch am Tag zuvor.

Allerdings hängt der massive Anstieg vor allem mit einer geänderten Zählweise zusammen. Benjamin Cowling, Epidemiologe von der Universität Hongkong, erklärt das so: Bei Epidemien würde zwischen drei Kategorien an Patienten unterschieden: Verdachtsfälle, wahrscheinliche Fälle und klinisch bestätigte Fälle.

Seit Donnerstag würden nun auch sämtliche wahrscheinlichen Fälle zu den Infizierten gezählt. Denn immer mehr Bewohner Wuhans, die sich ganz offensichtlich angesteckt haben, zeigten dennoch bei Tests negative Resultate.

„Die Schlüsselfrage ist, wie schwerwiegend die Infektionen des neuen Coronavirus tatsächlich sind“, sagt der Forscher. Vergleichswerte sind für die Experten das Sarsvirus mit niedriger Übertragungs- und hoher Sterberate und die herkömmliche Grippe, die hochansteckend aber meist nicht sonderlich gefährlich ist. „Das neue Coronavirus liegt in etwa in der Mitte zwischen diesen beiden Extremen“, sagt Cowling.

Chinas Regierung agiert nervös

Sein Universitätskollege John Nicholls sagt: „Wir haben keinen blassen Schimmer über die tatsächliche Zahl der Infizierten, weil eine Dunkelziffer nur leichte Symptome zeigt und nicht getestet wurde.“ Auch wenn beide Mediziner grundsätzlich zufrieden sind mit der Informationspolitik der chinesischen Behörden, bleiben doch viele Fragen unbeantwortet – etwa, warum sich bislang derart viele Krankenhausmitarbeiter angesteckt haben.

Bislang hielten die Behörden in Wuhan jene Statistik unter Verschluss, doch die Hongkonger Zeitung South China Morning Post hat nun veröffentlicht, dass sich allein in Wuhan bis Mitte Januar über 500 Krankenpfleger und Ärzte angesteckt hätten und weitere 600 als Verdachtsfälle gelistet werden. Krankenhäuser wurden von der chinesischen Regierung angewiesen, die Zahl nicht zu veröffentlichen – vermutlich, um die Moral der unter immenser Arbeitslast stehenden Mediziner nicht zu schwächen.

Wie nervös die chinesische Regierung ist, zeigt auch die Festnahme zweier Bürgerjournalisten in Wuhan: Diese hatten unter anderem Videoaufnahmen von Krankenhäusern veröffentlicht, auf denen auf den Boden herumliegende Leichensäcke zu sehen waren. Zunächst wurden die beiden nur verhört, nun aber sollen sie laut Medienberichten nicht mehr erreichbar und festgenommen worden sein.

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4 Kommentare

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  • Coronavirus: Menschenleben vor Profit?

    Eine in China lebende Kostarikanerin beschreibt, wie sie den Ausbruch des neuen Coronavirus erlebt:

    »So wird der Bevölkerung dieser Tage zum Beispiel ein großer Teil der medizinischen Kosten erlassen, um die Menschen dazu zu ermutigen, sich behandeln zu lassen. Bis zum 6. Februar hatte die Regierung etwa 9,5 Milliarden Dollar für Prävention und Kontrolle bereitgestellt. Die Produktion von Atemschutzmasken und anderen medizinischen Hilfs- und Schutzmitteln läuft im Schichtbetrieb, rund um die Uhr.

    Private und öffentliche Krankenhäuser, Hotels und andere Orte in Hubei werden für die Quarantäne und die Behandlung infizierter Patienten genutzt. Die Entsendung von medizinischem Personal aus allen Teilen Chinas wird gut koordiniert.

