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Matthias MatussekDie Revolte in Gänsefüßchen

Seit Terroristen die Freie und Hansestadt Hamburg angegriffen haben, scheint es kein anderes Thema mehr zu geben. Das ist ärgerlich für Matthias Matussek und die Zeit, die sich darum beworben hatten, den Aufreger der Woche zu produzieren.

In einem Spezial zu den 68ern veröffentlichte nun auch Matussek seinen Konversionsbericht: „Wie ich von links nach rechts gelangte“. Geködert wurde die Leserin, die der Lebensbeichten von Renegaten möglicherweise schon etwas überdrüssig geworden sein könnte, mit der Unterzeile: „Früher Marxist, jetzt Sympathisant der Identitären – und ich bin mir dennoch treu geblieben“. Vorweg gesagt, der autobiografische Text ist schön zu lesen, Matussek auf der Höhe seines Könnens, aber über seine jüngsten Sympathien erfahren wir leider – nichts.

Er sei gebeten worden, die Wandlung zum heutigen Matussek zu beschreiben, schreibt der Autor, der lange für den Spiegel berichtete aus Ostberlin, New York, London, später zur Welt wechselte, die er 2015 wegen Äußerungen zu den Anschlägen von Paris verlassen musste. „Den Auftrag verstehe ich so: Warum bin ich so uncool geworden? Früher mal links und Flower-Power, jetzt Sympathisant der Sponti-Aktionen der ‚rechten‘ (und damit automatisch ‚rechtsextremen‘ oder ‚rechtsradikalen‘) Identitären. Das würde ich selbst gern wissen! Die flotte Antwort wäre: Indem ich mir treu geblieben bin, eben antiautoritär!“

Nach Lektüre kann man sagen, die These ist plausibel. Sich gegen die Autorität von Vater, Gesellschaft und Staat aufzulehnen, heißt für Matussek, den Exzess und die radikale Geste zu feiern und sich als guter deutscher Romantiker zu ­outen. An den Linken mag er schon als Studierender das schlechte Deutsch nicht. Die „völlig verblödete, geheimnislose Haltung zur Welt“ linker Dogmatiker ist ihm fremd. „Ich liebte das Geheimnis, die Kunst, die Nachtseite, ich kannte Ginsbergs ‚Howl‘ auswendig und las Burroughs’ ‚Naked Lunch‘ und de Quinceys Opiumesser, ich mochte ‚The Dark Side of the Moon‘.

Der nominell marxistische, maoistische und reichianische Rebell raucht Haschisch, wirft LSD-Trips und säuft sich in die Psychiatrie, dann folgt dem Exzess der Drogen der Exzess der Abstinenz: „In den kommenden Jahrzehnten würde ich kein Glas, keine Drogen mehr anrühren. Besonders für junge Gemüter ist das Gift!“ Abstinenz macht nicht jeden klüger.

Erwachsen werden heißt maßhalten lernen, das macht es so langweilig. Erwachsen werden ist der Kunst daher möglicherweise abträglich, auch wenn manche Dichter das ganz anders sahen, etwa Peter Hacks, der die deutsche Romantik als britische Geheimdienstaktion betrachtete, die sich gegen Aufklärung und Vernunft richtete. Er schrieb mit Blick auf die DDR: „Ein von der Romantik befallenes Land sollte die Möglichkeit seines Untergangs in Betracht ziehen.“

Die Berliner Republik wird von goetheanischer Vernunft regiert und nicht so schnell untergehen, und Matusseks Revolte in Gänsefüßchen ist nicht viel mehr als kindisch. Ulrich Gutmair

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