Massive Luftangriffe auf die Ukraine: Im Kampf gegen die Shahed-Drohnen
Russlands Drohnen fliegen nicht nur höher als bisher, es kommen auch deutlich mehr auf einmal. Die ukrainische Luftabwehr muss ihre Taktik ändern

Um die Logistik, die Versorgung und die militärischen Stellungen sicherzustellen, benötigt die Ukraine Mittel der elektronischen Kriegsführung und der Luftabwehr. Der Bedarf an beidem ist aktuell größer als bisher, da die russische Armee jetzt bei der Zerstörung von Städten und Zivilbevölkerung die „tschetschenische Taktik“ anwendet, also versucht, durch asymmetrische Kriegsführung die Ukrainer zu zermürben.
Bereits im März 2025 hatte die ukrainische Militäraufklärung davor gewarnt, dass die russische Armee geplant habe, bis zur Mitte des Sommers die Zahl der auf die Ukraine abgefeuerten Shahed-Drohnen auf bis zu 500 täglich auszuweiten.
Hilfe aus Deutschland
Um mit dieser Bedrohung fertig zu werden, braucht die Ukraine die Hilfe ihrer Partner. Im April hatte der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius erklärt, dass Deutschland der Ukraine vier Iris-T-Luftabwehrsysteme und 300 dazugehörige Raketen liefern werde, und bereits dreißig Raketen für die Patriot-Systeme übergeben habe. Am 28. Mai unterzeichneten Pistorius und sein ukrainischer Amtskollege Rustem Umerow ein Abkommen über die deutsche Finanzierungshilfe für die Entwicklung der ukrainischen Rüstungsindustrie.
Mit dem Einmarsch im 24. Februar 2022 begann der groß angelegte russische Angriffskrieg auf die Ukraine. Bereits im März 2014 erfolgte die Annexion der Krim, kurz darauf entbrannte der Konflikt in den ostukrainischen Gebieten.
Darüber hinaus unterzeichneten Umerow und das deutsche Rüstungsunternehmen Diehl einen Vertrag über die Lieferung von Luftabwehrsystemen und entsprechender Munition an die Ukraine. Außerdem bemüht sich die Ukraine darum, eine Lizenz für die Produktion von Raketen für westliche Luftabwehrsysteme zu erhalten.
Allerdings dient der Großteil dieser Waffen in erster Linie der Abwehr von Raketenangriffen. Und wie sich in den letzten Wochen gezeigt hat, sind Russlands Möglichkeiten dafür erheblich eingeschränkt. Eine immer stärkere Rolle spielen jetzt die massiven Angriffe mit Shahed-Drohnen.
Kaum ein Tag ohne massiven Drohnenbeschuss
Fragt man die Flakschützen der 115. motorisierten Schützenbrigade im Gebiet Charkiw: „Und was, wenn es heute ruhig bleibt?“, dann lachen sie nur. In den letzten Wochen gab es nur einen Tag, an dem sie nicht mit russischen Drohnen zu tun hatten.
Trotz massiven Flakfeuers mit der SU-23-2 und Beschuss mit großkalibrigen Maschinengewehren wurden die Shaheds nicht getroffen. Das ist aber kein Zeichen für Unerfahrenheit oder mangelnde Vorbereitung der Flakschützen. Auch fehlt es ihnen nicht an Munition. Alle hier in der Brigade haben jahrelange Kampferfahrung und schon zahlreiche gegnerische Ziele unschädlich gemacht.
Das Problem ist ein anderes. Russland hat seinen Shahed-Einsatz verändert: Während die Drohnen zu Kriegsbeginn auf einer Höhe von 800 Metern flogen, kommen sie jetzt auf mehr als 3.000 Meter angeflogen und sind damit für Handfeuerwaffen kaum noch erreichbar.
Bis zu 500 Drohnen pro Tag
Der Kommandeur der Flugabwehrabteilung SU-23-2 der 115. Selbständigen mechanisierten Brigade, Kampfname „Hasan“, der seit dem 27. Februar 2022 im Kriegseinsatz ist, bestätigt, dass die Zahl der Shaheds seit Jahresbeginn massiv angestiegen ist. Wahrscheinlich werden die Drohnen seitdem tatsächlich in Russland selbst produziert. Ursprünglich stammen sie aus iranischer Produktion.
„Hasan“ konstatiert, dass die wirksamste Waffe gegen die Shahed-Drohnen derzeit nur Abfangdrohnen sind und es absolut notwendig sei, diese anstelle von Handfeuerwaffen einzusetzen: „Ich sage Ihnen ganz ehrlich, wir müssen diese Waffen einfach abgeben und alle massiv zu Abfangjägern umschulen. Denn während wir mit einer Handfeuerwaffe vielleicht eine Drohne erwischen, kann man mit FPV-Flugabwehrdrohnen gleich fünf abschießen.“
Auch mit dem US-amerikanischen tragbaren Flugabwehrraketensystem Stinger könnten Drohnen effektiv abgeschossen werden, erklärt „Hasan“. Aber die Militärs ziehen es vor, sich nicht dazu zu äußern, dass die US-Regierung von Donald Trump gerade 20.000 Raketen für tragbare Flugabwehrraketensysteme in den Nahen Osten statt in die Ukraine geliefert hat.
Zahlreiche Großangriffe auf Charkiw im Juni
Was dieser massive Drohnenbeschuss für die Menschen in der Ukraine bedeutet, konnte man aktuell an dem Großangriff auf Kyjiw vom 17. Juni, aber auch in Charkiw sehen. Die Stadt in der Ostukraine wurde in der vergangenen Woche mehrfach massiv mit Shahed-Drohnen, Raketen und Lenkbomben beschossen. Die schwersten Angriffe gab es am 5., 7., 11. und 12. Juni. Dabei wurden 14 Menschen getötet und 119 verletzt, darunter 12 Kinder. Dutzende Menschen sind noch in Krankenhäusern.
Das Ausmaß der Zerstörung ist enorm: Weit über hundert Wohnhäuser, städtische Infrastruktureinrichtungen, ein Friedhof, ein Trolleybusdepot, Trolleybusse, ein Kinderspielplatz und ein ziviles Unternehmen wurden beschädigt.
Die Frage, ob ausländische Hilfe erforderlich ist, um die Produktion von Abfangdrohnen in der Ukraine aufzunehmen, ist offen. Es scheint aber, dass die Produktion einfach massiv ausgebaut werden muss. Und weder der Staat noch die regionalen Behörden und Militärverwaltungen sollten sich aus diesem Prozess heraushalten. Denn gerade die Kommunen verfügen über die finanziellen Ressourcen und sind in der Lage, den Luftraum ihrer Siedlungen zu schützen, wenn schon nicht vor Raketen, dann zumindest vor den zerstörerischsten Drohnen, die es in der Geschichte des Krieges gibt, den Drohnen vom Typ Shahed.
Aus dem Russischen: Gaby Coldewey
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