Meduza-Auswahl 5. – 11. September: Heimlich nach ukrainischem Lehrplan
In der besetzten Ostukraine müssen Schüler nach Russlands Vorschrift lernen. Onlinekurse bieten eine Alternative – mit Risiko.
Das russisch- und englischsprachige Portal Meduza zählt zu den wichtigsten unabhängigen russischen Medien. Im Januar 2023 wurde Meduza in Russland komplett verboten. Doch Meduza erhebt weiterhin seine Stimme gegen den Krieg – aus dem Exil. Die taz präsentiert seit 1. März 2023 unter taz.de/meduza immer mittwochs in einer wöchentlichen Auswahl, worüber Meduza aktuell berichtet. Das Projekt wird von der taz Panter Stiftung gefördert.
In der Woche vom 5. bis 11. September 2024 berichtete Meduza unter anderem über folgende Themen:
Der skandalumwobene Gazprom-Tower wird eröffnet
Der Wolkenkratzer Lakhta Centre, der dem russischen Energiekonzern Gazprom gehört, wird in St. Petersburg bald endlich vollständig eröffnet. Das Projekt wurde bereits in den 2000er Jahren geplant, doch die Arbeiten verzögerten sich. Auch die Bewohnerinnen und Bewohner der Stadt protestierten wiederholt gegen den Bau des Wolkenkratzers.
Im Jahr 2018 wurde der Turm schließlich fertiggestellt, im Jahr 2024 begannen die Mitarbeiter von Gazprom mit dem Umzug in die neuen Büros. Für die Bürgerinnen und Bürger ist unter anderem eine Aussichtsplattform geplant.
Das unabhängige Medium Bumaga erinnert an die Geschichte des Wolkenkratzers – zwischen Skandalen, illegalem Handel und Protesten. Meduza veröffentlicht den Bericht auf der Seite des Exilmediums (russischer Text).
In der Ostukraine gilt der russische Lehrplan
In den derzeit von Russland besetzten ostukrainischen Gebieten gab es vor dem Jahr 2022 etwa 900 Schulen. Viele von ihnen sind inzwischen geschlossen – und die Schulen, die noch in Betrieb sind, müssen vom russischen Bildungsministerium herausgegebene Lehrbücher verwenden.
An einigen dieser Schulen haben die Schüler jedoch weiter nach dem ukrainischen Lehrplan gelernt, mithilfe von Onlinekursen. Der Besuch dieser Schulen ist gefährlich – und die Familien ergreifen allerlei Vorsichtsmaßnahmen, um nicht entdeckt zu werden. Sie verstecken die Hausaufgaben ihrer Kinder auf USB-Laufwerken oder ziehen aus den Städten in Kleinstädte um, wo die Wahrscheinlichkeit geringer ist, dass russische Truppen auf einmal vor der Türe stehen.
Das unabhängige Magazin iStories sprach mit dem Direktor einer Schule in Nowa Kachowka in der Region Cherson und einem Lehrer einer Landwirtschaftsschule in Melitopol über die Herausforderungen für ukrainische Schulen in den besetzten Gebieten. Meduza stellt eine englischsprachige Fassung des Berichts zur Verfügung.
„Gegen den Horror“: Schüler sabotieren Bahngleise
Seit Beginn des Krieges in der Ukraine sitzen immer mehr russische Schüler wegen Sabotage an Gebäuden oder Verkehrsinfrastruktur ein. Mindestens 20 Russen im Alter zwischen 15 und 17 Jahren befinden sich derzeit im Gefängnis und warten auf ihren Prozess oder verbüßen Strafen für diese Vergehen. Viele von ihnen stammen aus den Regionen entlang der Transsibirischen Eisenbahn, die Moskau nutzt, um militärische Ausrüstung und Munition nach Westen zu transportieren.
Der Finanzüberwachungsdienst Russlands speichert die Namen aller Bürger, die des Terrorismus, der Sabotage oder des Extremismus angeklagt sind, in einem öffentlichen Register für „Terroristen und Extremisten“. Diese Liste der „Extremisten“ beinhaltet derzeit mindestens 88 Minderjährige. Einer von ihnen ist Maxim Machnew aus der Stadt Ust-Ilimsk in Sibirien. Er ist erst vor wenigen Wochen 18 Jahre alt geworden, er soll seinen Geburtstag im Gefängnis verbracht haben.
Ilja Podkamenny ist heute 19 Jahre alt. Im November 2022 gelang es ihm, einen Güterzug in der Region Irkutsk anzuhalten, indem er Kupferdraht um die Gleise wickelte. Der Lokführer fand am Tatort Flugblätter mit der Aufschrift „Tod den Russen, Freiheit für Sibirien“ und „Tod dem Faschisten Putin“.
In englischer Sprache fasst Meduza einen neuen Bericht der unabhängigen Medienorganisation People of Baikal über diese Minderjährigen zusammen.
Das Russland von „Rupture“: Meduza-Redakteur veröffentlicht Krimi
Irgendwo in der Nähe des Ochotskischen Meeres, am äußersten östlichen Rand Russlands, sind ein Vater und sein jugendlicher Sohn plötzlich völlig von der Zivilisation abgeschnitten. Sie begeben sich auf eine gefährliche Reise, um Hilfe zu finden. Wer hatte es nötig, den einzigen Kommunikationsmast in dem kleinen, abgelegenen Dorf in die Luft zu jagen? Und was veranlasste die Hauptfiguren, aus Moskau in dieses Dorf zu fliehen?
„Rupture“ – der erste fiktive Roman des Journalisten und Redakteurs Daniil Turowski bringt Meduza auf Russisch heraus.
Es sei eine beängstigende „und fast fantastische Geschichte“, die laut dem Autoren „auf Hunderten von realen Ereignissen“ beruht, schreibt Meduza (russischer Text). Das Buch basiert dabei auch auf Dutzenden von Interviews, die Turowski mit Menschen in ganz Russland führte. Und obwohl es sich nicht um einen dokumentarischen Roman handelt, ist das Land, in dem die Handlung stattfindet, definitiv nicht fiktiv.
Das Russland von „Rupture“ – mit seinen weiten Landstrichen, verlassenen Minen und U-Booten, Armut, Intoleranz, häuslicher Gewalt und Polizeibrutalität – ist schmerzhaft und unbestreitbar real.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Deutungskampf nach Magdeburg
„Es wird versucht, das komplett zu leugnen“
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Aktionismus nach Magdeburg-Terror
Besser erst mal nachdenken
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Gedenken an den Magdeburger Anschlag
Trauer und Anspannung