Malerei und Black History: Rebellisch leuchtende Wesen
Das Kunstmuseum Wolfsburg präsentiert die Künstlerin Firelei Báez. Bildmächtig verbindet sie Mythen der Karibik mit Elementen des Afrofuturismus.
Fantastisch anmutende Gestalten aus verschlungenen Körper- und Pflanzenteilen flankieren den Eingang zu Firelei Báez’ Einzelausstellung im Kunstmuseum Wolfsburg. Die zwei großformatigen Gemälde gewähren einen ersten Einblick in den Bildkosmos der in New York lebenden Künstlerin.
„Trust Memory Over History“ zeigt 27 Werke auf Papier und Leinwand in leuchtenden Farben und mit vielfältigen Bezügen. Die Wanderausstellung entstand in Kooperation mit dem dänischen Louisiana Museum of Modern Art.
1981 in der Dominikanischen Republik geboren, wuchs Firelei Báez dort an der Grenze zu Haiti auf. Als Achtjährige emigrierte sie mit ihrer Familie in die USA nach Miami. Für ein Kunststudium zog Báez 2001 nach New York. Dort stieß sie während ihrer Studienzeit am Hunter College auf alte Reisetagebücher, wissenschaftliche Veröffentlichungen und Architekturpläne, die aus dem Bestand der Bibliothek aussortiert worden waren.
Seitdem übermalt, collagiert und ergänzt die Künstlerin auf herausgetrennten Buchseiten historischer Bände deren hegemoniale Darstellung der Welt und der Geschichte um Perspektiven der afrikanischen Diaspora. Báez kombiniert diese skizzenhaft anmutenden Blätter zu einer komplexen Erzählung von Gewalt und Resilienz.
Firelei Báez: „Trust Memory Over History“. Bis 13. Oktober 2024. Kunstmuseum Wolfsburg
Eine dieser wandfüllenden Papierinstallation gab der aktuellen Ausstellung ihren Namen und verweist auf die Leerstellen in der offiziellen Geschichtsschreibung. „Trust Memory Over History“ (2021) – Vertraue Erinnerung mehr als Geschichte. Und Báez ergänzt mit einem Untertitel in Klammern: „um voll und frei zu atmen: eine Erklärung, eine Überarbeitung, eine Korrektur“.
Rätselhaft verlockend
Mit historischen Dokumenten arbeitet die Malerin auch in ihren großen Formaten. Archivdrucke von Konstruktionsplänen oder Landkarten überträgt sie auf die Leinwand, um diese anschließend hinter intensiven Farbschichten und kunstvoll aufgetragenen Motiven verschwinden zu lassen.
So zeigt „Fruta Fina. Fruta estraña (Lee Monument)“ (2022) die hyperrealistische Darstellung eines rätselhaft verlockenden Objekts aus leuchtend roten Frucht-, Zell- und Pflanzenelementen, die mit schwarz glänzenden Haarknoten verwoben scheinen. Nur schemenhaft erkennt man dahinter die technische Skizze einer Reiterstatue.
Es handelt sich hierbei um den Plan für ein Denkmal des konföderierten Generals Robert E. Lee von 1884. Die Entfernung des heute umstrittenen Lee-Monuments löste 2017 in Charlottesville, Virginia, gewalttätige und tödlich endende Proteste von weißen Nationalisten und Rechtsradikalen aus. Gleichzeitig zitiert Firelei Báez im spanischen Titel ihres Werks den berühmten Protestsong „Strange Fruit“ von Billy Holiday, in dem sie 1939 die brutalen Lynchmorde an Afroamerikanern in den Südstaaten der USA anklagend besang.
Báez’ malerische Darstellung saftiger Früchte, glänzender Haare, exotischer Naturwelten lenken unsere Aufmerksamkeit ebenso auf die kolonialen Erfahrungen von Anpassung, Unterdrückung und Widerstand in den Gesellschaften der Karibik. Eine wiederkehrende Figur im Werk von Firelei Báez ist „La Ciguapa“. In der indigenen Mythologie Santo Domingos versteckt sich das ungezähmte, haarige Mischwesen in den Wäldern. Mit verdrehten Füßen marschiert es in entgegengesetzte Richtungen und macht so das Aufspüren schwierig.
In ständigem Wandel
In ihrer Malerei versetzt Báez die mythische Gestalt mit weiblichen, männlichen, tierischen sowie pflanzlichen Attributen und wendet dieses Motiv unkontrollierbarer Wildheit in einen künstlerischen Ausdruck von Stärke und Widerstand. In einem Filmporträt, das die Wolfsburger Ausstellung begleitet, beschreibt sie ihr besonderes Interesse: „Körper in ständigem Wandel lassen dem Betrachter die Möglichkeit, Vorstellungen von Macht zu verschieben. Durch diesen Prozess verändert man die Welt um sich herum.“
Diese dynamische Darstellung gelingt der Künstlerin nicht zuletzt durch die gekonnte Kombination unterschiedlicher Maltechniken und -stile. Virtuos verbindet sie figurative und abstrakte Bildebenen, präzise Pinselstriche und geschüttete Farbflächen.
Themen des Afrofuturismus und besonders die afroamerikanische Science-Fiction-Schriftstellerin Octavia Butler haben Firelei Baez in ihrem künstlerischen Schaffen inspiriert. Wasser ist ein weiteres wiederkehrendes Motiv ihrer Malerei. Ein abstraktes Gemälde in der Ausstellung trägt den Titel „Untitled (Drexciya)“.
Mythos von Black Atlantis
Kraftvoll fließen auf der Leinwand Farbflächen in Blau und Violett zu einer scheinbar sprudelnden Wasserfläche ineinander. Vage angedeutete Körper wecken Assoziationen an den Mythos von Black Atlantis, einem utopischen Ort im Ozean, gegründet von den Nachfahren ermordeter Sklavinnen. 1997 hatte das Detroiter Techno Duo Drexciya diese diasporische Erzählung in dem Booklet seines Albums „The Quest“ veröffentlicht.
Firelei Báez’ Einflüsse sind umfangreich und anregend. Mit großer Ernsthaftigkeit führt die Malerin ihre künstlerische Auseinandersetzung zu Geschichte und Gegenwart, stellt Narrative in Frage und entwickelt daraus ästhetische Visionen für die Zukunft.
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