Massaker in Orlando: Der falsche einsame Cowboy
Der Attentäter wird als ein Mann identifiziert, der gern in die queere Bar Pulse ging. Um seine späteren Opfer auszukundschaften? Im Gegenteil.
Kluge Kriminologie widmet sich dem Täter oder der Täterin – und versucht sich so einen Reim auf die Tat zu machen. So erst werden die Verheerungen und Versehrungen kenntlich. Das wiederum dient der Prävention ähnlicher Fälle.
Im Fall des US-amerikanischen Bürgers Omar Mateen ist inzwischen belastbar ermittelt worden: Er war nicht nur ein offenkundig schlechter Mann seiner Freundinnen und Frauen, die er bisweilen schlug und in jeder Hinsicht ängstigte.
Er, das Kind afghanischer Einwanderer in die USA, er sei eine Art einsamer Cowboy gewesen. Die Bilder, die wir von ihm kennen, zeigen ihn vor allem so: gut aussehend, absolut schwulenszenekompatibel, bisweilen lächelnd, albern oder verführend.
Das Bild kann nun erweitert werden, FBI und soziale Netzwerke haben mehr als nur Randaspekte aus dem Leben des Täters ermittelt: dass er beispielsweise im „Pulse“ schon vor seinem mörderischen Catwalking öfters zu Gast war. Und mittels einer App für schwule Kontakte stand er mit anderen in Verbindung, die zum schwulen Spektrum zu zählen sind.
Ein innerer Prozess der Annäherung
Möglich, dass der Täter von Orlando das Pulse bei seinen Besuchen nur ausspioniert hat, um sich Aufschluss über die Beschaffenheit des Ortes zu verschaffen. Möglicher – falls das so formuliert werden kann – ist jedoch, dass er den Ort der Lebens- und Feierlust einer von ihm offenbar verabscheuten Gruppe von Menschen so interessant fand wie keinen anderen. Dass seine Spionage in Wahrheit der Ablenkung diente von dem Gefühl, dort mit dazugehören zu wollen.
Insofern gehen diese weiteren Informationen uns alle an, denn es könnte sich aller Wahrscheinlichkeit nach bei Omar Mateen um einen klassischen Typus handeln: um den Mann, der aus familiären und religiösen Gründen keine Kraft findet, sich das eigene gleichgeschlechtliche Begehren einzugestehen und sich mit diesem auszusöhnen.
Das ist das, was Coming-out genannt wird. Ein innerer Prozess der Annäherung an das, was die Eltern, die Glaubensgemeinschaft auf gar keinen Fall wollen.
Omar Mateen, so lassen sich die kleinen Erzählungen von seinen Aufenthalten im Pulse lesen, war ein Mann, den das schwule Leben faszinierte. Der Liebe begehrte, Gewolltsein im fundamentalen Sinne suchte – und doch nicht konnte.
Armeen an tötungswilligen Männern
Literarisch könnte jetzt die Recherche zu dieser Tragödie beginnen: Wer war Omar Mateen – und was trieb ihn an, das auszulöschen, was er mutmaßlich am stärksten ersehnte? Alles buchstäblich nichtig zu machen und sich selbst am besten gleich dazu? Der finale Todesschuss als letztes Zeichen eines Suizidwunsches. Insofern ist das, was der offenbar psychisch dissoziiert handelnde Mörder Omar Mateen repräsentierte, kein muslimisches Problem allein.
In den USA – und anderen Teilen der Welt wie Osteuropa – laufen ganze Armeen an tötungswilligen Männern herum, die sich nicht anfreunden wollen mit Leben im nichtheterosexuellen Kontext. Denn, das können Heterosexuelle gleich welchen Geschlechts nicht ermessen (auch weil sie es nicht wollen): Es kostet krasse Energie, sich als Einzelner den durchweg heteronormativen Wünschen seiner Umgebung zu verweigern. Immerhin gelingt das Abermillionen, seit die Zeiten vor allem in rechtsstaatlich-demokratischen Ländern libertärer geworden sind.
Den Typus des im Hinblick auf ein Coming-out misslungenen Homosexuellen gibt es historisch in Fülle. Bischöfe, die in schwulen Badehäusern die Sau rauslassen, um von der Kanzel Schwulen das Fegefeuer anzukündigen. Pfaffen, die andere Homosexuelle in kirchlichen Einrichtungen als schwul diffamieren, um dann selbst versteckt das giftige Begehren auszuleben. Männer, die in die SS gingen, um besonders intensiv allem Homosexuellen in der härtesten Truppe der Nazis nachzuspüren.
Junge Männer, die anders empfinden
Auch aktuell ließen sich gewisse Taten, die die Öffentlichkeit in den vergangenen Jahren erregten, in diesem Sinne angucken. Die Attentäter, die die Flugzeuge in die Twin Towers steuerten: Lebten sie nicht in einer WG in Hamburg-Harburg, sich unentwegt waschend und reinigend, als müssten sie ihre weltlichen Körper vom Schweiße der erotischen Anziehungen säubern – und das auch noch als Programm größter Frauenferne?
Ließe sich nicht der schreckliche Amoklauf vor 14 Jahren in Erfurt auch so deuten: Ein männlicher Teenager, der jenseits seiner einsamen Stunden am Computer mit Counterstrike möglicherweise baren Horror empfand bei der Vorstellung, kein rechter Mann zu sein, weil er keinen Kontakt zu Mädchen haben wollte? So muss es nicht gewesen sein – aber die Möglichkeit wurde nicht einmal erwogen.
Junge Männer, die anders empfinden, verlegen sich, allen Forschungen zufolge, auf zwei Modi. Die einen fallen in depressive Zustände, die sich später als Übermunterkeit zeigt. Die anderen wenden es ins Brutale, Aggressive, gelegentlich Tödliche (gegen sich selbst, gegen andere).
Psychisch stabil
Mit dem Selbsthass, den nur wenige Homosexuelle nicht kennen in dem Moment der Einsicht, schwul sein zu können, beginnt das Coming-out. Viele junge Männer (und junge Frauen) schaffen es nicht, ihr den Eltern unerwünschtes Begehren wegzuknipsen, zu tilgen, zu vernichten. Das ist in christlichen oder nichtgläubigen Kontexten in Europa und Nordamerika immer noch der Fall, aber besonders virulent ist dieses Problem fürwahr in muslimischen Milieus.
Nirgendwo wird so sehr – von den Vätern, besonders von den Müttern – gewünscht, dass der Sohn andere Söhne zeugt und es nicht mit anderen Männern treibt. Der dynastische Druck ist sonst nur in evangelikalen, fundamental-katholischen oder jüdisch-orthodoxen Communitys so mächtig. Es sind die Orte, in denen Homophobie, Hass auf auf das Andere, das Unerwünschte, das Enttäuschende gezeugt, geboren und gepflegt wird. Der Fall Omar Mateen ist kein Beispiel für Muslimisches an sich. Dies wäre ein an Islamophie interessierter Blick. Wertlos, realitätsfern. Es lohnt sich mehr, über die Brutstätten des Hasses nachzudenken: die angeblich heilige Familie.
Der Frankfurter Sexualwissenschaftler Volkmar Sigusch formulierte in den frühen achtziger Jahren kalt: Einem Homosexuellen, der sein Coming-out geschafft hat, geht es psychisch stabil, er ist lebensfähig. Das Gegenteil kann, man müsste nur den Blick für diese Umstände so einstellen, auch zutreffen.
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