Massenkontrollen: Muslime unter Verdacht
Aller Kritik zum Trotz will Niedersachsen die verdachtsunabhängigen Kontrollen vor Moscheen beibehalten.
Niedersachsen führt als einziges Bundesland verdachtsunabhängige Personenkontrollen vor Moscheen durch. Bei den muslimischen Verbänden bestehe grundsätzlich Verständnis für die Notwendigkeit dieser Kontrollen, behauptet das niedersächsische Innenministerium. Der Sprecher von Innenminister Uwe Schünemann (CDU), Frank Raschke, spricht von "Akzeptanz" bei den Moscheegemeinden. Man sei mit dem niedersächsisch-bremischen Landesverband der türkischen Dachorganisation DITIB und mit der Schura Niedersachsen in "gutem Dialog" über eine möglichst rücksichtsvolle Durchführung.
In Wirklichkeit üben die muslimischen Verbände grundsätzliche Kritik an den Kontrollen, die zwei- bis fünfmal pro Jahr vor den Moscheen stattfinden. Wolf Ahmed Aries, Berater des niedersächsischen Schura-Vorsitzenden, spricht von einer "Demütigung, die zutiefst verletzt".
Die Kontrollen gibt es seit 2003. Sie hätten sich als "Instrument zur Erkenntnisgewinnung im Bereich des islamistischen Extremismus bewährt", so das Innenministerium in seiner Antwort auf eine Anfrage der Grünen. Ministeriumssprecher Raschke verweist darauf, dass derzeit kein so genannter Hassprediger in Niedersachsen bekannt sei. 2007 dagegen sei ihre Zahl auf eins bis fünf geschätzt worden.
Die Kontrollen hätten Erkenntnisse über Verbindungen der Sauerland-Gruppe nach Niedersachsen erbracht. Als Nebeneffekt seien dabei 65 Personen wegen Delikten der allgemeinen und organisierten Kriminalität festgenommen worden.
Die Schura Niedersachsen überzeugen diese Argumente nicht. "Wenn man vor Kirchen kontrollierte, würde man die gleichen Ergebnisse bekommen", sagt Aries. Was die Hassprediger anbelangt, so glaubt er, dass Schura und Innenministerium eine "unterschiedliche Definition" verträten. Es könne sich auch schlicht um "sehr fromme Menschen" handeln.
Das Innenministerium verweist in seiner Antwort auf die Grünen-Anfrage auf ein Interview des DITIB-Landesvorsitzenden Ali Ihsan Ünlü mit der türkischen Tageszeitung Hürriyet: "Ünlü sagte gegenüber der Hürriyet, dass die andauernden Personenkontrollen für die Sicherheit notwendig seien und zur Abwehr gegen den Extremismus und Terror dienten".
Gegenüber dem Tagesspiegel hatte Ünlü hinzugefügt, die Kontrollen dürften nicht "ohne konkreten Anlass" durchgeführt werden. Den sieht das Innenministerium jedoch als gegeben: Die Kontrollen, so Sprecher Raschke, erfolgten nach Einschätzung durch den polizeilichen Lagebericht.
Für Filiz Polat, migrationspolitische Sprecherin der niedersächsischen Grünen, bleiben die Kontrollen "unverhältnismäßig". Nachvollziehbare Erkenntnisse im Bereich islamistischen Terrors könne sie nicht entdecken, sagt Polat. Sie rät den muslimischen Gemeinden, gegen die Kontrollen zu klagen: wegen "Unverhältnismäßigkeit" oder wegen "Eingriffs in die freie Religionsausübung".
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Scholz bezeichnet russischen Raketeneinsatz als „furchtbare Eskalation“