Meakusma-Festival in Belgien: Die Rache der Nerds
Nach Pandemie und Hochwasser ist in Belgien wieder das Festival Meakusma über die Bühne gegangen. Randständige Sounds finden hier ihre Hörerschaft.
Wenn ein Gastwirt sein bester Kunde ist, so nennt man das gemeinhin traurig. Wenn Musiker*innen häufig gesehene Gäste auf Konzerten von Kollegen sind, nennt man das Prosumentendasein. Hinter dem Begriff Prosument verbirgt sich eine Idee des US-Philosophen Alvin Toffler; das Portmanteau gibt dabei den Kern der Idee preis: Es geht um die Klasse jener Konsumenten, die gleichzeitig Produzenten der Ware sind.
Am Beispiel von Musikschaffenden, die Konzerte und Festivals besuchen, dort sich mit Gleichgesinnten austauschen, neue Kooperationen und Bandprojekte beginnen, um bei nächster Gelegenheit selbst auf der Bühne zu stehen, kann man erkennen: Solche Kreisläufe sind eng gesteckt.
Bei der diesjährigen Ausgabe des 2016 ins Leben gerufenen Meakusma Festivals, das am Wochenende im ostbelgischen Eupen stattgefunden hat, traf man auf allerlei Prosumenten. Die hohe Dichte professioneller Akteur*innen aus der Kreativwirtschaft ist der Markenkern des Festivals. Nach dreijähriger Pause hat es wieder im Alten Schlachthof der 20.000-Einwohner-Gemeinde im Länderdreieck Deutschland – Niederlande – Belgien an vier Tagen stattgefunden.
Man soll sich das nicht wie bei einem Branchentreff von Polohemden-Träger:innen vorstellen, bei dem stets Visitenkarten gezückt werden. Das Meakusma Festival gleicht in seinen besten Momenten einer schillernden Utopie: Ungewaschene Füße von urbanen Hippies tanzen dann über Perserteppiche in einem Hinterhof; Dancehall-Stars mixen Lovers Rock mit dem bisweilen verschmitzten HipHop von Missy Elliott und erzeugen knallharte Dub-Wände; auf Folk-Gitarren folgen Electronica und Soul.
Ein aktualisiertes Woodstock
Hier, im Hochmoor der Hügelkette Hoher Venn, wo ein Großteil der deutschsprachigen Minderheit Belgiens lebt, hat sich eine Gruppe von Music-Nerds ihre eigene Version von Woodstock gebastelt. Aktualisiert und mit vielfältigerem Musikprogramm, wohlgemerkt.
Ganze drei Jahre hat die Anhängerschaft warten müssen, um an dieser Utopie wieder teilhaben zu können. Einerseits vereitelte die weltweite Coronapandemie die Durchführung 2020, im vergangenen Jahr verhinderte dann das verheerende Hochwasser, das rund um Eupen die Ufer der belgischen Weser und anderer kleiner Flüsse flutete, die Durchführung. Fast 20 Prozent der Hotelbetten sind dadurch weggefallen.
Beim Gang durch das pittoreske Stadtzentrum sieht man von der Zerstörung nichts mehr. Hier stechen andere Merkmale hervor: Typisch für die Region wird simultan Französisch und Deutsch parliert, die Eupener begegnen dem Andrang der Connaisseure stets aufgeschlossen. Vielleicht aber etwas verhaltener als sonst, wie Stammbesucher*innen im Gespräch anmerken.
Selbst in der übermäßig besuchten Frittenbude kann man immer wieder ein Lächeln auf der anderen Seite der Theke ausmachen. Die Meakusma-Besucher*innen danken mit Schmatzgeräuschen beim Verzehr der in Schweinefett ausgebackenen Kartoffelstäbe. Das Festival ist ausverkauft und dauert diesmal einen Tag länger als sonst. Fast 50 Prozent mehr Künstler:innen als zuvor sind aufgeboten. Denn die ausgefallenen Auftritte der vergangenen Jahre werden nachgeholt. Einige Künstler*innen heben im Gespräch hervor, dass dieses Vorgehen einzigartig sei – sie geben deshalb nochmal ein paar Prozent mehr.
