Menschenrechtler in Russland vor Gericht: Prozess gegen Kreml-Kritiker

Der russische Menschenrechtsaktivist Oleg Orlow äußerte sich kritisch zu Putins Politik. Im Prozess droht ihm nun eine Haftstrafe.

Portrait von Oleg Orlow

Moskau, 7.10.2022: Oleg Orlow spricht nach einer Gerichtsverhandlung mit der Presse

BERLIN taz | Eine Parodie auf die Gerechtigkeit, die die Geringschätzung elementarster Menschenrechte zeige: So charakterisiert die Menschenrechtskommissarin des Europarats, Dunja Mijatović, den Prozess gegen Oleg Orlow, der am Donnerstag in Moskau begann.

Orlow ist Menschenrechtsaktivist sowie einer der Gründer der mittlerweile in Russland aufgelösten Menschenrechtsorganisation Memorial, deren Rechtszentrum er leitete. Memorial hat sich vor allem um die Aufarbeitung des Stalinismus verdient gemacht und war 2022 eine von drei Organisationen, die mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurden.

Oleg Orlow wird wiederholte „Diskreditierung der russischen Streitkräfte“ vorgeworfen. Darauf stehen bis zu fünf Jahren Haft. Ein Post auf Orlows Facebook-Seite hat zu dem geführt. Darin verlinkte er auf einen seiner Texte mit dem Titel: „Sie wollten Faschismus und sie haben ihn bekommen“.

Am 21. März führten Sicherheitskräfte bei Orlow sowie sieben weiteren Mitgliedern Memorials Razzien durch. Der Vorwurf lautete: „Rehabilitierung des Nazismus“. Zuvor war Orlow bereits mehrmals wegen Ordnungswidrigkeiten verurteilt worden. Unter anderem hatte er sich am 10. April 2022 auf dem Roten Platz in Moskau öffentlich mit einem Plakat gezeigt, auf dem geschrieben stand: „Unser Unwille, die Wahrheit anzuerkennen, und unser Schweigen machen uns zu Mitschuldigen an Verbrechen.“

Bislang 528 Strafverfahren

Freude rieten Orlow dazu, Russland zu verlassen und seinen „Kampf“ aus dem Ausland weiterzuführen, doch der 70-Jährige blieb. Woher diese Sturheit einiger Rus­s*in­nen komme, lieber „in den Kerkern des Regimes zu verrotten“, als ins Exil zu gehen, fragt der französische Schriftsteller Jonathan Littell in einem Beitrag, den das russischsprachige Nachrichtenportal Meduza veröffentlichte.

„Für einen Mann wie Orlow bedeutet der Gang ins Gefängnis, dorthin zu gehen, wohin es ihm seine Pflicht vorschreibt: an den einzigen Ort in einem versklavten Land, wo ein freier Mann sein kann“, heißt es da. In einem Land krimineller Herren und stiller Sklaven seien Menschen wie Orlow die Einzigen, die noch erhobenen Hauptes über ihre Unterdrücker lachen könnten.

Seit dem Beginn von Russlands großer Invasion gegen die Ukraine am 24. Februar 2022 sind sogenannte Falschinformationen über die russische Armee sowie deren Diskreditierung strafrechtlich relevante Vorwürfe, um Kri­ti­ke­r*in­nen der „Spezialoperation“ kaltzustellen. Bislang wurden mindestens 528 Strafverfahren eingeleitet und dutzende Urteile gesprochen. Im Mai wurde der Oppositionspolitiker Ilja Jaschin zu achteinhalb Jahren Haft verurteilt. Er hatte auf Youtube über den Mord an Zi­vi­lis­t*in­nen durch russische Soldaten im ukrainischen Butscha gesprochen.

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