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Malmö und Nie-wieder-DeutschlandCan music save our souls?

An allen Ecken ist's grad ungemütlich. Wohin also? Zwei heiße Tipps: Entweder zum Eurovision Song Contest oder zum Nick Cave Konzert.

Eden Golan aus Israel steht mit dem Titel „Hurricane“ auf der Bühne des Eurovision Song Contest bei der Probe für das Finale Foto: Jens Büttner/dpa

S eit 30 Jahren konsultiere ich in nahezu allen Gemütszuständen Nick Cave. Ekstase, Trauer, Wut, Liebe und natürlich absolut leichtfüßige Albernheit: als musikalisch Suchende finde ich bei ihm Erlösung. Und ja, natürlich habe ich für die diesjährige Tour Tickets für drei Konzerte. Und natürlich lese ich auch hin und wieder – obwohl mich Künstler als Personen meist gar nicht so interessieren – seinen Interviewblog „The Red Hand Files“, ein Portal, auf dem jeder wirklich alles fragen kann und Nick Cave antwortet.

Dort fragte ein:e Mu­si­ke­r:in unter dem Pseudonym The Artist is Present diese Woche, ob er oder sie auf dem The Great Escape Festival spielen solle, obwohl es durch die Barclays-Bank gesponsert werde, die „indirekt vom Horror in Palästina“ profitiere, und man ja nun keinen „Genozid“ unterstütze. Puh.

Man kann sich seine Mitfans nicht aussuchen. Man kann vielleicht auch nicht erwarten, dass jeder zwischen den gesamten palästinensischen Gebieten und Gaza, wo tatsächlich ein schrecklicher Krieg tobt, unterscheidet. Und, wie ich in den vergangenen Monaten lernen musste, nicht mal, dass Leute die Definition von Begriffen wie Genozid verstehen.

Ja, sogar meine Mindestanforderung – nämlich, dass Jüdinnen und Juden in Post-Nazideutschland oder sonst irgendwo außerhalb Israels unbehelligt leben können – habe ich in den letzten Wochen schweren Herzens aufgegeben. Meine Stimmung ist also ohnehin gedrückt, um es freundlich zu sagen. Aber Nick hat mich nicht enttäuscht. Seine Antwort an die Knalltüte war knapp: „Play.“

Politisch wie eine Kochshow

Dass es Leuten wie dem oder der Fra­ge­stel­le­r:in nicht um das – unbestreitbare, auch kalte Zionistinnen wie mich schmerzende – Leid der Menschen in Gaza geht, zeigten am Donnerstag rund 10.000 Menschen mit ihrem Protest gegen die Teilnahme von Eden Golan am Eurovision Song Contest.

Was, bitte, hat ein Gesangswettbewerb, der ungefähr so politisch ist wie eine Kochshow, mit dem Krieg in Gaza, meinetwegen auch der israelischen Regierung und ihrem Tun zu tun? Genau: nichts. Es ist der pure Hass auf Jüdinnen und Juden, dem die Demonstranten unter dem Deckmantel eines wie auch immer gearteten „politischen Bewusstseins“ und einer „guten Sache“ endlich freien Lauf lassen können. Wenn es anders wäre – müssten sie dann nicht bei anderer Gelegenheit gegen iranische, chinesische, russische Künst­le­r:in­nen mindestens genauso erbittert demonstrieren?

Die selbst ernannten Men­schen­recht­le­r:in­nen checken nicht einmal, dass sie mit ihrem Boykottgebrüll nicht nur keinem einzigen Kind in Gaza helfen, sondern auch dabei, den Plan der ­Hamas – der eben nicht nur der war, so viele Israelis wie möglich umzubringen, sondern auch, Israel langfristig zu delegitimieren – zu vollenden. Ihre Grausamkeit vom 7. Oktober und deren Zurschaustellung war für die Hamas ein Mittel zum Zweck, und der war, die extremste Reaktion der – praktischerweise – extremsten Regierung, die Israel je hatte, zu erzeugen und damit weltweit den ohnehin mehr oder minder leicht schlummernden Juden-, ­Verzeihung, ­Israelhass so richtig zu entfesseln. So wie es das Ziel aller rechten Bewegungen ist, die demokratische Welt zu spalten. Die Methode nutzen Putin, Xi Jinping, AfD und Hamas – mit unterschiedlichen Mitteln – gleichermaßen.

Kunst, ganz besonders Musik, könnte eigentlich das Gegenprogramm sein, sie könnte einen, Blicke und Herzen öffnen für das Leid anderer, das man sonst nicht immer sehen kann. Stattdessen braucht eine Sängerin in Malmö Polizeischutz wie ein US-Präsident – aus Angst vor Demonstrant:innen, denen es angeblich um Menschenrechte geht. Und gleichzeitig verlassen immer mehr Juden die Stadt. Wahrscheinlich nicht in Richtung Nie-wieder-Deutschland.