Chinesisches Scherenschnitttheater
Dieses Surplus ist förmlich zu spüren: So etwa bei der belgischen Nachwuchshoffnung Sky H1 (gesprochen „high“), die ihr Anfang des Jahres veröffentlichtes Album „Azure“ zu einer audio-visuellen Erfahrung ausgebaut hat. Zusammen mit der Grafikerin Mika Oki – beide kennen sich aus dem Brüsseler Umfeld – werden so die kristallinen und scharfkantigen Elektronika-Landschaften performativ verschleiert.
Sky H1 und Oki stehen auf der Bühne in einem Baldachin, sie selbst sind nicht zu sehen, sehr wohl aber ihre Silhouetten. Dadurch fühlt man sich in ein chinesisches Scherenschnitttheater versetzt; der Sound ist eine moderne Melange aus Bass-Klängen und trippelnden Hi-Hats.
Gleich nebenan im Kesselraum schwelgen die Besucher*innen derweil zur Musik der Schottin Susannah Stark, die ihren feinsinnigen Leftfield-Bedroom-Pop in Bandkonstellation aufführt und die ein oder andere Träne in Gesichter zaubert. So ist es beim Meakusma – immer wieder treffen Gegensätze und Überraschungen im Programm aufeinander.
Ebenso unerwartet: Freitagnacht, ein Uhr. Andernorts nennt man das Peak-Time und bietet seine breitbeinigeren Acts auf, hier setzt sich der sympathische Detroiter Sänger und Houseproduzent John F. M. ans Piano und spielt R&B-Torchsongs, nur mit Piano. Mit Engelszunge besingt der Künstler nicht nur Herzschmerz, sondern auch Schusswaffenverbrechen bei Partys.
Springen über Genregrenzen
Die ungewöhnliche Programmierung geht zwar immer wieder auf, droht aber so manchen Raum auch zu überfordern. Was nicht allein Fehler des Teams sein kann, sondern sich auch aus der geschmackssicheren Volatilität der Besucher*innen ergibt. Diese halten sich nämlich nicht an Genregrenzen, sondern springen teils intuitiv von Auftrittsort zu Auftrittsort, von Jazz zu Jungle, zurück zu Singer-Songwriter-Folk.
Dazwischen wird viel diskutiert: Auftritte werden resümiert, dann wieder über das Thema „kulturelle Aneignung“ gestritten, man fachsimpelt über die Vorteile bestimmter Synthesizer. Währenddessen pumpen im Open-Air-Innenhof sämtliche Spielarten afrokaribischer Bassmusik aus einem aufgestellten Soundsystem klassischer Bauart.
Für gute Stimmung sorgen am Freitag- und Samstagabend auch etliche Neuankömmlinge der Generation Z, die vor allem zum Tanzen gekommen sind. So schäumt die Stimmung auf dem Dancefloor „Heuboden“ über, der über das Wochenende vom französisch-belgischen Internetradio LYL kuratiert wird.
Jubel, als die beiden Lokalhelden Front de Cadeau brachial-stampfende New-Beat-Smasher im Zeitlupentempo bieten. Die belgische Spätachtzigervariante von Techno wird hier auf sonst unpopuläre 90 BPM runtergepitcht.
Musik, abseits der großen Märkte
Was beide Seiten – Produzierende und Konsument*innen – eint: Wer das Festival Meakusma besucht, weiß, dass es in Eupen um randständige Musik geht, die abseits der großen Märkte ihre eigenen Wege und Orte findet.
Der Zusammenhalt ist daher besonders gut. Nächstes Jahr könnte man ja selbst auf der Bühne stehen. Die Besucher*innen schauen sich an, wissend, dass es hier in Belgien nicht um Abzocke geht. Meakusma bleibt für immer die Rache der Nerds.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren