Medien in der Krise: Die Siegessäule wackelt
Das queere Stadtmagazin, auch die Straßenmagazine stecken in der Coronakrise. Verkaufsmöglichkeiten sowie Anzeigenkunden brechen weg.
„Wir sind tatsächlich existenziell bedroht“, erklärt Jan Noll, Chefredakteur der Siegessäule der taz am Telefon. „Seit Mitte der neunziger Jahre finanziert sich die Siegessäule ja über Anzeigen. Aber Clubs, Theater, andere Kulturbetriebe, die sonst im Heft Anzeigen schalten, haben derzeit geschlossen.“ Schätzungsweise 80 Prozent des Umsatzes würden dadurch entfallen, meint Noll.
Für das traditionsreiche queere Stadtmagazin bedeutet die Coronakrise jedoch nicht nur ein Finanzierungsproblem. Dass die meisten der 650 Berliner Geschäfte und Kneipen, in denen die Siegessäule sonst kostenlos ausliegt, noch geschlossen sind, hemmt auch die Verteilung. Verlagsmitarbeiter*innen würden das Magazin derzeit auch persönlich, teilweise in ihrer Freizeit, zu Sondervertriebsstellen etwa vor dem Südblock am Kotti oder dem SO36 in der Oranienstraße bringen, berichtet der Chefredakteur.
„Da wir seit knapp 40 Jahren präsent sind, haben wir ja Gott sei Dank eine solide Leser*innenbasis“, so Noll. Diese Basis trage in der Krise auch selbst zur Zirkulation des Heftes mit einer monatlichen Auflage von 50–60.000 Exemplaren bei.
Seit ihrer Erstausgabe 1984 hat die Siegessäule sich von einem schwulen hin zu einem schwul-lesbischen und schließlich zu einem deutsch-englischen Termin- und Debattenblatt für die ganze LGBTI*-Community entwickelt. Von Beginn an legten die Redaktionen einen Fokus auf die Aufklärung und Berichterstattung über HIV und Aids und riefen immer wieder zu Spenden für queere Vereine und Selbsthilfeprojekte auf.
„Community lässt uns nicht hängen“
„Die Community lässt uns jetzt nicht hängen“, freut sich Manuela Kay. Als Geschäftsführerin leitet Kay den Special Media Verlag, der mit 10 festen und 90 freien Mitarbeitenden nicht nur die Siegessäule und das Branchenbuch Siegessäule Kompass, sondern auch das lesbische Magazin L-Mag verlegt. Zugleich ist sie Chefredakteurin des L-Mag.
„Beim L-Mag ist die Situation nicht ganz so schlimm“, erklärt Kay der taz. Bestehende Abonnements und eine freiwillige Bezahlschranke für die Onlineausgabe kämen dem im ganzen deutschsprachigen Raum erscheinenden Magazin zugute, auch wenn die Verkaufszahlen im Bahnhofsbuchhandel einbrächen. „Unser Verlag lebt aber zu 80 Prozent von den Einnahmen aus den Printanzeigen der Siegessäule.“
Mit Kurzarbeit und einer Spendenaktion unter dem Slogan „Your Siegessäule Needs You!“ versucht Special Media nun, die Community-Magazine am Leben zu halten. Der renommierte Fotograf Wolfgang Tillmans und andere Berliner Künstler*innen unterstützen das Anliegen mit limitierten Editionen und Postern gegen Spende. „An der Siegessäule schätze ich die journalistische Qualität“, begründete Tillmans in einem Interview seinen Beistand. „In London hast du Boyz und qx, die null Journalismus haben, sondern eigentlich nur Partyfotos, und wo der gesamte Inhalt abgeglichen ist mit zahlenden Anzeigenkunden“, so der Turnerpreisträger.
„Undenkbar, dass das Magazin einfach verschwindet“, sagte am Montag auch die Berliner Landesvorsitzende der Deutschen Journalistinnen-und Journalisten-Union (dju) Renate Gensch. Ohne die Siegessäule würden politische und gesellschaftliche Themen aus der LGBTI*-Community „journalistisch fast völlig brachliegen“, so Gensch.
150.000 Euro sind das Spendenziel der „Siegessäule“. Auf startnext.com/your-siegessaeule-needs-you besteht die Möglichkeit zu spenden und Werke von Klara Lidén, Wolfgang Tillmans, Stefan Fähler und Karl Holmqvist zu ergattern. Weitere Infos auf siegessaeule.de.
Die Verkäufer*innen der „Arts of the Working Class“ unterstützt mensch durch den Kauf der Zeitung und bedruckter Vintage-Artikel im öffentlichen Raum. Die Straßenzeitung selbst kann mensch durch die Überweisung einer Spende unterstützen. Weitere Infos auf artsoftheworkingclass.org.
Mit einer Spende an motz & Co e. V. wird nicht nur das Straßenmagazin unterstützt, sondern auch die Notübernachtung in der Weserstraße 36. Weitere Infos auf motz-berlin.de.
400 obdachlose Menschen verkaufen den „Karuna Kompass“ momentan unter erschwerten Bedingungen. Auch die Karuna Sozialgenossenschaft ruft zu Spenden auf. Weitere Infos auf karuna-sozialgenossenschaft.de. (sah)
Journalistische Qualität und gesellschaftliches Engagement will seit 2018 auch Arts oft the Working Class zusammenbringen. Wie bei der traditionsreichen motz und dem Karuna Kompass ermöglicht der Verkauf der Straßenzeitung wohnungslosen Menschen in Berlin ein Einkommen. Inhaltlich fokussiert die Zeitung dabei die Schnittstelle von Kunst und Gesellschaft. Doch wie das LGBTI*-Magazin geraten auch die Straßenzeitungen durch die Coronakrise unter Druck.
„Uns geht es momentan ähnlich wie der Siegessäule, auch wir verdienen nur an Anzeigen“, erzählt María Inés Plaza Lazo, eine der drei Herausgeber*innen von Arts oft he Working Class der taz. „Die Museen haben ihre Anzeigen gecancelt“, berichtet Plaza Lazo. „Und die Fluktuation in der U-Bahn und in der Stadt ist nicht mit sonst vergleichbar. Wir müssen auf unsere Leute schauen, der Verkauf hat sich deutlich verlangsamt.“
30.000 Exemplare der mehrsprachigen und explizit linken Arts of the Working Class werden monatlich gedruckt. Der Preis von 2,50 Euro geht vollständig an die Verkäufer*innen. Zusätzlich zur Zeitung können die Bedürftigen jetzt in der Krise Second-Hand-Artikel anbieten, die Plaza Lazos Team mit linken Slogans bedrucken ließ. „Every Billionaire is a Policy Failure“, steht da auf einer Tragetasche und „Oops, you are part of the problem“, auf einem Vintagepullover.
Die Redakteur*innen der Straßenzeitung wären zunächst durch die Krisensoforthilfe für Selbstständige aufgefangen worden, erzählt die Verlegerin. Ohne solidarische Anzeigenkund*innen und Spenden wird sich das gemeinnützige Zeitungsunternehmen jedoch nicht halten können.
Aber: „Niemand bei uns arbeitet ehrenamtlich“, unterstreicht Plaza Lazo am Telefon. „Auch in der Coronakrise müssen wir selbst die Logiken der Selbstausbeutung durchbrechen, die wir im Heft zum Thema machen.“
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