Nazidreck

Apropos Deutschland: Die Band ­Antilopengang, der wegen ihres Songs „Oktober in Europa“ aufgrund falscher Text­exegese hier in der taz Holocaustverharmlosung vorgeworfen wurde, hat ein neues Lied herausgebracht: „Muttertag“ (Nazidreck). In diesem Sinne: Hören Sie mehr Musik.

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Ariane Lemme
Redakteurin
schreibt vor allem zu den Themen Nahost, Antisemitismus, Gesellschaft und Soziales
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7 Kommentare

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  • Michaela Dudley , Autorin , Journalistin/Kabarettistin

    @ArianeLemme

    Danke vielmals, liebe Kollegin. Dein Text spricht mir aus der Seele. Also 12 Punkte für die Solidarität mit Israel!

    Aus Deutschland und 14 anderen Ländern erhielt der israelische Beitrag die maximale Punktzahl des jeweiligen Publikums. #Televoters4TelAviv. Vielmehr: Es waren Televoters für die Menschlichkeit und ja für die Musik, wie es auch sein soll.

    עם ישראל חי

  • Da ich in als Deutscher Irland wohne, nehme ich die gegensätzliche Scheuklappensicht hier wie dort wahr: In Deutschland überbietet man sich in der Verurteilung der Proteste, am einfachsten dadurch, dass wirklich alle Protestierenden als antisemitisch eingestuft werden. Bei der Verurteilung israelischer Politik (verantwortet durch Netanyahu und seiner ultrarechten Regierung) fällt man weit hinter die Kritik amerikanischer Juden (Bernie Sanders etwa) oder der gegen Netanyahu protestierenden Israelis zurück, vielleicht weil man eben auch Angst hat, als Antisemit dazustehen. Dass ich dann Artikel in der Welt und in der taz lese, die im Grundton übereinstimmen wundert dann nicht.



    In Irland dagegen wird die Hamas eher pro forma verurteilt, die Terrorattacken werden mit einem 'ja, aber' schnell abgetan. Die irische Sicht ist natürlich geprägt von der Kolonialerfahrung, die die Identifizierung mit den militaerisch Schwaecheren fast unausweichlich zu machen scheint.



    Was mich das lehrt: hat sich erst einmal ein Narrativ geformt, wird es kaum mehr hinterfragt.



    Sollte es nicht möglich sein, die israelische Antwort auf die Terrorattacken der Hamas als unverhaeltnismaessig und nicht zielfuehrend zu kritisieren, ohne gleich als antisemitisch eingestuft zu werden?

  • Musik hat positiv wirkende Eigenschaften, das ist schon lange klar.

    Da aber heutzutage fast jeder Lärm auch unter den Begriff "Musik" fällt, hat sich das gravierend geändert. Vieles davon macht depressiv und aggressiv,

  • Danke, dem ist wenig hinzuzufügen. Diese Dummheit, dieser Hass und diese Radikalität dieser Leute macht mir Angst; ihre Unfähigkeit zu sehen vor wessen Karren sie sich spannen lassen und die Tatsache, dass sie ihren Antisemitismus mit dem Gestus der moralischen Überlegenheit ganz selbstverständlich und ohne jene Scham zur Schau stellen.

  • Nun ja, wenn nick cave und der esc unsre einzigen alternativen sind, dann good bye menschheit.

    mehr musik zu hören, außer ESC und Nick Cave ist sicherlich ne gute sache, aber musik und liebe allein wird die welt nicht retten.

    es brauch schon ein bisschen konstruktive auseinandersetzung mit allen dingen. und die inkompetenz und oberflächlichkeit der massen wird eben so zum untergang beitragen wie die inkompetenz der führung.

    was ist wohl wichtiger, die politischen und emotionalen konflikte endlich zu verstehen und auszuhandeln, oder oberflächlich und musikalisch fragwürdig durch die gegend zu trällern in wohl kaum gut aussehenden köstümen und dabei nicht verstanden zu haben, wie die welt sich dreht???

    emotionen waren schon immer auch politisch ... gelle ... und musik und esc sind eine bühne der emotionen ... doch leider beschränken viele ihre emotionen auf das, was uns leider nicht nachhaltig werden lässt oder aufgeklärt.

    you need more then love, and music ... zum beispiel ganz viel soziologie und psychologie. dann ist es nicht überall unerträglich und man ist auch aufgeschlossener für mehr musikstile und man kann das thema "emotio und ratio" viel besser denken und auch fühlen.

    also ja, hört mehr musik. am besten nicht auf spotify.



    aber kümmert euch auch mal um echt tiefgehendes wissen. das kann euch mehr freude und künstlerisches/musikalisches verständniss bringen als ihr vielleicht glaubt.

    dann schafft deutschland es vlt auch, mehr als 11 punkte zu bekommen.

  • auch für erfahrene User



    wird die Welt immer konfuser

  • Vielen Dank für die Kolumne, bin auch ein Fan der Antilopengang.