Coronavirus schwächt Wirtschaft: Die Partei im Virus-Dilemma

Chinas Regierung muss den Virusausbruch unter Kontrolle bekommen. Und gleichzeitig die stillgelegte Wirtschaft wieder ankurbeln.

Ein Mitarbeiter der Gesundheitsbehörde desinfiziert in einem Einkaufszentrum.

In einem Einkaufszentrum in Peking Foto: Ng Han Guan/ap

PEKING taz | Um den Status quo der chinesischen Wirtschaft zu begreifen, reicht ein kurzer Streifzug durch die Pekinger Innenstadt: Im Einkaufsviertel Sanlitun gleichen die überdimensionalen Flagshipstores internationaler Modehersteller verlassenen Fabrikhallen. Nur einen Steinwurf entfernt herrscht reger Betrieb: Aus den umliegenden Supermärkten strömen die Pekinger – allesamt mit weißen Atemschutzmasken im Gesicht – mit randvoll gefüllten Plastiktaschen hervor. Für ein Paar Eier verlässt dieser Tage niemand mehr die eigene Wohnung.

Seit Wochen bereits wütet das Coronavirus Covid-19, bis zu diesem Montag hat es weltweit mehr als 71.000 Menschen infiziert und mindestens 1.770 getötet – das absolute Gros davon in China. Wie selten zuvor hat die Krise ein grundlegendes Dilemma der Kommunistischen Partei offen zutage treten lassen: Sie muss die Wirtschaft ankurbeln, ohne die Gesundheit der Bevölkerung aufs Spiel zu setzen.

In der Samstagsausgabe der Renmin Ribao, des Propagandaorgans der Kommunistischen Partei, prangt ebenjener Widerspruch auf der Titelseite: Präsident Xi spornt seine Kader dazu an, die Wachstumsziele für das laufende Jahr noch zu erfüllen. Gleichzeitig lautet ein anderes Ziel, dass die Unternehmen „null Ansteckungen“ zulassen sollen.

Die politische Legitimität der Regierung speist sich aus dem seit Jahrzehnten anhaltenden wirtschaftlichen Aufschwung, für den die Leute auch massive Einschränkungen bei der Meinungsfreiheit und bei politischen Grundrechten hinnehmen. Dabei ist die chinesische Volkswirtschaft durch den zwei Jahre anhaltenden Handelskrieg mit Washington ohnehin geschwächt: Sie wächst so langsam wie seit 30 Jahren nicht mehr. Gleichzeitig jedoch achtet die besorgte Öffentlichkeit mit Argusaugen auf das Krisenmanagement der Zentralregierung und ob sie in der Lage ist, das Virus unter Kontrolle zu bringen.

Kurzer Wutausbruch im Netz

Einen ersten Anflug für die politische Gefahr konnte die Partei nach dem tragischen Tod des Doktors und Virusentdeckers Li Wenliang in Wuhan erfahren: Als Erster warnte er vor den Risiken eines neuartigen, sarsähnlichen Erregers, wurde aber von den Behörden zum Schweigen gebracht. Nachdem der 33-Jährige schließlich selbst dem Coronavirus erlag, forderten Millionen Internetnutzer auf sozialen Medien Meinungsfreiheit. Wenige Tage später jedoch ebbte die Wut bereits ab.

Die weitaus größere Gefahr lauert in den wirtschaftlichen Einbußen, die das Virus mit sich bringt. In einer ersten Schätzung geht JPMorgan davon aus, dass das prognostizierte Wachstum der Volksrepublik im ersten Jahresquartal von über 6 Prozent auf nur ein Prozent schrumpfen werde. Was dies bedeutet, lässt sich auf der Mikroebene verstehen: Mit jedem Tag, den die Abermillionen Landarbeiter ohne Job und Lohn zum Nichtstun verdammt sind, steigt die Gefahr für soziale Unruhen.

„Ich habe bislang noch keinerlei staatliche Hilfe bekommen, die Lage wird für mich allmählich ernst“, sagt der Besitzer eines Irish Pub in der Pekinger Innenstadt. Als einer der wenigen hält er sein Lokal täglich offen, doch von der Stammkundschaft kommt höchstens nur mehr ein Fünftel. Das größere Problem sei jedoch das ausbleibende Personal: Viele seiner Angestellten würden noch immer in den Provinzen bei ihren Familien stecken, die sie anlässlich des chinesischen Neujahrsfests vor drei Wochen besucht ­hatten.

Chinas KP muss die Wirtschaft ankurbeln, ohne die Gesundheit aufs Spiel zu setzen

Ursprünglich sollte ab dem 10. Februar wieder wirtschaftlicher Normalbetrieb einkehren – und Büros wiedereröffnen, Fabriken in Betrieb genommen werden. Das Credo der Parteikader auf den täglichen Pressekonferenzen in Peking lautete: Zurück an den Arbeitsplatz zu gehen sei die wirksamste Maßnahme, das Virus zu bekämpfen. Bislang jedoch laufen nur essenzielle Industrien auf Hochtouren: Die Fabriken für Schutzkleidung und Gesichtsmasken produzieren bereits knapp 80 Prozent der üblichen Kapazität, bei der Lebensmittelindustrie liege der Wert bereits bei 95 Prozent.

VW verschiebt Wiederaufnahme der Produktion

Internationale Konzerne bleiben aber vorsichtig. Volkswagen beispielsweise teilte am Montag mit, die für diesen Tag geplante Wiederaufnahme der Produktion in den Werken des Gemeinschaftsunternehmens mit der Shanghai Automotive würde frühestens am 24. Februar stattfinden.

Bereits am Freitagabend hatte Peking die Hoffnung auf vorzeitige Normalität zerschlagen: Die Stadtregierung kündigte an, dass sich jeder Neuankömmling aus sämtlichen Provinzen des Landes für 14 Tage in Quarantäne begeben muss. Die drastische Entscheidung, angekündigt zu später Abendstunde, dürfte vor allem politische Gründe haben: Am 4. März findet der Volkskongress der Kommunistischen Partei statt, das mit Abstand wichtigste politische Ereignis des Jahres. Noch nie wurde es verschoben oder gar abgesagt. Die Schmach möchte die Kommunistische Partei um jeden Preis verhindern – auch wenn das weitere wirtschaftliche Einbußen bedeuten würde.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Die Coronapandemie geht um die Welt. Welche Regionen sind besonders betroffen? Wie ist die Lage in den Kliniken? Den Überblick mit Zahlen und Grafiken finden Sie hier.

▶ Alle Grafiken

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.