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Magdeburg nach dem AnschlagAtempause und stilles Gedenken

Ein Bürgerbündnis will am Montag mit einer stillen Menschenkette um den Alten Markt gedenken. Die AfD schaltet unterdessen in den Wahlkampfmodus.

Blumen und Kerzen vor dem Portal des Magdeburger Doms: Viele Mag­de­bur­ge­r*in­nen wünschen sich eine Atempause Foto: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa

Berlin taz | Die Erschütterung ist David Begrich vom Verein Miteinander in Magdeburg auch zwei Tage nach dem schrecklichen Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt deutlich anzuhören. Er wählt seine Worte mit Bedacht, wie auch am Sonntag, als er auf einer Gedenkveranstaltung an der Johanneskirche sprach. Auch Angehörige der Opfer nahmen an der bewegenden Mahnwache teil.

Begrich sagte der taz danach: „Die Stadt Magdeburg ist durch den Terroranschlag tief verwundet und es wird Zeit der Trauer brauchen, bis diese Wunden heilen können.“ Wichtig sei nun, niemanden in seiner Trauer allein zu lassen, aufeinander achtzugeben und zusammenzustehen. Mit Blick auf die Betroffenen und die zunehmenden Angriffe auf Migranten in Magdeburg fügte er hinzu: „Es gibt in der migrantischen Community die große Sorge, jetzt zum Sündenbock gemacht zu werden.“

Am Samstagabend zog eine Neonazi-Kundgebung mit laut Polizei rund 2.000 Teilnehmern durch die Stadt. Diese habe sich „wie ein brüllender Lindwurm durch die Stadt bewegt“, so Begrich, „der dort abgespulte aggressive Rassismus hat allerdings keinen Widerhall in der Stadtgesellschaft gefunden“. Gleichzeitig gehe die rechte Mobilisierung weiter, sagte Begrich und verwies auf die von der AfD angekündigte Trauerkundgebung am Montag auf dem Domplatz mit anschließendem Trauerzug durch die Innenstadt – auch die Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl, Alice Weidel und gleich fünf AfD-Landespolitiker haben angekündigt, dort ab 17 Uhr zu reden.

Begrich kritisierte dies scharf: „Keine andere Partei kommt auf die Idee, einen Terroranschlag als Deutungsvorlage für die Eröffnung des Wahlkampfs zu nutzen – aus gutem Grund: dem Respekt vor den Opfern und den Betroffenen.“ Betroffenheit und Trauer umzuwandeln, um einen politischen Mehrwert daraus zu ziehen, sei in höchstem Maße „moralisch unredlich“. Die Menschen in der Stadt brauchten jetzt keine Kämpfe um die Deutungshoheit mit der AfD, sondern den Ereignissen der letzten Tage angemessene Umgangsformen, schließlich gebe es noch immer 40 Schwerstverletzte, die um ihre Leben bangen. Die Situation und das Schicksal der Betroffenen müssten im Vordergrund stehen.

„Wir wollen trauern“

Unter dem Motto „Wir wollen trauern“ hatten Bür­ge­r*in­nen und zivilgesellschaftliche Organisationen aus Magdeburg parallel zur AfD-Veranstaltung ein stilles Gedenken mit einer Menschenkette um den Alten Markt angekündigt. „Wir sind erschrocken und wütend darüber, dass Menschen diese grauenhafte Tat für ihre Politik instrumentalisieren wollen“ und „Gebt Hass keine Chance“, heißt es im Aufruf. Teilnehmende sollten Kerzen und Blumen mitbringen, um ihre Anteilnahme zu zeigen.

Noch am Sonntag hatten der Deutsche Gewerkschaftsbund Sachsen-Anhalt, das Bündnis gegen Rechts Magdeburg und der Verein Miteinander eine Magdeburger Erklärung herausgegeben. Darin heißt es unter der Überschrift „Jetzt ist eine Zeit des Trauerns und der Solidarität“, dass man fassungslos vor dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt stehe – die Gedanken, Mitgefühl und Solidarität gingen zu den Opfern und Betroffenen. Man wolle in dieser Situation als Stadtgesellschaft zusammen stehen. „Die Menschen der Stadt Magdeburg – wir alle – brauchen eine Atempause, eine Zeit der Besinnung, um das Geschehen zu verarbeiten.“

Nun müsse Zeit sein für Trauer und innere Einkehr – nicht für „Polarisierung oder gar politische Indienstnahme“. Man sei besorgt über Schuldzuweisungen und Dämonisierung und Bedrohung von Menschen mit migrantischer Herkunft: „Wir bitten alle politischen Akteure auf das Bedürfnis der Menschen in der Stadt nach Momenten der Stille und der Trauer Rücksicht zu nehmen. Wir bitten um Anteilnahme und Solidarität.“

Im Landtag begann am Montagnachmittag die politische Aufarbeitung. Sachsen-Anhalts Innenministerin Tamara Zieschang (CDU) betonte in einer Sondersitzung des Ältestenrates, die mit einer Schweigeminute begann, noch nicht alle Fragen beantworten zu können, „aber die Antworten sind wir den Opfern schuldig“. Auch der Bundestag will sich am 30. 12. im Innenausschuss unter anderem der Frage widmen, warum der Attentäter von Magdeburg den Behörden nicht früher als Gefährder aufgefallen ist.

Die Spendenbereitschaft in der Bevölkerung ist unterdessen hoch: Die Stadtverwaltung teilte am Montag mit, dass für die Opfer und ihre Angehörigen bislang mehr als 220.000 Euro zusammengekommen seien. Ebenso folgten viele Menschen Aufrufen zum Blutspenden an einem Sondertermin des Uniklinikums Magdeburg. Weiterhin seien noch mehr als 70 Verletzte in Behandlung, darunter 15 Schwerverletzte.

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14 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Rechtsradikale und Islamisten: Alle beschwören sie den finalen Endkampf (und Sieg), alle verehren sie die Apokalypse.



    Beide Seiten haben keinen Respekt vor Menschenleben, bei beiden Seiten fallen Späne, wenn "gehobelt wird".

    Jetzt sind es sogar die gleichen Ziele. Zerquetscht werden soll die Freiheit und Individualität zwischen den Fronten.



    Ja...wie kommen wir da wieder raus?

  • Wenn der Typ AfD Fan war, dann sollte diese Fakten auch deutlich so benannt werden.

  • Ein bisschen pikant, was nun herausgekommen ist - und ein Vorgeschmack, was die AfD mit diesem Land vorhat:

    Schon vor fast 10 Jahren fand eine Sicherheitsüberprüfung des Täters durch die Bundesbehörden statt.

    Es wurde geprüft, ob Taleb Al-Abdulmohsen ein Islamist sei. Nein, war er ganz eindeutig nicht - er galt in Saudi-Arabien zwar als "Terrorist"... aber wegen seines Atheismus!

    Und damit war der Fall erledigt.

    Nach dem "NSU" nun ein weiterer rechtsterroristischer Mörder, dem unter der betriebsblinde Aufsicht von Merkels Saubermann Thomas de Maizière (CDU) ein Freibrief ausgestellt wurde.

    Er war ja Arzt.



    Und Moslemhasser.



    Und solche Leute heißt die Union jederzeit gern in unserem Land willkommen.



    Auch wenn, sobald man mal ein bisschen an der Oberfläche kratzen würde, diekt der irre Fanatiker zum Vorschein kommt.

    QED.

    Die AfD treibt lediglich das "guter Zuwanderer/böser Fremder"-Schmierentheater, das die Union vor, unter, und nach Merkel trieb und treibt, konsequent auf die Spitze, und führt es zu seiner blutigen Vollendung.

    • @Ajuga:

      Super schwierig, hier im nachhinein eine Handlungsempfehlung geben zu wollen. Irgendjemand wird vermutlich in 10 Jahren wieder wegen irgendetwas durchdrehen und wer weiß was für einen Schaden anrichten, das wird heute niemand vorhersehen können.



      Ob man am Ende die Tat überhaupt politisch einordnen kann ist fraglich, der Mann war offensichtlich hochgradig gestört. Macht das Leid der Opfer kaum geringer.



      Nicht zulassen darf man allerdings, dass die Nazis auch hieraus wieder Ihren Nutzen ziehen, Angst und Verunsicherung wieder in noch höhere Werte ummünzen.

    • @Ajuga:

      "Und Moslemhasser.

      Und solche Leute heißt die Union jederzeit gern in unserem Land willkommen."

      Sie machen genau das, was die Leute nicht wollen. Sie wollen Deutungshoheit über das Verbrechen. Dazu mit Unterstellungen, die genauso widerlich sind.

      Ganz nebenbei: Rechtsradikale wählen keine Weihnachtsmärkte als Ziel. Die Tat passt - aufgrund der Vorgeschichte des Täters - nicht zu einem Islamisten. Und sie passt aufgrund des Ziels nicht zu einem Rechtsradikalen.

      • @Strolch:

        „Sie machen genau das, was die Leute nicht wollen. Sie wollen Deutungshoheit über das Verbrechen.“



        Nun, @Ajuga versucht zunächst nichts anderes zu tun als Sie oder ich angesichts dieses unfassbaren Verbrechens auch tun: nach Erklärung und Einordnung suchen. Dass dabei jede „Wahrheit“ unvollkommen ist, lässt sich an den Kommentierungen dieses schrecklichen Ereignisses leicht nachvollziehen.



        Verwerflich sind eigentlich nur die Instant-Wahrheiten jener Parteien - allen voran der AfD - die Gewissheit suggerieren, wo es keine geben kann und denen so viele trotzdem bereit sind zu folgen.



        Übrigens, merken Sie was?



        „Rechtsradikale wählen keine Weihnachtsmärkte als Ziel.“



        Woher nehmen Sie DIESE Gewissheit, um dem Mitforisten quasi im selben Atemzug vorzuwerfen, seine „Unterstellungen“ seien widerlich.

    • @Ajuga:

      Ich finde es gut, dass Sie ihn klar als Atheisten bezeichnen und nicht als Ex-Muslim wie so häufig an anderer Stelle. Damit wird er nämlich immer noch in die Islam-Schublade gesteckt. Die Leute bekommen es dann nicht gebacken, dass Rechtsextreme auch außerhalb des Westens existieren

  • Was bitte soll das mit der Deutungshoheit? Der Täter war AfD-Anhänger. Als erstes sollte sich die AfD mal von gewalttätigen Anhängern distanzieren.



    Wenn Sie das nicht tun, dann machen sie sich ja solche Taten ihrer Anhänger zu eigen.

    • @Semon:

      Die AfD sieht ihn aber als terroristischen Flüchtling.

      Beweisen Sie denen mal das Gegenteil.

  • Was will man von AfD und so schon erwarten.

  • Instrumentalisiert sollten solche Taten von niemandem werden. Und doch wird das immer wieder getan. Ich erinnere an Herrn Habecks würdelosen Auftritt in dieser Sache...



    Dagegen finde ich eine Trauerkundgebung -gleich welcher Richtung- angebrachter.

  • Den Wunsch und die Notwendigkeit zur Trauer ist verständlich. Die Fehler bei der Migration sind aber ebenso erkennbar und wiederholen sich. Von daher überrascht der Impuls zur Veränderung wenig

  • "Alice Weidel und gleich fünf AfD-Landespolitiker haben angekündigt, dort ab 17 Uhr zu reden.



    Begrich kritisierte dies scharf: „Keine andere Partei kommt auf die Idee, einen Terroranschlag als Deutungsvorlage für die Eröffnung des Wahlkampfs zu (nutzen) (...) um einen politischen Mehrwert daraus zu ziehen, (das) sei in höchstem Maße „moralisch unredlich“."



    Dann hat Herr Begrich wohl verpasst wie Scholz und Haseloff bereits am Tag 1 nach dem Anschlag medial wirksam den Ort des Terrors besucht haben und dort natürlich auch in die Kameras gesprochen haben.



    Auch Lindner, Baerbock, Habeck und jeder andere Politiker von Rang und Namen hat sich bereits geäußert und überall schwingt natürlich die eigene Agenda mit - von 'nicht spalten lassen und zusammenstehen' auf der einen Seite bis zur 'schonungslosen Aufarbeitung' und 'alles müsse auf den Prüfstein' auf der anderen Seite.



    Der Anschlag wird diesen Wahlkampf natürlich massiv prägen - Politik ist immer auch ein Tagesgeschäft und die Themen innere Sicherheit und Migration waren eh schon auch vor dem Anschlag bereits die Themen, die laut allen Umfragen die Bürger am meisten bewegen.

    • @Farang:

      Ihr Kommentar ist nun allerdings wirklich total daneben: Olaf Scholz und Haseloff waren ja in ihrer Eigenschaft als Bundeskanzler bzw Ministerpräsident aktiv. - auch Frau Baerbock und Herr Habeck sind Mitglieder der Regierung und tragen Verantwortung. ... Christian Lindner, nun ja. (Ich habe mich mit seiner Positionierung nicht beschäftigt.)

      Was sie aber vor allem übersehen: die Inhalte. - Wenn jemand sagt, ich leide unter dem entsetzlichen Geschehen und ich fühle mit den Betroffenen und Opfern mit, - auch wenn gesagt wird, wir sollen unser Gemeinwesen stärken und uns nicht spalten lassen - dann ist das ja keine politische Stimmungsmache, sondern das genaue Gegenteil.