Meduza-Auswahl 1. bis 7. Juni: Angst, Demütigung, Nationalstolz
Auch Leser von Meduza unterstützen den russischen Angriffskrieg. Im Land halten die Repressionen gegen Nawalny-Anhänger an. Texte aus dem Exilmedium.
Das russisch- und englischsprachige Portal Meduza zählt zu den wichtigsten unabhängigen russischen Medien. Im Januar 2023 wurde Meduza in Russland komplett verboten. Doch Meduza erhebt weiterhin seine Stimme gegen den Krieg – aus dem Exil. Die taz präsentiert seit 1. März unter taz.de/meduza immer mittwochs in einer wöchentlichen Auswahl, worüber Meduza aktuell berichtet. Das Projekt wird von der taz Panter Stiftung gefördert.
In der Woche vom 1. bis 7. Juni 2023 berichtete Meduza unter anderem über folgende Themen:
Krieg zu verlieren wäre „nationale Demütigung“
Ja, auch Meduza-Leser*innen unterstützen den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Warum? Das hat das Exilmedium seine Leserschaft gefragt und anschließend einen Überblick der gesendeten Rückmeldungen veröffentlicht (englischer Text). In nur wenigen Tagen erhielt Meduza Hunderte von detaillierten Antworten. Sie werfen die Frage in den Raum, inwiefern es überhaupt möglich sein könnte, das in Russland herrschende Regime zu ändern, wenn die Menschen im Land dazu nicht bereit sind.
„Eine Niederlage Russlands würde eine nationale Demütigung bedeuten, die wir nicht zulassen können“, schreibt etwa Andrej (35). „Den Krieg unterstütze ich zwar nicht, aber leider steht die Existenz meines Vaterlandes auf dem Spiel. Ich möchte nicht die Zerstörung meines Landes erleben“, erklärt Sergey (38). Er unterstütze den Krieg, „weil der von Selenski vorgelegte und vom „kollektiven Westen“ unterstützte ‚Friedensplan‘ mit hoher Wahrscheinlichkeit Russland so viel Schaden zufügen wird, dass wir nicht sicher sein können, dass es überleben würde“, schreibt Oleg (27).
Mehr als 90 Festnahmen wegen Unterstützung von Nawalny
Die russische Zivilorganisation OVD dokumentierte mindestens 90 Festnahmen bei Demonstrationen am vergangenen Samstag zur Unterstützung des russischen Oppositionellen Alexej Nawalny. Der sitzt in Russland im Straflager in Russland, und hatte am Samstag Geburtstag. Seit 12 Jahren dokumentiert die Organisation politisch motivierte Verhaftungen.
Meduza teilt in diesem Post (englischer Text) Verlinkungen zu verschiedenen journalistischen Stimmen, die sowohl in Moskau als auch in Sankt Petersburg über die Protestaktionen berichteten. Sie zeigen die Umstände, unter denen Menschen in Russland sich politisch versammeln: Lastwagen der russischen Nationalgarde warteten in der Nähe der Treffpunkten der Demonstranten, die Bereitschaftspolizei patrouillierte in den umliegenden Straßen.
Ein Film über Opfer „Bestrafungspsychatrie“ in der UdSSR
Im Mittelpunkt der Dokumentarserie „Dissidenten und Wahnsinn“ des russischen Filmemachers Sergei Gindilis steht die “Bestrafungspsychiatrie“, die während der Breschnew-Ära in großem Umfang gegen Andersdenkende im sowjetischen Russland eingesetzt wurde. Leonid Breschnew war von 1964 bis 1982 Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU). Die Serie wurde auf dem YouTube-Kanal des mit US-amerikanischen Geldern finanzierten russisch- und englischsprachigen Medienportals Current Time Doc veröffentlicht.
Meduza sprach mit dem Regisseur Gindilis (russischer Text) über die Tausende von Dissidenten, die in den 1960er und 1980er auf Anweisungen des sowjetischen In- und Auslandsgeheimdienstes KGB in psychiatrischen Spezialkliniken zwangsbehandelt wurden. 2021 begann Gindilis mit seinem Vater Jewgenij Gindilis an diesem historischen Projekt auf Basis von Interviews und Archivdokumenten zu arbeiten. “Das Thema ist leider aus vielen Gründen immer noch aktuell“, erzählt der Regisseur. Auch in Putins Russland würden Dissidenten in Irrenhäuser gesteckt, so Gindilis.
Wie Journalismus in Turkmenistan überdauert
Turkmenistan rangiert seit Jahren zuverlässig auf einem der letzten Plätzen verschiedener Ranglisten über Demokratie, Korruption und Pressefreiheit. Die Wahlen werden routinemäßig gefälscht, die Familie des ehemaligen und aktuellen Präsidenten Berdimuhamedow beherrscht politischen und wirtschaftlichen Institutionen, die Korruption im Land ist systematisch.
Meduza sieht sich die Pressefreiheit im Land in dieser Reportage genauer an (englischer Text). Das Exilmedium interviewt den Journalisten und Herausgeber von Turkmen.News, Ruslan Myatiev. 2010 erhielt er politisches Asyl in Europa. Seine Eltern waren bereits als unabhängige Journalist*innen tätig. „Mein Vater wurde auf der Straße angegriffen. Jemand hat nachts Steine in unsere Wohnung geworfen“, erzählte er im Gespräch mit Meduza. 2008 beschloss er, sein Land zu verlassen, um als Journalist arbeiten zu können – denn die Menschenrechtslage verschlechtert sich immer weiter. Turkmenische Journalist*innen leben aber auch im Ausland nicht sicher: Fälle von grenzüberschreitender Repression gegen unabhängige Journalist*innen und Oppositionelle häufen sich.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Negativity Bias im Journalismus
Ist es wirklich so schlimm?