Medaillenspiegel Olympische Spiele: Das Goldlöckchenmodell
Normalerweise führt den Medaillenspiegel an, wer am meisten Goldmedaillen hat. Eine andere Betrachtung ist möglicherweise fairer.
H eute zählen wir Olympiamedaillen. Das macht Spaß und hält jung. Sportpolitikerinnen und Sportfunktionäre machen das auch sehr gern, deswegen wirken sie so kregel. In der DDR zum Beispiel galt: Je mehr Olympiamedaillen man bei den Spielen einheimste, desto bedeutender war das Land. Und so kam es, dass die DDR nach den Boykottspielen von Moskau das zweitbedeutendste Land der Welt war – immerhin noch 9 Jahre lang. Heute ist China das bedeutendste Land der Welt, denn es hat in Paris genauso viele Goldmedaillen gewonnen wie die USA. Aber wenn man die besondere Gewichtung der Goldmedaillen beiseitelässt und alle Medaillen aufsummiert, dann sind die USA natürlich das bedeutendste Land der Welt: 126:91.
Und Deutschland? Das ist in der normalen Abrechnung gerade so in die Top Ten der Plakettenprotzer gerutscht, also weniger bedeutend, aber es gibt ja noch diese eine Superduper-Rechnung des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), der Punkte bis Platz 8 vergibt, und mit dieser Extended Version wird Deutschland gleich viel bedeutender. Wir haben bis jetzt also die Überlegenheit Chinas, der USA und auch ein bisschen von Deutschland nachgewiesen, denn die hiesige Olympianation feiert vorbildlich einen siebten Platz wie einen zweiten – und wer vermag das schon?
Jetzt werden wir die Überlegenheit einer anderen Nation nachweisen: San Marino, eine Enklave in Italien. Es hat eine Bevölkerung von etwa 33.000 und gewann bei den Olympischen Spielen in Tokio 2021 drei Medaillen. In einer Medaillen-pro-Kopf-Rangliste war es eindeutig der Gewinner. Die USA belegten da den 59. Platz, China Platz 78. Es waren San Marinos Schützen, die das kleine Land so mächtig und bedeutend machten. Drei Jahre später wird nach dieser Rechnung die Karibik zum Zentrum der Welt, denn mit gleich drei Inseln – Grenada, Dominikanische Republik und St. Lucia – begründet sie ihre sportliche Suprematie. Sie wurzelt in den schnellen Läufen der Insulanerinnen und Insulaner.
Aber nicht nur DDR, China, die USA, Deutschland, San Marino, Grenada, St. Lucia und Dominikanische Republik sind bzw. waren groß, nein, auch Australien tanzt mit im Reigen der echt bedeutenden Nationen, also nicht nur flächenmäßig. Und das liegt an zwei Herren, die gar nicht in Paris an den Start gingen, sondern nur ihre Erkenntnisse im Journal of Sport Analytics ausbreiteten, „Population-adjusted national rankings in the Olympics“, so der Titel. Offiziell nennen Robert Duncan und Andrew Parece ihre Methode also die „wahrscheinlichkeitsbereinigte nationale Rangliste“. Die New York Times bezeichnet sie aus naheliegenden Gründen als das „Duncan-Parece-Modell“. Der englische Guardian war kreativer: Goldilocks-Modell nennt er es, Goldlöckchenmodell, weil, so begründen die Engländer ihre Wahl, es ein Gleichgewicht in der Rangliste findet, das weder große noch kleine Länder begünstigt.
Goldlöckchen ordnet die Länder danach ein, wie unwahrscheinlich ihre Medaillenzahlen wären, wenn alle Menschen in weltweit konkurrierenden Ländern die gleiche Neigung pro Kopf hätten, Medaillen zu gewinnen. Da die US-Bevölkerung beispielsweise etwa 13-mal größer ist als die von Australien, so wird erwartet, dass die USA bei den Spielen 13-mal mehr Medaillen gewinnt. Das Ergebnis: Hier rangieren die Aussies vor den Franzosen und Briten.
Wir brauchen nicht zu erwähnen, in welchen Nationen welche Zählung bevorzugt wird. Und bestimmt gibt es bald schon eine neue Herangehensweise, die eine Beziehung zwischen Waldbestand und Medaillenausbeute, Alkoholkonsum und Medaillenausbeute oder Größenwachstum und Medaillenausbeute zurecht modelliert. Wir sind gespannt, bewundern aber bis dahin all diese bedeutenden Nationen.
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