    Die Regierung hat sogar Rückzahlungen von Hypotheken und Darlehen ausgesetzt, solange die Menschen nicht arbeiten können. {…}

    »Ich habe während der AIDS-Pandemie in den 1980er Jahren in den USA gelebt. Die Regierung unter Ronald Reagan ignorierte die Krise jahrelang und stigmatisierte die Opfer der tödlichen Krankheit sogar noch, anstatt ihnen zu helfen. Als die Pharmaindustrie Jahre später Medikamente entwickelt hatte, waren die Kosten für die Präparate so hoch, dass die meisten Betroffenen faktisch trotzdem zum Tode verurteilt waren. Die Gier nach Profit sorgte für eine tragische Situation.

    In New York City, wo ich ebenfalls einmal gewohnt habe, konnten große Schneestürme die Benzin- und Lebensmittelpreise leicht auf ein exorbitantes Niveau treiben. Jeden Winter starben Menschen in der Kälte, weil sie sich die Wärme nicht leisten konnten, während Tausende, vor allem Kranke und ältere Menschen, an der gewöhnlichen Grippe starben.

    In China aber hat mir der effektive, schnelle und mitfühlende Kampf gegen die NCP als beruhigender Balsam gedient. Bereitwillig setze ich mein Vertrauen in die chinesische Regierung, da ich weiß, dass sie die Menschen vor den Profit stellt.« (Beijing Rundschau)

  • Das Gefährliche der Krankheit ist, dass sie auch über Gesunde übertragen wird, die Inkubationszeit ist zudem mit ca einer Woche für eine Virusinfektion lang. Viele Menschen zeigen keinerlei Symptome, tragen die Krankheit aber weiter. So ist die beobachtete Epidemie überhaupt erst möglich. Ein großer Teil der Bevölkerung ist offenbar resistent gegenüber dem Erreger, der körpereigene Abwehrmechanismus kommt schnell genug in Gang, um die Krankheit abzuwehren, allerdings nicht die Übertragbarkeit.



    Aus einem anderen Grund hatten wir einmal einen ähnlichen Verlauf einer Epidemie: die Pest, die bis zu 2/3 der europäischen Bevölkerung sterben ließ. Hier war der Grund, weil man den Hauptüberträger nicht erkannte, den Rattenfloh.



    Offenbar ist der Anteil der Bevölkerung, deren körpereigene Abwehr gegen das Coronavirus zu gering ist, zu groß, als dass man warten könnte, bis sich eine ausreichende Resistenz der Bevölkerung einstellt, wie es früher bei Masern und Windpocken üblich war. Das Coronavirus kostet dafür zu viele Opfer. Es lohnt sich offensichtlich, tief einschneidende Hygiene- und Isoliermaßnahmen zu ergreifen. Tragen wir es mit Fassung, wenn es uns erwischt und machen wir nicht durch leichtsinniges Durchbrechen der Isolationsmaßnahmen den Erfolg zunichte!



    Wenn ich es richtig herausgehört habe, genügen nur zwei Wochen eiserner Disziplin, bis die erkrankten Isolierten eine ausreichende körpereigene Abwehr entwickelt haben, um der Epidemie den Boden zu entziehen. Ein wirksames Heilmittel gibt es nicht. Dieses entwickelt aber der Körper der Erkrankten selbst. Leider in zu vielen Fällen zu spät.

    • @Bernd Schlüter:

      Zwei Wochen sind die maximal beobachtete Inkubationszeit zwischen Ansteckung und Ausbruch der Krankheit. Also deshalb auch die Dauer der Quarantaene bei gesund wirkenden Personen.

      Zur Dauer, bis ein Erkrankter nicht mehr ansteckend ist, habe ich keine offiziellen Angaben gesehen.

      • @meerwind7:

        China hat vor einer Woche offiziell 2800 (klinisch) Genesene vermeldet (zu der Zeit ca. 800 Tote), also Personen bei denen der Virus nicht mehr nachweisbar war.



        Wenn man den Ausbruch in den Januar legt, dann kommt man inkl. Inkubationszeit vermutlich auf 4-6 Wochen zwischen Infektion und Genesung, und damit auf die notwendige Quarantänezeit wenn eine Infektion tatsächlich besteht. Nur die negativen Verdachtsfälle kann man nach 14 Tagen aus der Quarantäne entlassen.