Manifest gegen Mainstream-Feminismus: Harmlos und fickbar
Die US-Autorin Jessa Crispin haut dem Mainstream-Feminismus seine Widersprüche um die Ohren. Sie sagt, er sei zur Lifestyle-Ideologie verkommen.
Für den Feminismus läuft es glänzend: Die ganze Welt redet über Internet-Hashtags wie „#MeToo“ oder „#WhyIDidn’tReport“, in denen Frauen ihre Erfahrungen mit sexistischer Anmache, Belästigung und sexueller Gewalt öffentlich machen. Überall gehen Frauen für feministische Anliegen auf die Straße. In den USA mit pinken Pussyhats gegen einen sexistischen Präsidenten, in Irland, Chile und Argentinien gegen rigide Abtreibungsverbote, in Indien gegen Vergewaltigung und in Saudi-Arabien gegen das patriarchale Vormundschaftssystem.
All diese Kämpfe werden dazu noch glamourös unterstützt: Von Beyoncé bis zu Ivanka Trump, vom Modelabel Dior bis zu H&M – Feminismus, vor Jahren noch Kampfbegriff oder Schimpfwort, ist inzwischen weithin geadelt als etwas, das Frauen (und sogar Männern) gut zu Gesicht steht.
Für Jessa Crispin ist dieser vermeintliche Siegeszug eine Katastrophe. In einem Manifest wettert die US-amerikanische Autorin gegen eine in ihren Augen mainstreamtauglich verflachte Lifestyle-Ideologie, in der Bekenntnisse Inhalte ersetzen und ein Wohlfühl-Imperativ kritische Gedanken im Keim erstickt. „Warum ich keine Feministin bin“ heißt der schmale Band, der als Anklage wider den feministischen Zeitgeist daherkommt.
Wenn Feminismus sich in Narzissmus, Denkfaulheit und Gönn-dir-Mentalität erschöpfe, wenn er Frauen erlaube, gleichberechtigt an der Unterdrückung der Machtlosen und Armen mitzuwirken, wenn er nicht bereit sei, den Status quo zu erschüttern und signalisiere: „Ich bin harmlos, beiße nicht und lasse mich gerne ficken“ – dann sei sie keine Feministin, stellt die Autorin fest. Ihre Idee von Feminismus ist ein „reinigendes Feuer“, das unser gesellschaftliches System demontiert.
Nun sind Reinigungsfantasien immer schwierig, und sensible Leserinnen dürften bei der Lektüre dieses mit Kraftausdrücken gespickten Werks hin und wieder gequält aufseufzen. Doch Crispins Suada hat nicht nur verbalen Schmackes, sondern auch intellektuellen Charme. Es macht Spaß, ihr dabei zu folgen, wie sie vermeintliche Gewissheiten des Dritte-Welle-Feminismus zerlegt. Etwa die Annahme, dass Feminismus eine für alle anschlussfähige Bewegung sein könnte, ohne sich bis zur Unkenntlichkeit zu verwässern.
Was ist gewonnen, fragt sich Crispin, wenn Frauen, die sich laut und stolz zum Feminismus bekennen, in der Freizeit Pole-Dancing-Kurse besuchen, misogynen Rap hören oder Republikaner wählen – während eine künstlerisch eigenständige Musikerin wie Björk dafür angefeindet wird, dass sie sich nicht als Feministin bezeichnen mag?
Jessa Crispin: „Warum ich keine Feministin bin. Ein feministisches Manifest“. Übers. v. Conny Lösch. Suhrkamp, Berlin 2018. 145 Seiten, 12,95 Euro
Crispin kritisiert den Bekenntniskult unter jungen Feministinnen. „Es sollte uns nicht um Bekehrung gehen, sondern darum, auf die Wünsche und Bedürfnisse von Frauen zu hören, die sich möglicherweise von unseren unterscheiden“, etwa muslimischen Frauen, von denen verlangt werde, zu übernehmen, was westliche Feministinnen als wertvoll empfinden: „Unabhängigkeit, Erfolg und Sexualität“. Darüber, ob der Feminismus einer überwiegend weißen, bürgerlichen Mittelschicht überhaupt glücklich macht, werde nicht geredet, beklagt sie. Auch nicht darüber, was die Bewegung in ihrer jetzigen Form Frauen zu bieten habe.
Vergiftetes Geschenk
Die Einladung zur „Selbstermächtigung“ – für die Autorin nur ein neoliberaler Zwang, sich selbst zu optimieren. Und das Angebot, sich vorzukämpfen in die Komfortzone der patriarchalen Annehmlichkeiten, Macht, Geld und Erfolg? Ein vergiftetes Geschenk, findet Crispin. Nicht jeder persönliche Sieg einer Frau sei auch ein politischer. „Nur weil Frauen Zugang zur Macht bekommen, werden wir keine egalitärere Welt erleben, sondern dieselbe, nur mit mehr Frauen.“
Die Autorin ruft ihren Schwestern zu: Hört auf, euch dem Kapitalismus und dem Patriarchat anzudienen! Zeigt euch solidarisch mit der schwarzen Bürgerrechtsbewegung, mit Frauen, die einen geringeren Bildungsstand und ein geringeres Einkommen haben als ihr. Und hört auf, so weinerlich und selbstgerecht zu sein!
Mit dem akademischen Milieu, in dem ein Professor schon für einen unpassenden Witz gefeuert wird, geht sie besonders hart ins Gericht. Ebenso mit der Tendenz zur Mob-Justiz in sozialen Netzwerken, wo Feministinnen zur Jagd auf „toxische Männlichkeit“ blasen. Für Crispin Ausdruck eines Rachebedürfnisses, das Verlierer produziert, um Sieger sein zu dürfen – um den Preis der Menschlichkeit.
Frauen, betont Crispin, seien mitnichten die besseren Menschen. Deshalb führe auch das Feindbild Mann nirgendwohin. Statt sich im Opferstatus einzurichten, solle man den Zorn lieber wieder gegen ein traditionelles Ziel richten: das Patriarchat.
Wie das gehen soll mit der Überwindung patriarchaler Strukturen, und welcher Feminismus, welche Gesellschaft aus dem imaginierten „reinigenden Feuer“ hervorsteigen soll, diese Antwort bleibt die Autorin schuldig. Aber das ist schon in Ordnung. Von einem Arschtritt erwartet ja auch keiner eine Lösung, sondern nur einen kräftigen Anstoß. Der ist Jessa Crispin allemal gelungen.
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