Medienethik: „Nicht den Fokus auf den Suizid“
Stefanie Averbeck-Lietz, Professorin für Kommunikationswissenschaft, über einen ethisch vertretbaren medialen Umgang mit Selbsttötungen.
taz: Frau Averbeck-Lietz, sollten Medien über Suizide berichten und wenn ja: Auf welche Art und Weise?
Stefanie Averbeck-Lietz: Nun, da gibt es ja Richtlinien des Deutschen Presserats, nach denen prinzipiell erst einmal das Informationsinteresse der Öffentlichkeit mit den schutzwürdigen Interessen des Betroffenen abgeglichen werden muss. Und die gelten natürlich auch posthum.
48, ist seit 2012 Professorin für Kommunikations- und Medienwissenschaft am Zentrum für Medien-, Kommunikations- und Informationsforschung der Uni Bremen.
Wann ist denn jemand eine Person des öffentlichen Interesses?
Zumindest aus medienethischer Sicht sollte das schon jemand sein, der tatsächlich auch in der Öffentlichkeit steht, den die Menschen also auch kennen. Sollte das nicht so sein, wäre es angebracht, nicht seinen Namen, sondern nur seine Funktion zu nennen. In Richtlinie 8.7 des Pressekodex heißt es dazu: „Die Berichterstattung über Selbsttötung gebietet Zurückhaltung. Dies gilt insbesondere für die Nennung von Namen, die Veröffentlichung von Fotos und die Schilderung näherer Begleitumstände.“ Der Schweizer Presserat spricht in seinem Kodex sogar von „größter Zurückhaltung.“
Wie sollte diese Zurückhaltung konkret aussehen?
Der kommissarische Leiter des Bremer Sportamts, der am Dienstag laut Innensenator "mit sofortiger Wirkung aus dem Amt geschieden" war (taz berichtete), hat sich selbst getötet. Das bestätigte die Innenbehörde am gleichen Tag nach taz-Redaktionsschluss. Seit mehreren Wochen hatte die Staatsanwaltschaft gegen den Mann ermittelt. Nach dem Tod des Verdächtigen war das Verfahren einzustellen.
Erst einmal sollte man genau prüfen, ob der Suizid überhaupt berichtenswert ist. Kommt man nicht umhin, darüber zu berichten, weil er nun einmal mit berichtenswerten Umständen verbunden ist, sollte man nicht den Fokus auf den Suizid legen. Das heißt: Auf welche Weise und wo sich jemand getötet hat, ist unerheblich und kann sogar einen schädlichen Effekt haben.
Inwiefern das?
Nun, diesen sogenannten „Werther-Effekt“, nach dem Suizide nachgemacht werden, gibt es so zwar nicht, aber Menschen, die ohnehin suizidgefährdet sind, könnten die Hinweise auf Art und Ort einer Selbsttötung durchaus interessant finden. Und abgesehen davon haben solche Details – teilweise werden ja sogar Fotos oder Filmaufnahmen vom Ort des Geschehens gemacht – keinerlei Wert für die Berichterstattung. Sie dienen der Sensationslust.
Und wenn jemand durch einen Suizid auch das Leben anderer Menschen gefährdet?
Wenn jemand beispielsweise von einer Autobahnbrücke springt und damit andere gefährdet, dann bildet dieser Sachverhalt eine Ausnahme – aber nur dann, wenn genau der auch Gegenstand der Berichterstattung ist. Und auch dann sollte es keine Fotos oder Filmaufnahmen davon geben.
Die genaue Todesart sollte also nicht erwähnt werden, wenn das Thema des Berichts eigentlich ist, dass derjenige seinen Job verloren hat und im Visier der Staatsanwaltschaft stand?
Ganz genau. Und: Auch posthum gilt noch immer die Unschuldsvermutung – Vorverurteilungen sollte es nicht geben. Wenn die Staatsanwaltschaft gegen jemanden ermittelt und derjenige tötet sich selbst, dann heißt das noch nicht, dass derjenige auch schuldig war.
Gehören Mutmaßungen über die Gründe für eine Selbsttötung überhaupt in die Berichterstattung?
Mit Mutmaßungen sollte man immer vorsichtig sein, im Falle einer Selbsttötung gilt die Zurückhaltung aber ganz besonders. Es gibt meist mehr als nur einen Grund für einen Suizid. Und: Da sind schließlich auch noch Angehörige, die ebenso schützenswert sind wie die Person, die sich getötet hat – und die kann ja nun nichts mehr dazu sagen.
In welcher Breite ist es angemessen, über einen Suizid zu berichten?
Aus medienethischer Sicht genügt oft eine kurze Meldung, eine nüchterne Darstellung des Sachverhalts ohne Ausschmückungen und Mutmaßungen.
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