Manal al-Sharif von „Women2Drive“: Freie Fahrt für freie Frauen
Manal al-Scharif stieg ins Auto und ist weit gekommen. Doch auf dem Weg zu mehr Rechten für saudische Frauen musste sie viel zurücklassen.
Manal al-Scharif hat viel bewegt. Und das, obwohl ihre Mobilität lange so eingeschränkt war wie die aller saudischen Frauen. Bis sie sich im Mai 2011 ins Auto ihres Bruders setzt, nicht auf den Beifahrersitz, sondern ans Steuer. Lächelnd und mit einer coolen Sonnenbrille auf der Nase. Ihre Schwägerin und ihr Sohn Aboody, damals noch ein Baby, sitzen auf der Rückbank. Sie fährt nicht heimlich, sie lässt sich mit der Handykamera filmen, lädt das Video hoch und gründet die Facebook-Gruppe „Women2Drive“. Neun Tage sitzt sie deshalb im Gefängnis. Saudische Politiker fordern, dass sie öffentlich ausgepeitscht wird.
Dabei gab es nie ein Gesetz, das saudischen Frauen das Fahren verbietet, zumindest kein geschriebenes. Es war einfach Teil eines Systems, in dem Frauen einen Vormund haben. „Bei uns heißt es, Saudi-Arabien, das Land mit einem König und Millionen Königinnen“, sagte al-Scharif in einem Fernsehbeitrag.
Manal al-Scharif war Teil dieses Systems. In ihrem Buch beschreibt sie ihr früheres Ich als radikal. Die Backstreetboy-Kassetten ihres Bruders: in ihren Augen unrein. Genauso wie die Modemagazine ihrer Mutter.
Deren Wunsch war es, dass Manal, genauso wie ihrer Schwester, im Alter von acht Jahren die Klitoris abgeschnitten wurde. Mit einer stumpfen Schere, beinahe verblutete sie dabei. Ihre Eltern gelten trotzdem als aufgeschlossen. Manal studierte in den USA, dort machte sie auch den Führerschein. Zurück in Saudi-Arabien arbeitete sie beim staatlichen Ölkonzern Aramco – bis sie als Aktivistin bekannt wird. Ab da ist sie dort nicht mehr erwünscht.
Weiter als eine Autofahrt
Warum das Ganze? „Ich hatte mich in der Hoffnung ans Steuer gesetzt, dass Frauen in der saudischen Gesellschaft ihr Leben selbst in die Hand nehmen können – und ich wollte durch die Befreiung der Frauen auch die Männer befreien“, schreibt Manal al-Scharif im August 2017 in einem Gastbeitrag in der taz. Ihr Sohn solle in einer besseren, freieren Gesellschaft aufwachsen. Doch gerade von ihm treibt ihr Kampf um Freiheit sie weg: Als sie sich scheiden lässt und in Kanada einen anderen Mann – einen Nichtmuslim – heiratet, bekommt Aboodys Vater das alleinige Sorgerecht. Bis dahin stand sie nachts oft mit ihm auf dem Balkon ihres Townhouses, suchte nach Sternbildern und zählte die Sterne.
Wenn sie ihn heute besuchen will, muss sie ein Flugticket kaufen und ins Haus ihrer ehemaligen Schwiegermutter zurückkehren. Das Haus, in dem, wie sie schreibt, ihr Körper „so oft geschlagen und verletzt wurde“, dass sie lieber gar nicht mehr daran denken würde. Das Schlimmste aber: Sie darf ihren zweiten Sohn nicht mitnehmen, die beiden Brüder kennen sich nicht. Bis sie und all die anderen saudischen Frauen, die gezwungen wurden, ein Kind zurückzulassen, nicht mehr ständig mit den Tränen kämpfen, ist noch ein weiterer Weg zurückzulegen als eine Autofahrt.
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