Mängel bei Bio-Ananas: Weniger öko als gedacht
Pestizide, Dünger, Monokulturen: Bio-Ananas und andere Öko-Südfrüchte sind umweltschädlicher als angenommen – aber besser als konventionelle.
MUELLE taz | Edgar Corrales ist das Gesicht der guten Ananas. Mit diesem Bart rund um den Mund sieht man ihn auf Etiketten der Biofrüchte, die von seiner Farm im mittelamerikanischen Costa Rica kommen. Corrales leitet die Finca, in der ohne jene chemisch-synthetischen Pestizide und Dünger gearbeitet wird, die das Grundwasser verseuchen – aber auch dafür verantwortlich sind, dass hier jedes Jahr mehr als 2 Millionen Tonnen konventionelle Ananas wachsen können, ohne dass diese von Schädlingen zerfressen werden.
Insekten vermehren sich in feuchtwarmen Tropen oft schneller als in Europa. Wie schafft es da einer wie Edgar Corrales, wie schaffen es andere Produzenten von Südfrüchten wie Ananas, Bananen oder Melonen unter solchen Bedingungen, Bioobst zu erzeugen?
Corrales, 42, steht auf einem Feld seiner Farm in dem Dorf Muelle im Norden Costa Ricas. Er ist dicker als auf dem Foto, trägt eine Zahnspange, die die staatliche Gesundheitsversorgung nicht bezahlt und fährt Geländelimousine: Er wirkt nicht wie ein einfacher Bauer. Agraringenieur ist er und Geschäftsführer einer Tochterfirma von Dole, dem riesigen Fruchtkonzern aus den USA. Das ist schon mal die erste Überraschung: Die Bioananas stammt aus demselben Konzern wie viele konventionelle, und Corrales steht zwar jetzt – sonst allerdings nicht selbst auf dem Acker. Er lässt für sich arbeiten.
Ein Arbeiter schafft 5.500 Früchte pro Tag
Der Preis: Im Schnitt kostet eine Ökoananas den Verbraucher 50 Prozent mehr als die konventionelle, mit Pestiziden behandelte Frucht. Deren Preis liegt etwa zwischen 1 und 3 Euro.
Die Farbe: Bioananas sind meist grüner, weil sie nach der Ernte nicht mit einer Chemikalie behandelt werden, die die Früchte gelb werden lässt. Gelbe Ananas sind aber nicht automatisch reifer als die grüneren Ökofrüchte.
Gerade haben Farmarbeiter eine graue Plastikfolie über das Feld gezogen und darauf Ananasschösslinge verteilt. Noch liegen die Wurzeln der jungen Pflanzen mit den harten, schmalen Blättern auf der Plane. Sie soll verhindern, dass Unkraut wächst und Erde weggeschwemmt oder weggeweht wird. Darüber haben die Männer eine Schnur gespannt, die etwa alle 30 Zentimeter geknotet ist. Mit einer Hacke sticht einer der Arbeiter unter jedem Knoten ein Loch in die Plane, durch das er einen Schössling in die rotbraune Erde steckt. Ab jetzt wachsen die Ananas ungefähr 13 Monate – bis die Früchte geerntet werden. „5.500 Schösslinge schafft ein Arbeiter pro Tag“, sagt Edgar Corrales. 36 Hektar: Das Feld ist so groß, dass es aussieht, als ende es erst am Horizont. Ananassetzling an Ananassetzling. Und auf den Äckern nebenan: auch.
Das ist die nächste Ernüchterung: Die Landschaft ist so eintönig wie auf konventionellen Farmen ist. Im vergangenen Jahr wuchs in den Monaten nach der Ananasernte nur auf 20 Prozent der Felder eine Hülsenfrucht – die Juckbohne, wie es bei Dole heißt. Auf den meisten Äckern wird Ananas angepflanzt, nichts anderes. Eine Monokultur also, wie sie Umweltschützer verurteilen. Die Ökoverordnung der Europäischen Union etwa schreibt eine Fruchtfolge vor: dass die Pflanzenart auf einem Feld jedes Jahr wechselt – Schädlinge und Krankheiten verbreiten sich so langsamer und mehr Tier- und Pflanzenarten überleben. Ausnahmen gibt es für Wein oder Obstbäume, die lange Zeit wachsen und Erträge liefern – das gilt nicht für Ananas.
