Martin Schulz über Eurobonds: "Keine Zeit für Vertragsdebatten"
Der künftige Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, fordert Eurobonds. Und ärgert sich darüber, dass die EU allzu oft als Schreckgespenst dargestellt wird.
taz: Herr Schulz, in zwei Monaten werden Sie voraussichtlich zum Präsidenten des Europäischen Parlaments gewählt. Haben Sie bei der Eurokrise überhaupt noch Lust dazu?
Martin Schulz: Ja, ich freue mich auf die Aufgabe. Aber mir ist auch klar, dass ich den Job in schweren Zeiten antrete.
Welche Rolle hat das EU-Parlament im Krisenmanagement?
Die Mitgliedstaaten haben in den vergangenen Jahren immer mehr Souveränität auf die EU übertragen. Aber sie vergessen, das Modell der klassischen Gewaltenteilung mit zu übertragen. Das ist eine Fehlkonstruktion, die dazu führt, dass die Bürger mit der EU fremdeln. Ich will die Rechte des Parlaments ausbauen und den Versuch der Mitgliedstaaten, immer mehr auf der zwischenstaatlichen Ebene zu regeln, zurückdrängen. Wir müssen das Parlament auch sichtbarer machen.
Sie kommen aus dem Land, das derzeit in der EU den Ton angibt. Nicht alle Länder sind über die deutsche Dominanz glücklich. Wie gehen Sie damit um?
Die nationale Herkunft sollte für den Präsidenten des Europäischen Parlaments keine Rolle spielen. Er ist allein der Institution verpflichtet. Aber natürlich bekomme ich oft zu hören, wir Deutsche treten als die Größten, die Stärksten und die Reichsten auf. Ich will dazu beitragen, dass die Beschwerden, dass Deutschland den anderen Lektionen erteilen will, wieder leiser werden.
Die deutsche Kanzlerin ist strikt gegen die Einführung von Eurobonds, die die EU-Kommission vorschlägt. Und Sie?
Wir brauchen ein Instrument, dass sich schnell umsetzen lässt - ohne große Vertragsänderungen. Für langwierige Vertragsdebatten haben wir jetzt keine Zeit. Deshalb bin ich für gemeinsame Staatsanleihen, für die aber zunächst jedes Land einzeln haftet. Das geht im Rahmen der bestehenden Verträge. Ich schließe aber nicht aus, dass diese Bonds später zu echten europäischen Staatsanleihen weiter entwickelt werden. Der Vorschlag der Kommission ist nur ein Einstieg.
Sie wollen also keine Vertragsänderung?
Ich weiß nicht, ob wir die EU jetzt mit einer solchen Debatte belasten sollten. Die Bürger wollen keine institutionelle Diskussion, sondern Lösungen für ihre wirtschaftlichen Probleme. Das Argument, eine Vertragsänderung würde die Eurozone stabilisieren, zieht nicht. Sie würde mindestens zwei Jahre dauern. In einigen Ländern müsste der neue Vertrag mit einem Referendum ratifiziert werden. Ich rate zu Vorsicht.
55, ist seit 2004 Vorsitzender der Sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament. Der gelernte Buchhändler aus Würselen (NRW) sitzt seit 1999 im SPD-Präsidium.
Frau Merkel sagt, eine Vertragsänderung wäre die einzige Lösung, steht damit aber ziemlich alleine da. Dennoch wagen nur wenige Regierungschefs, ihr öffentlich zu widersprechen. Können Sie nachvollziehen, dass eine solche EU einigen Bürgern Angst macht?
Die EU wird allzu oft als Schreckgespenst dargestellt. Tatsache ist, dass die Staats- und Regierungschefs der 17 Euroländer sich seit eineinhalb Jahren nicht einigen können; zumindest auf nichts, was funktioniert. Dann heißt es: Die EU funktioniert nicht. Warum sagt man nicht, dass es die Regierungen der 17 Euroländer sind, die nicht vorankommen? Die EU wird als Synonym gebraucht für alles, was schiefläuft.
Sie haben also den Glauben an die EU noch nicht verloren?
Unsere Zukunft liegt nicht in den Nationalstaaten, sondern in der Gemeinschaft. Wir dürfen die EU nicht reduzieren auf die Währungskrise. Die Umwelt- und Migrationsprobleme zum Beispiel bleiben. Wir sollten die Idee der Mittelmeerunion wieder aufgreifen und unsere Beziehungen zu den nordafrikanischen Ländern stärken. Wir müssen in der globalisierten Welt unsere sozialen Standards verteidigen. Und der Kampfgeist dafür ist mir geblieben.
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