piwik no script img

Maßnahmen gegen dritte CoronawelleAngebotsgebot statt Testpflicht

Anja Krüger
Kommentar von Anja Krüger

Ar­beit­ge­be­r:in­nen sind nun verpflichtet, Beschäftigten regelmäßig Coronatests anzubieten. ­Doch ob­ das ­funktioniert,­ ist­ sehr zweifelhaft.

Testen oder nicht testen – das ist in Betrieben weiterhin die Frage Foto: Hannibal Hanschke/reuters

D ie Bundesregierung nennt es „Testpflicht“, aber der Begriff führt in die Irre. Angebotsgebot ist die treffendere Bezeichnung für das, was das Bundeskabinett am Dienstag beschlossen und was Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) mit seiner Unterschrift unter der geänderten Verordnung zum Arbeitsschutz auf den Weg gebracht hat: Ab kommender Woche müssen Unternehmen ihren Beschäftigten mindestens einmal pro Woche einen Coronatest anbieten, wenn die nicht im Homeoffice sind. In Branchen mit erhöhtem Risiko etwa wegen großem Publikumsverkehr sollen es zwei Test wöchentlich sein. Das sind laut Heil rund 30 Prozent der Berufe. Zur Erinnerung: Tests geben Sicherheit für 24 Stunden, mehr nicht. Die Kontrollfrequenz ist also viel zu niedrig.

Immerhin: Statt fruchtloser Appelle hat sich die Bundesregierung endlich entschlossen, den weiterhin arbeitenden Unternehmen klare Vorgaben zu machen – und sie nicht wie bisher auf Kosten des Infektionsschutzes zu schonen. Wirtschaftsverbände haben sich vehement gegen das Angebotsgebot gewehrt und damit einmal mehr gezeigt, dass sie nicht die richtigen Partner in der Pandemiebekämpfung sind. Während ein Teil der Wirtschaft komplett stillgelegt ist, darf der Rest, von wenigen Regeln abgesehen, auch auf Druck von Wirtschaftslobbyisten einfach weitermachen wie bisher. Das ist fatal.

Das von den Betrieben zu finanzierende Testangebotsgebot ist richtig. Aber es ist ungewiss, ob Heil mit den gewählten Vorgaben tatsächlich das Ziel erreicht, dass Ar­beit­neh­me­r:in­nen regelmäßig flächendeckend getestet werden. Unternehmen, die bislang so verantwortungslos waren und ihren nicht im Homeoffice arbeitenden Leuten keine Tests zur Verfügung gestellt haben, haben leider gute Chancen damit weiter durchzukommen. Auch wenn das ihren eigenen ökonomischen Interessen völlig zuwiderläuft. Aber Gewinnstreben und der Drang, Kosten zu vermeiden, führen eben keineswegs automatisch zu rationalem Handeln.

Großes Manko: Beschäftigte haben keinen Anspruch auf den Nachweis, dass sie negativ getestet wurden

Eigentlich müssten Ar­beit­ge­be­r:in­nen ein großes Eigeninteresse haben, gerade symptomlose Beschäftigte mit einer Coronainfektion so früh wie möglich zu entdecken und so Kettenansteckungen in der Belegschaft zu verhindern. Wegen Krankheit ausfallende Beschäftigte sind einfach nicht wirtschaftlich, mehrere Ausfälle auf einmal schaden enorm. Trotzdem können sich Ar­beit­neh­me­r:in­nen nach Heils Angaben erst in 60 Prozent der Betriebe regelmäßig testen lassen.

Zu leicht zu umgehen

Dabei ist nach dem Privatbereich Heil zufolge der Arbeitsplatz der Ort, an dem die meisten Infektionen stattfinden. „Der Teil der Wirtschaft, der offen bleibt, ist gefordert, einen Beitrag zu leisten“, sagte Heil bei der Vorstellung des Angebotsgebots.

