Martin Schulz' Wahlkampfvorschlag: Ein Konto für jeden Erwerbstätigen
Der SPD-Kanzlerkandidat greift eine Idee von Arbeitsministerin Andrea Nahles auf: Das steckt hinter dem „Chancenkonto“.
![Martin Schuld steht vor einer Wand voller Nullen und Einsen. Er hält die Hände aneinandergelegt Martin Schuld steht vor einer Wand voller Nullen und Einsen. Er hält die Hände aneinandergelegt](https://taz.de/picture/2136341/14/18780022.jpeg)
Ein modernes Deutschland brauche „einen Staat, der seine Bürgerinnen und Bürger dabei unterstützt, aus ihrem Leben etwas zu machen“, sagte Schulz. Auch wer mitten im Leben stehe, brauche Möglichkeiten, sich beruflich weiterzuentwickeln oder neu aufzustellen. Dafür soll es künftig ein staatlich finanziertes „Chancenkonto“ für alle Erwerbstätigen geben.
Die Idee ist nicht ganz neu. Unter dem Stichwort „persönliches Erwerbstätigenkonto“ taucht sie bereits im „Weißbuch Arbeiten 4.0“ auf, das SPD-Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles im November 2016 vorgelegt hat. Ein solches Konto könnte die Eigenverantwortung der Beschäftigten stärken, „indem es Chancen böte, die von den Erwerbstätigen individuell und selbstbestimmt genutzt werden könnten“, heißt es dort.
Angesichts von ungleich verteiltem Vermögen, die vererbt werden, sollten alle jungen Menschen ungeachtet ihrer sozialen Herkunft ein zweckgebundenes steuerfinanziertes Startkapital als „Sozialerbe“ erhalten. Durch tarifvertragliche Regelungen könne das Guthaben noch aufgestockt werden. Außerdem wäre es denkbar, dass „diejenigen, die kein steuerfinanziertes Studium genossen haben, ein höheres Startkapital erhalten“.
Das Erwerbstätigenkonto solle zu Beginn der Erwerbsbiografie automatisch eingerichtet werden und von einem staatlichen Dienstleister verwaltet werden, lautet der Vorschlag im „Weißbuch“. Das Geld solle im Verlauf des Erwerbslebens für unterschiedliche, aber „klar definierte“ Zwecke genutzt werden können, etwa für die Finanzierung von beruflicher Weiterqualifizierung, die nicht durch Betriebe übernommen wird, für Existenzgründungen oder den Übergang in eine Selbstständigkeit oder Sabbaticals für Erziehung oder Pflege eines Angehörigen oder für den flexiblen Übergang in den Ruhestand.
Im Nebensatz versteckt
Im Frühsommer konkretisierte Nahles ihre Vorstellungen. Nun verriet sie auch, wie hoch das steuerfinanzierte Startguthaben sein solle: 15.000 bis 20.000 Euro pro Kopf halte sie für finanzierbar. Während in ihrem „Weißbuch“ nur „neue Erwerbstätige“ dieses Startkapital erhalten sollten, verzichtete sie nun auf diese Beschränkung.
Das „Erwerbstätigenkonto“ findet sich auch im SPD-Bundestagswahlprogramm – allerdings nur in einem Nebensatz versteckt. Nun will es Schulz zum Wahlkampfschlager machen. „Alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sollen ein persönliches Chancenkonto erhalten, das mit einem staatlichem Startguthaben ausgestattet ist“, heißt es in seinem „Zukunftsplan für ein modernes Deutschland“. Es könne eingesetzt werden „für die Finanzierung von Weiterbildung und Qualifizierung, die über reine Erhaltungsqualifikationen hinausgehen“, sowie für „Gründungen und den Übergang in die Selbstständigkeit“.
Über die Höhe des Startkapitals macht Martin Schulz bislang keine Angaben – wohl um nicht direkt in eine Diskussion über dessen Finanzierbarkeit zu stürzen. Denn die Bundesrepublik hat rund 44 Millionen Erwerbstätige. Das würde bei pro Kopf 20.000 Euro einen Finanzbedarf von 880 Milliarden Euro bedeuten. Eine stolze Summe. Bekäme jeder nur 2.000 Euro – was von dem hochgesteckten Zielen des Chancenkontos nicht viel übrig lassen würde -, wären immer noch 88 Milliarden Euro nötig.
Auch sonst sind noch etliche Fragen offen. So sagte Schulz nichts darüber, was für Reglementierungen es für das Chancenkonto geben soll. Also: Was darf mit dem Geld finanziert werden und was eben nicht? Ebenso unklar bleibt, in welchem Zeitrahmen das Konto im Falle eines SPD-Wahlsiegs eingerichtet werden soll. Allerdings erscheint der ohnehin derzeit nicht allzu realistisch.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Jugendliche in Deutschland
Rechtssein zum Dazugehören
Jens Bisky über historische Vergleiche
Wie Weimar ist die Gegenwart?
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen
Mitarbeiter des Monats
Wenn’s gut werden muss
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche