Magdeburg nach dem Anschlag: Atempause und stilles Gedenken
Ein Bürgerbündnis will am Montag mit einer stillen Menschenkette um den Alten Markt gedenken. Die AfD schaltet unterdessen in den Wahlkampfmodus.
Begrich sagte der taz danach: „Die Stadt Magdeburg ist durch den Terroranschlag tief verwundet und es wird Zeit der Trauer brauchen, bis diese Wunden heilen können.“ Wichtig sei nun, niemanden in seiner Trauer allein zu lassen, aufeinander achtzugeben und zusammenzustehen. Mit Blick auf die Betroffenen und die zunehmenden Angriffe auf Migranten in Magdeburg fügte er hinzu: „Es gibt in der migrantischen Community die große Sorge, jetzt zum Sündenbock gemacht zu werden.“
Am Samstagabend zog eine Neonazi-Kundgebung mit laut Polizei rund 2.000 Teilnehmern durch die Stadt. Diese habe sich „wie ein brüllender Lindwurm durch die Stadt bewegt“, so Begrich, „der dort abgespulte aggressive Rassismus hat allerdings keinen Widerhall in der Stadtgesellschaft gefunden“. Gleichzeitig gehe die rechte Mobilisierung weiter, sagte Begrich und verwies auf die von der AfD angekündigte Trauerkundgebung am Montag auf dem Domplatz mit anschließendem Trauerzug durch die Innenstadt – auch die Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl, Alice Weidel und gleich fünf AfD-Landespolitiker haben angekündigt, dort ab 17 Uhr zu reden.
Begrich kritisierte dies scharf: „Keine andere Partei kommt auf die Idee, einen Terroranschlag als Deutungsvorlage für die Eröffnung des Wahlkampfs zu nutzen – aus gutem Grund: dem Respekt vor den Opfern und den Betroffenen.“ Betroffenheit und Trauer umzuwandeln, um einen politischen Mehrwert daraus zu ziehen, sei in höchstem Maße „moralisch unredlich“. Die Menschen in der Stadt brauchten jetzt keine Kämpfe um die Deutungshoheit mit der AfD, sondern den Ereignissen der letzten Tage angemessene Umgangsformen, schließlich gebe es noch immer 40 Schwerstverletzte, die um ihre Leben bangen. Die Situation und das Schicksal der Betroffenen müssten im Vordergrund stehen.
„Wir wollen trauern“
Unter dem Motto „Wir wollen trauern“ hatten Bürger*innen und zivilgesellschaftliche Organisationen aus Magdeburg parallel zur AfD-Veranstaltung ein stilles Gedenken mit einer Menschenkette um den Alten Markt angekündigt. „Wir sind erschrocken und wütend darüber, dass Menschen diese grauenhafte Tat für ihre Politik instrumentalisieren wollen“ und „Gebt Hass keine Chance“, heißt es im Aufruf. Teilnehmende sollten Kerzen und Blumen mitbringen, um ihre Anteilnahme zu zeigen.
Noch am Sonntag hatten der Deutsche Gewerkschaftsbund Sachsen-Anhalt, das Bündnis gegen Rechts Magdeburg und der Verein Miteinander eine Magdeburger Erklärung herausgegeben. Darin heißt es unter der Überschrift „Jetzt ist eine Zeit des Trauerns und der Solidarität“, dass man fassungslos vor dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt stehe – die Gedanken, Mitgefühl und Solidarität gingen zu den Opfern und Betroffenen. Man wolle in dieser Situation als Stadtgesellschaft zusammen stehen. „Die Menschen der Stadt Magdeburg – wir alle – brauchen eine Atempause, eine Zeit der Besinnung, um das Geschehen zu verarbeiten.“
Nun müsse Zeit sein für Trauer und innere Einkehr – nicht für „Polarisierung oder gar politische Indienstnahme“. Man sei besorgt über Schuldzuweisungen und Dämonisierung und Bedrohung von Menschen mit migrantischer Herkunft: „Wir bitten alle politischen Akteure auf das Bedürfnis der Menschen in der Stadt nach Momenten der Stille und der Trauer Rücksicht zu nehmen. Wir bitten um Anteilnahme und Solidarität.“
Im Landtag begann am Montagnachmittag die politische Aufarbeitung. Sachsen-Anhalts Innenministerin Tamara Zieschang (CDU) betonte in einer Sondersitzung des Ältestenrates, die mit einer Schweigeminute begann, noch nicht alle Fragen beantworten zu können, „aber die Antworten sind wir den Opfern schuldig“. Auch der Bundestag will sich am 30. 12. im Innenausschuss unter anderem der Frage widmen, warum der Attentäter von Magdeburg den Behörden nicht früher als Gefährder aufgefallen ist.
Die Spendenbereitschaft in der Bevölkerung ist unterdessen hoch: Die Stadtverwaltung teilte am Montag mit, dass für die Opfer und ihre Angehörigen bislang mehr als 220.000 Euro zusammengekommen seien. Ebenso folgten viele Menschen Aufrufen zum Blutspenden an einem Sondertermin des Uniklinikums Magdeburg. Weiterhin seien noch mehr als 70 Verletzte in Behandlung, darunter 15 Schwerverletzte.
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