Bis Ende Juni müssen Unternehmen deshalb die Coronakontrollen anbieten, das sieht die geänderte Arbeitsschutzverordnung vor, die fünf Tage nach ihrer Veröffentlichung in der kommenden Woche in Kraft tritt. Aber: Für Unternehmen ist es leicht, sich zu entziehen. Die Kontrolle des Testangebots ist Sache der Arbeitsschutzbehörden der Ländern und der Berufsgenossenschaften. Im „Zweifelsfall“ würden sie Stichproben vornehmen, sagte Heil. Verweigern Che­f:in­nen das Angebot, können sich Beschäftigte an die Behörden wenden.

Dass die bis Ende Juni auf Beschwerden hin in die Gänge kommen – nicht sehr wahrscheinlich. Unternehmen droht ein Bußgeld, wenn sie sich verweigern. Sie können sich also freikaufen. Zumal das Bußgeld nicht automatisch fällig wird, wenn nicht getestet wird. Denn der Staat ist ziemlich kulant. „Es reicht der Bestellschein, um nachzuweisen, dass man sich bemüht hat, Tests zu bekommen“, sagte Heil. Auch Lieferverzögerungen würden akzeptiert. Das ist geradezu eine Einladung für Ausreden.

Zur Verfügung stehen genug Test, daran kann das betriebliche Obligatorium nicht scheitern. Zu diesem Ergebnis ist jedenfalls die von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) geleitete Task-Force gekommen. Akzeptiert von der Bundesregierung werden alle im Handel erhältlichen Kontrollkits, auch Schnell- und Selbsttests. Firmen können die Kosten steuerlich geltend machen, auch eine Anrechung über die Corona-Wirtschaftshilfen soll möglich sein. Heil geht davon aus, dass pro Beschäftigte bis Ende Juni für Unternehmen Kosten von 130 Euro anfallen. Bei rund 6 Euro pro Test in elf Wochen ist das allerdings großzügig gerechnet, da müssten schon für alle zwei Kontrollen wöchentlich drin sein.

Willkür in vielen Kleinbetrieben

Ein großes Manko: Die Beschäftigten haben keinen Rechtsanspruch auf den Nachweis, dass sie negativ getestet wurden. „Wir werden die Unternehmen nicht mit der von Verbänden behaupteten Bürokratie belasten“, sagte Heil. Aber damit entfällt für die Mit­ar­bei­te­r:in­nen auch ein Grund, einen Test einzufordern: Um eine Bescheinigung für den Friseurbesuch oder Einkauf zu erhalten.

Eine Testpflicht für Beschäftigte gibt es nicht. Das wäre ein gesetzgeberisch aufwendiges Verfahren gewesen, was länger gedauert hätte, sagte Heil. „Mir ging es um eine pragmatische Lösung“, erklärte er. Und: Unternehmen hätten darauf hingewiesen, dass die Kontrolle bei einer Testpflicht für Beschäftigte für sie mit einem erheblichen Aufwand verbunden gewesen wäre.

Ein Anspruch ohne eine Pflicht für die Berechtigten hat ein Problem: In unwilligen Firmen müssen Mit­ar­bei­te­r:in­nen die Realisierung des Anspruchs einfordern. In großen Unternehmen mit Betriebsräten ist das vergleichsweise leicht, denn es gibt dafür klare Regeln und oft Betriebsvereinbarungen zu Corona.

Aber in den zigtausenden kleinen und in­ha­be­r:in­ge­führ­ten Firmen, in denen der Chef oder die Chefin jeden auszugebenden Cent als Entnahme aus dem Privatvermögen ansieht, ist die Sache nicht so einfach. In Kleinbetrieben, vor allem da, wo es quasi keinen Kündigungsschutz gibt, herrscht trotz Arbeitsschutzgesetzen Willkür. Beschäftigte sind dort nicht in der Position, etwas einzufordern. Und: Viele Menschen fürchten die kommende Wirtschaftskrise und haben Angst um ihren Job. Den werden sie vermutlich nicht wegen eines Tests riskieren.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Anja Krüger
Wirtschaftsredakteurin
Buchveröffentlichungen: „Die verlogene Politik. Macht um jeden Preis“ (Knaur Taschenbuch Verlag, 2010), „Die Angstmacher. Wie uns die Versicherungswirtschaft abzockt“ (Lübbe Ehrenwirth, 2012).
Mehr zum Thema

8 Kommentare

 / 
  • Leider wird auch diese Maßnahme wieder scheitern!



