Mehr Eigenständigkeit von Frankreich: Autonomes Korsika?

Innenminister Darmanin ist nach heftigen Protesten bereit, der Insel mehr Selbstbestimmung einzuräumen. Oder ist das nur ein Wahlkampfversprechen?

Eine Frau hisst die Fahne mit korsischem Emblem.

Für mehr Selbstbestimmung: Unterstützung der Proteste mit der korsischen Flagge Foto: Pascal Pochard-Casabianca/afp

PARIS taz | Als Innenminister Gérald Darmanin am Mittwoch auf der französischen Insel Korsika landet, hatte er schon ein Friedensangebot vorausgeschickt: Die Regierung in Paris sei „bereit, bis zur Autonomie (für Korsika) zu gehen“, ließ er verlauten. In der Hoffnung, die zornigen Demonstrierenden zu beruhigen, die seit zwei Wochen gegen den französischen Staat rebellieren, wolle er einen Dialog eröffnen. Es war immer wieder zu heftigen Zusammenstößen mit Ordnungskräften gekommen.

Die Krise auf Korsika kommt für Präsident Emmanuel Macron zu einem ungünstigen Zeitpunkt. In weniger als einem Monat steht die erste Runde der Präsidentschaftswahlen an – und Macron will im Amt bestätigt werden. Die Pressebilder der Straßenschlachten in Bastia und Ajaccio schockieren die Öffentlichkeit – Sicherheit und Gewalt sind wichtige Wahlkampfthemen in Frankreich. Andere Kandidaten wie die Konservative Valérie Pécresse kritisieren nun, Macron und seine Regierung reagierten übereilt. Andere reklamieren, Macron instrumentalisiere das Thema Korsika für sich.

Der Ausbruch der gewaltsamen Unruhen hatte Paris überrascht. Die brutale Aggression eines Mithäftlings gegen den wegen Mordes inhaftierten Nationalisten Yvan Colonna im Gefängnis von Arles am 2. März war indes nur ein Auslöser der anhaltenden Protestbewegung. Der Konflikt schwelte seit Langem.

Paris hatte auf eine Partnerschaft mit den gemäßigten korsischen Autonomisten gesetzt, die seit 2015 unter Gilles Simeoni im Exekutivorgan der Insel regieren und auch in der Korsischen Versammlung über eine Mehrheit verfügen. Doch eine von Macron angestrebte Verfassungsänderung, die Korsika mehr Autonomie mit einer gewissen Steuerhoheit geben sollte, ist wegen der Opposition des Senats liegen geblieben. Auf Korsika sagen die Separatisten, dass der französische Staat einmal mehr ein Versprechen gebrochen habe.

Molotowcocktails statt Diplomatie

Zwischen den Autonomisten Korsikas und den Separatisten, die eine nationale Unabhängigkeit fordern, verschärfen sich die Spannungen. Und eine neue Generation zeigt ihre Wut auf die „Arroganz“ und „Bevormundung“ durch Frankreich mit Gewalt auf den Straßen. Dutzende Polizeikräfte wurden durch Molotowcocktails oder andere Wurfgeschosse verletzt.

Wie schon die alte Garde der Separatisten der ehemaligen Untergrundbewegung FLNC glauben diese jungen Nationalisten, dass mit Molotowcocktails mehr zu erreichen sei als mit Mauscheleien zwischen Simeoni und Macron. Solche Differenzen hatten schon früher zu Spaltungen und blutigen Abrechnungen zwischen den Fraktionen und Clans der FLNC geführt.

Der bekannte Anwalt Jean-Guy Talamoni, der den Separatisten nahesteht, warnte Darmanin vor einer Taktik der Vertröstung: „Sein Vorgehen ist suspekt, weil alle den aktuellen Kontext der Präsidentschaftswahlen im Kopf haben. Wer meint, man könne sich auf diese Weise der Korsika-Frage entledigen, täuscht sich. Es ist an der Zeit, dass Paris Korsika anders behandelt als mit Indifferenz oder Zynismus.“

Mit Darmanins „Angebot“ einer Autonomie als Perspektive stellt sich die Frage, wie weit Paris gehen will. Neukaledonien könnte als Vorbild dienen. In diesem Überseegebiet im Südpazifik konnte die Bevölkerung nach Jahrzehnten blutiger Konflikte über eine Unabhängigkeit von Frankreich abstimmen. Drei Mal siegte dort das Nein.

Auf Korsika wünscht eine Mehrheit eine echte Autonomie, wie die letzten regionalen Wahlen gezeigt haben. Sich ganz von Frankreich loszulösen stellt dagegen eine Maximalforderung und einen alten Traum einer radikalen Minderheit dar.

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