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Mal wieder Ärger ums SchützenfestWoke Schützen mit silbernen Krallen

Da redet dieser Ratsmensch von „bewaffneten Trachtenvereinen“ und „Saufkapellen“ – dabei wollten die Schützen doch endlich mal alles richtig machen.

Sexuelle Belästigung gab es auch. Nur die anschließende Empörung war neu Foto: Michael Matthey/dpa

N un ist es auch schon vorbei, das Schützenfest in Hannover. Wer sich im vergangenen Jahr aber über die Debatte um das Bruchmeisteramt für Frauen amüsiert hat, der kam auch in diesem Jahr voll auf seine Kosten.

Es ist ein bisschen so, als würde man diese Traditionsveranstaltung vom vorgestern ins Heute beamen – klar, das es dabei Kollateralschäden gibt, aber es ist auch ein faszinierendes soziologisches Experiment.

In diesem Jahr begann die Aufregung damit, dass bei einem älteren Herrn das Gehirn offenbar nicht mitgereist war. Der ehemalige Bruchmeister soll die Ratsfrau Joana Zahl (Volt) bei einem der zahlreichen Festakte mit zotigen Bemerkungen über ihre Tattoos und Mutmaßungen über ihr Sexualleben belästigt haben.

Er hatte halt irgendwie nicht mitbekommen, dass die Zeiten, in denen Frauen so etwas gequält weggelächelt haben, vorbei sind. Der Bürgermeister und der Vorsitzende des Bruchmeister-Collegiums reagierten jedenfalls sofort, stellten den Herrn in den Senkel und kündigten fürs nächste Jahr Awareness-Beauftragte an.

„Mensch Mädchen!“

Dabei hätten sie sich doch viel lieber für die großen Diversitätserfolge feiern lassen. Von den vier Bruchmeistern waren in diesem Jahr nämlich zwei Frauen, einer hatte einen Migrationshintergrund (hat weder Bier noch Schweinshaxe angerührt, wie die Lokalpresse sorgsam notierte) und einer hieß sogar Eike Christian.

Das bekam aber kaum die Aufmerksamkeit, die es verdient hätte, weil schon der nächste Skandal im Anschlag war. Juli Klippert, non-binärer Ratsmensch der Satire-Partei, wagte es, die Erfahrungen auf dem Festplatz ziemlich akkurat zu beschreiben, mit den Worten: „Irgendwo zwischen bewaffnetem Trachtenverein und Saufkapellen frönt Hannover einer bald 500-jährigen Tradition, die nicht nur für Außenstehende schwer zu verstehen ist“.

Natürlich reagieren Menschen, die sonst gern Dinge sagen wie „Mensch, Mädchen, hab’ dich nicht so“ oder „Musste abkönnen“ sehr empfindlich, wenn der Spott Dinge betrifft, die sie mit heiligem Ernst betreiben.

Übel genommen wurde Klippert auch, dass mensch es sich nicht nehmen ließ, sich die silberne Schützenkralle anstecken zu lassen – eine Ehrung, die jedes Ratsmitglied bekommt, das einmal beim großen Ausmarsch mitgelaufen ist. Das könnte man nun natürlich für inkonsequent und vielleicht sogar heuchlerisch halten.

Gibt es Rausch und Exzess eigentlich auch ohne Grenzverletzungen?

In Wirklichkeit drückt Klippert damit nur die Ambivalenz aus, die wohl viele Menschen gegenüber Schützenfesten empfinden. Wenn man mal ehrlich ist, läuft das doch so: Man macht sich lustig und belächelt das, lässt sich dann doch von irgendwem überreden, fängt nach dem fünften Bier das Schunkeln an und erwischt sich nach der siebten lüttjen Lage, wie man auf dem Tisch tanzt und Texte gröhlt, die noch viel unterirdischer sind als „Layla“.

Die eigentlich spannenden Fragen sind ja: Gibt es Rausch und Exzess eigentlich auch ohne Grenzverletzungen? Oder wird hier eigentlich nur verhandelt, wessen Grenzen verletzt werden dürfen und wessen nicht? Müssen wir demnächst alten, weißen Männern an die faltigen Hintern fassen? Und ist das etwas, was Leute, die von „Männerdiskriminierung“ faseln, befürchten oder sich heimlich wünschen?

Oder noch weiter gefasst: Lässt sich dieses bierselige Gemeinschaftsgefühl überhaupt herstellen, ohne irgendwen auszugrenzen? Gibt es ein „wir“, wenn es kein „die“ gibt? Entsteht die wohlige Wärme vielleicht vor allem daraus, das man kollektiv anderen ans Bein pinkelt?

Immerhin haben all diese Skandälchen und großen Fragen dafür gesorgt, dass eine andere Peinlichkeit aus den lokalen Schlagzeilen verdrängt wurde: Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne) hat schon wieder den Fassbieranstich vermurkst. Beim letzten Mal zerdepperte er ein Glas, dieses Mal brauchte er zu viele Schläge und aus dem Zapfhahn kam kaum was raus.

Bei aller Liebe zur Neuerung: Das geht nun wirklich nicht.

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Nadine Conti
Niedersachsen-Korrespondentin der taz in Hannover seit 2020
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