Manipulation in der AKW-Forschung: Norwegen fälscht Atomdaten
In einem norwegischen Forschungsreaktor wurden jahrelang Daten manipuliert. Das könnte die Sicherheit ausländischer AKWs gefährden.
Forschungsresultate für die Atomenergiebranche, die in einem norwegischen Atomreaktor vorgenommen worden sind, wurden jahrelang bewusst verfälscht. Das gab in der vergangenen Woche der Betreiber des fraglichen Reaktors, das „Institutt for Energiteknikk“ (IFE), bekannt. „Was Kunden in den von ihnen bestellten Rapporten geliefert wurde, entsprach mehrfach nicht dem, was die Tests tatsächlich ergeben hatten“, gestand IFE-Direktor Nils Morten Huseby ein.
Diese Manipulationen könnten „sowohl sicherheitsmäßige Risiken wie ökonomische Konsequenzen“ mit sich bringen. Man habe deswegen die Staatsanwaltschaft informiert. Es ist nicht die erste Panne des Instituts: Im vergangenen Jahr hatte man hinter Schutzwänden zwei alte Forschungsreaktoren entdeckt, deren Existenz man schlicht vergessen hatte.
Diesmal wurden Testergebnisse, die nicht das erbrachten, was Kunden nachgefragt hatten, vom Forschungspersonal einfach „passend gemacht“ – mal durch Änderung der tatsächlich ermittelten Daten oder durch einen geänderten Versuchsaufbau, der dann in Wirklichkeit gar nicht mehr dem entsprochen hatte, was bestellt war. Ein anderes Mal kamen andere Druck- und Temperaturwerte zum Einsatz als die rapportierten.
Zu solchen Manipulationen soll es vor allem gekommen sein, sobald das Personal auf unerwartete Probleme stieß oder die Zeit zu knapp wurde, um Forschungsarbeiten korrekt abschließen zu können. Hinweise auf mögliche jahrelange Betrügereien bei Forschungsprojekten gab es erstmals im Frühjahr vergangenen Jahres, nachdem der Reaktor nach 60 Betriebsjahren stillgelegt worden war.
Manipulationen schon in den 1990er Jahren
Das IFE war in den vergangenen Jahrzehnten im Auftrag von Behörden und Firmen in mindestens 19 Staaten entstanden. Es ist mit rund 600 Beschäftigten eines der größten Forschungsinstitute, das in Halden vor allem zu Brennelementen forscht und sicherheitsrelevante Materialprüfungen vornimmt.
Nach noch nicht vollständig abgeschlossen Untersuchungen von Aufträgen aus den Jahren 1990 bis 2005 habe man vier internationale Projekte mit Manipulationen entdeckt, mindestens drei weitere könnten betroffen sein, teilte IFE nun mit. Für die Sicherheit des Halden-Reaktors selbst hätte der Forschungsschwindel keine Konsequenzen gehabt, versichert das Institut. Wohl aber könne es potenzielle Sicherheitsprobleme bei den Bestellern der Forschungsarbeiten geben. Man wisse noch nicht, wofür die Testergebnisse in der weltweiten Atomkraftindustrie verwendet worden seien.
„Wir nehmen diese Sache außerordentlich ernst“, sagt Kristin Elise Frogg von Norwegens staatlicher Strahlenschutzbehörde Direktoratet for strålevern og atomsikkerhet (DSA): „So etwas ist absolut nicht akzeptabel.“ Die Manipulationen seien „geplant, wohlüberlegt und gründlich verschleiert“ gewesen. Die DSA habe bereits die Atomsicherheitsbehörden der betroffenen Länder informiert, damit eventuelle Konsequenzen der Betrügereien überprüft werden könnten. Es könnten Straftatbestände im Bereich des Umwelt- und Wirtschaftsstrafrechts vorliegen.
Gefahr für andere Atomreaktoren
„Was uns Angst macht, ist, dass womöglich weltweit Atomreaktoren in Betrieb sind, bei denen man sich auf die Daten der Halden-Forschungen verlässt“, warnt Frederic Hauge, Präsident der norwegischen Umweltschutzorganisation Bellona: „Es ist doch klar, dass manipulierte Daten die Sicherheit gefährden können, wenn anhand solcher Forschungsresultate Entscheidungen über den Betrieb der Reaktoren getroffen werden.“
Es sei schwer vorstellbar, dass einzelne Personen hinter dem Schwindel stehen könnten, ohne dass dies aufgefallen wäre, vermutet Hauge. „Da hat das Instituts-Management versagt, und das muss untersucht werden.“
Beim Reaktor in Halden, der seit 1958 in Betrieb war und bei seiner Stilllegung 2018 der weltweit älteste schwerwassermoderierte Siedewasserreaktor war, hatten sich in den letzten Jahren die Probleme gehäuft. Mal kam es zum Austritt radioaktiver Gase, mal war das Kühlsystem pannenanfällig, zudem bemängelte die Aufsichtsbehörde DSA die Sicherheitskultur. Die Umweltschützer von Bellona hatte schon in den 1990er Jahren gefordert, den Betrieb des Uralt-Reaktors zu beenden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“