#MeToo-Fall in Baden-Württemberg: Innenminister als Whistleblower?
Thomas Strobl hat wohl vertrauliche Unterlagen in einem #MeToo-Fall an die Presse weitergegeben. Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen ihn.
Jetzt könnte er mit diesem Versprechen zu weit gegangen sein. Im Dezember vergangenen Jahres, das hat Strobl inzwischen zugegeben, hat er einem Journalisten der Stuttgarter Nachrichten einen Brief des Anwalts des beschuldigten Polizeibeamten gesteckt. Darin bietet der Anwalt dem Innenminsiterium Gespräche über den Vorfall an. Nach Ansicht des Innenministers ein unsittliches Angebot. Ein Artikel erschien, in dem der Reporter ausführlich aus dem Brief zitiert. Die Staatsanwaltschaft sah darin einen Verstoß gegen das Zitierverbot von Amtsakten wie Anklageschriften und nahm Ermittlungen auf. Doch die ließ das Innenministerium stoppen.
Strobl hat all das am Mittwoch in einer Sondersitzung des Innenausschusses eingeräumt, aber Rücktrittsforderungen der Opposition abgelehnt. Er wisse nicht, warum er zurücktreten solle, erklärte Strobl.
Die Opposition sah das naturgemäß anders. Strobl habe Dienstgeheimnisse weitergegeben, seine Fürsorgepflicht verletzt und die Öffentlichkeit zunächst über die Weitergabe des Schreibens belogen. „Das ist ein skandalöser Vorgang. Dieser Minister hat jegliche Autorität verloren und muss aus seinem Amt zurücktreten“, sagte SPD-Fraktionschef Andreas Stoch nach der Sitzung. FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke drohte gar mit einem Untersuchungsausschuss: „Bei den Abgründen, die sich auftun, kann dieser Minister nicht mehr im Amt bleiben.“
CDU und Grüne halten an Strobl fest
Mit dem Oppositionsgetöse ist die Affäre noch nicht zu Ende. Denn seit gestern ermittelt die Staatsanwaltschaft wieder in der Sache: Sowohl gegen den Journalisten als auch gegen den Innenminister. Dem Journalisten werfen die Ermittler vor, aus amtlichen Dokumenten zitiert zu haben, was Strafen von bis zu einem Jahr Haft nach sich ziehen kann. Strobl wirft die Staatsanwaltschaft Anstiftung vor, was einen Strafbefehl nach sich ziehen könnte.
Kann ein Innenminister im Amt bleiben, der sich mit solchen Vorwürfen konfrontiert sieht und den Sachverhalt eigentlich auch schon zugegeben hat? Na klar, finden die Spitzen der grün-schwarzen Koalition, die am Donnerstag bei ihrer Pressekonferenz zum ersten Jahrestag ihrer Regierung lieber über die starke Wirtschaft des Landes und den Erhalt der Schöpfung gesprochen hätten, als auf Fragen zu einem möglichen Rücktritt Strobls zu antworten.
Die grüne Landtagsfraktion habe volles Vertrauen zu Strobl, sagte deren Chef Andreas Schwarz. Und CDU-Fraktionschef Manuel Hagel stritt ab, dass ein Innenminister, gegen den die Staatsanwaltschaft ermittelt, eine Belastung für die Regierung sei. „Wenn das so wäre, würden wir seinen Rücktritt fordern, das tun wir aber nicht“. Es gelte die Unschuldsvermutung, so der CDU-Politiker.
Ministerpräsident Winfried Kretschmann hatte gestern eine Stellungnahme zu den Vorgängen abgelehnt. Er sei vom Innenminister am Sonntag informiert worden, sonst sei er aber „mit der Sache überhaupt nicht befasst“, hatte Kretschmann noch am Dienstag in der wöchentlichen Regierungspresskonferenz schmallippig erklärt. Das dürfte sich inzwischen geändert haben.
Aber dennoch ist es unwahrscheinlich, dass Kretschmann oder die CDU den Innenminister zum Rücktritt bewegt. Kretschmann, der mit Strobl gut kann, aber auch viele in dessen eigener Partei, die mit ihm nicht ganz so gut können, sehen den Innenminister als Garant für eine stabile Regierung. Für das junge CDU-Polit-Talent Manuel Hagel ist es vier Jahre vor der nächsten Landtagswahl noch zu früh, um Strobl abzuservieren, auch wenn alle davon ausgehen, dass Hagel als Nachfolger Strobls Parteivorsitzender werden möchte.
Und wie steht es um die eigentlichen Ermittlungen im Fall der sexuellen Nötigung? Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft laufen seit sechs Monaten, obwohl anders als in ähnlichen Fällen die Beweislage relativ klar ist. Die betroffene Beamtin hatte das Videogespräch, in dem der Polizeiinspekteur seine sexuellen Vorlieben klar gemacht hatte, mitgeschnitten und der Polizei übergeben. Doch nun wird gegen die junge Frau ebenfalls ermittelt – der Mitschnitt eines privaten Gesprächs war illegal.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Fall Mouhamed Dramé
Psychische Krisen lassen sich nicht mit der Waffe lösen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“