Atomkraftwerke in Skandinavien: Norwegen „vergisst“ zwei Reaktoren
Oslo bereitet sich auf den Atomausstieg vor. Nun wurden zwei Kernreaktoren entdeckt, die angeblich vor 50 Jahren demontiert wurden.
Norwegen ist weder Atomwaffenmacht noch wird hier Atomstrom produziert. Allerdings verhalf das Land mit seinem „schweren Wasser“ nicht nur Israel dazu, Atommacht zu werden, nachdem die USA solche Lieferungen abgelehnt hatten: Und um die Pläne zum Bau norwegischer Atomkraftwerke wurde es erst nach dem Beinahe-GAU von Harrisburg 1979 still.
Die Regierung meinte dennoch, das Land müsse Atomreaktoren haben. Offiziell zu Forschungszwecken. Jeep-1, Skandinaviens erster Atomreaktor, wurde 1951 in Kjeller bei Oslo in Betrieb genommen. Nora 1961 am gleichen Ort. Beide wurden 1967 stillgelegt. Und dann vergessen?
Nein, meldete sich die IFE-Pressestelle am Freitag. Die Medien würden „ein verzerrtes Bild“ zeichnen: Es sei natürlich nicht so, dass dem Institut die Existenz der „historischen Reaktoren“ Jeep 1 und Nora unbekannt sei. In den Unterlagen von Institut und Regierung seien diese Reaktoren allerdings als „dekommissioniert“ geführt worden.
Kostenkalkulation führt zur Entdeckung
Darunter versteht man den Rückbau einer atomaren Anlage. In einem 1989 publiziertem Atomsicherheitsbericht heißt es folglich auch, die beiden Reaktoren seien „demontiert“ worden. Waren sie aber nicht. Was man jetzt hinter meterdicken Schutzwänden vorfand, sind laut Huseby „der Reaktorblock, der Reaktortank mit allem, was dazugehört, eigentlich die gesamte Anlage“.
Auch wenn es das IFE nun anders darzustellen versucht, war das offensichtlich auch für das Institut eine überraschende Erkenntnis. 2016 hatte die Regierung in Oslo nämlich einen Rapport über den „künftigen Rückbau der nuklearen Anlagen in Norwegen“ veröffentlicht. Hier wird durchweg nur mit dem Rückbau von zwei Reaktoren kalkuliert: Jeep II in Kjeller und dem Siedewasserreaktor in Halden. Nora und Jeep 1 werden nur einmal nebenbei als „schon früher dekommissioniert“ erwähnt. Worauf das Institut nicht reagierte. Obwohl gerade die Beseitigung dieser „historischen Reaktoren“ bis 2041 die bisherigen Kostenberechnungen auch nach Einschätzung des Instituts deutlich in die Höhe treiben wird.
Der Dornröschenschlaf von Nora und Jeep 1 hätte vermutlich noch Jahre gedauert. Aber Oslo bereitet sich gerade auf das Ende des norwegischen Atomzeitalters vor – und wollte die Kosten dafür wissen. Der seit 1967 betriebene 2-Megawatt-Forschungsreaktor Jeep II sollte eigentlich schon 2016 den Betrieb einstellen, erhielt aber 2018 nochmals eine Betriebserlaubnis bis 2028. Der 1958 in Betrieb genommene 20-Megawatt-Reaktor in Halden wurde als Europas ältester Meiler nach einer Reihe von Pannen 2018 endgültig abgestellt. Die Reparaturen waren zu teuer geworden. Übrigens: Wo Norwegens Atommüll einmal gelagert werden soll, steht noch in den Sternen. „Vergessen“ ist, wie jetzt erwiesen, keine dauerhafte Lösung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
Bundestagswahlkampf der Berliner Grünen
Vorwürfe gegen Parlamentarier