    Ohne eine Möglichkeit einen verpflichtenden Coronatest durchzuführen hat man als Unternehmer keine Chance ein Schutz der Belegschaft durchzusetzen. Die Verweigerer bei den freiwilligen Tests sind leider genau diejenigen, die sich auch sonst allen Schutzmaßnahmen verweigern. Diese Menschen sind es aber die durch ihr Verhalten im Alltag die größte Gefahr tragen ansteckend zu sein. Somit wird mit großem Aufwand der Schnelltest durchgeführt, aber einen Schutz aller Mitarbeiter wird nicht erreicht.



    Würde man den Arbeitsschutz ernst nehmen, müssten die Test verpflichtend sein. Schließlich geht es ja darum die anderen Mitarbeiter vor einer Ansteckung zu schützen, also ein unnötiges Risiko zu minimieren, wie es auch sonst Sinn und Zweck des Arbeitsschutzes ist.

  • Herr Heil, Herr Scholz, na da sind sie aber einer Entschuldigung an uns Bürger aber gekonnt vorbeigeschlittert oder?



    Was haben Sie beide am Wochenende noch getönt, "Ja es wird eine Pflicht" geben. Eine Pflicht, die nicht protokolliert wird, die nicht nachverfolgt wird, die nicht einmal eingefordert werden kann.



    Danke das sie dem Wirtschafts-, ähm Kapitalismusgedanken, wieder freie Fahrt gegeben haben. Den Mitarbeiterschutz so schön vor die Wand gefahren haben.



    Genau mit solchen Mitteln werden wir auch im Sommer, mit Werten um 5.000-10.000 Infizierten pro Tag im max, arbeiten....Danke. Danke für NICHTS.

  • "... und damit einmal mehr gezeigt, dass sie nicht die richtigen Partner in der Pandemiebekämpfung sind"

    Das haben sie aber sehr elegant formuliert :-)

  • "Testpflicht" wie "Transaktionssteuer" - ein weiterer Etikettenschwindel der SPD.

    • @Wurstprofessor:

      Die SPD wollte eine funktionierende Testpflicht mit 2 kontrollierten Tests pro Woche, ganz wie das alle die sich auskennen dringend nahelegen. Den Mist mit der "Testangebotspflicht" hat uns Altmeier auf Merkels Befehl eingebrockt.

      Wenn sich 2 Koalitionspartner streiten, muss halt in der Regel der kleinere nachgeben.

      (Wusste die SPD aber, als sie sich auf eine GroKo einließ. No tears insofern. Aber die unmittelbare Schuld liegt in diesem und ähnlichen Fällen ganz klar bei CDU/CSU.)

  • Erst die Geschichte mit dem Impfangebot, jetzt das Testangebotsgebot - wenn das so weitergeht, spricht man demnächst beim Boxen von einem K.O.- Angebot und im „Tatort“ von einem versuchten Tötungsangebot. Wär' doch mal ein Angebot wert (;-))

    • @Rainer B.:

      ich hab gehört, demnächst soll man sein Einverständnis erklären, kurz bevor man stirbt. Damit soll die Entscheidung leichter gemacht werden, die Last des Unausweichlichen genommen werden und gleichzeitig eine echte Wahlalternative geschaffen werden.....

      • @nutzer:

        Nein, niemals! Wir brauchen erst mal einen freien, ergebnisoffenen Diskurs, ob "tot" auch wirklich "tot" ist, oder nicht doch eher "auf eine höhere karmische Ebene aufgestiegen", und ob die Meinung der Toten jemanden interessieren soltle, oder ob nicht eher Krishna das alles per Schauung der Akasha-Chronik top-down regelt.