Würden Corrales’ Leute die Pflanzenarten nach jeder Ernte wechseln, würde die Finca wohl weniger verdienen. Es würden auch andere Maschinen und Packstationen gebraucht – die sind teuer und Monokulturen darum lukrativer.
Ein Konferenzraum der Finca: Durch geschlossene Jalousien dringt wenig Licht, die Klimaanlage bläst kalte Luft ins Zimmer. An die Wand wird eine Powerpoint-Präsentation über den Bio-Ananasanbau geworfen. 18-mal werden die Früchte mit biologischen Pflanzenschutzmitteln gespritzt, sagen Corrales’ Leute, ungefähr alle drei Wochen einmal. Alle zwei Wochen kommt Dünger dazu, ein Teil aus kompostierten Ananas- und Zuckerrohrresten. Den großen Teil liefert Mehl aus Fisch, Federn oder Blut. – Blut? „Ja, aus Schlachthäusern“, sagt Corrales. „Wir brauchen sehr viel davon: 40 Tonnen für 100 Hektar.“ Er lässt die Mehlsäcke in einer Baracke der Farm lagern. „Made in Italy“ steht auf den Verpackungen: Dole holt das Mehl aus Italien über den Atlantik nach Costa Rica – für Ananas, die dann wieder per Schiff nach Europa gelangen.
Ähnlich werden auch andere Tropenfrüchte für den Biomarkt produziert: von Großunternehmen, in Monokulturen, mit viel Pflanzenschutzmitteln und Düngern. Zwar gibt es auch Lieferanten wie die Kooperative „Ivoire Organics“ in der Elfenbeinküste: von Kleinbauern, mit Hülsenfrüchtlern zwischen Ananasreihen, mit wenig Pflanzenschutzmitteln und Düngern. Nur werden auch hier Jahr für Jahr Ananas auf demselben Feld angepflanzt. Vor allem wird das Obst von Ivoire Organics in vielen Bioläden nicht angeboten, die Kooperative baut die Frucht auf 70 Hektar an – allein Corrales’ Farm hat mehr als doppelt so viel.
Ist es am Ende vielleicht besser, auf Ananas, Bananen und Melonen zu verzichten, als mit Tierblut gedüngte Biofrüchte aus einer Monokultur zu essen?
Volkert Engelsman kann sich aufregen über solche Einwände. Er ist der Chef des niederländischen Bioobst- und -gemüseimporteurs Eosta, hochgewachsen, trägt randlose Brille und weißes Hemd. Er will Bio raus „aus dem Müsligetto“, aus der Nische holen, sagt Engelsman. Unter der Marke Nature & More verkaufe das Unternehmen jede Woche fünf bis sechs Container Ökoananas in Europa. „Wir führen Krieg mit dem Einzelhandel, der nicht mehr zahlen will.“ Weniger als ein Prozent der frischen Ananas, die verkauft werden, seien bio. Mit der „Solidarität in der Wertschöpfungskette“ sei es nicht weit her. Und jetzt wird noch an den Produktionsbedingungen seiner Ananas gemäkelt.
Kein überzeugter Öko
„Das langweilt mich“, sagt Engelsman und senkt seine Stimme, damit sie gelangweilt klingt. „Es gibt überall Fundamentalisten, die erst dann etwas kaufen, wenn die Welt perfekt ist. Solche Neandertaler wird es immer geben.“ Er respektiere jeden, der einen Schritt weiter gehe als die konventionelle Agrarindustrie. Die Bioananas sei für ihn ein Beitrag, der die Landwirtschaft in Staaten wie Costa Rica umweltfreundlicher mache.
Tatsächlich ist Bio-Ananasanbau viel besser als die herkömmliche Konkurrenz. 20 Prozent weniger Treibhausgase, so Dole, werden ausgestoßen; Pestizide, wie sie Corrales auf seiner Biofarm spritzt, sind umweltverträglicher. Das wichtigste basiert auf dem Bakterium Bacillus thuringensis und „ist nur für Larven gefährlich“, sagt Paul van den Berge, Agraringenieur am Forschungsinstitut für biologischen Landbau. Anders als das Pestizid, das laut Dole am meisten in der konventionellen Nachbarfarm in Muelle benutzt wird: Diazinon haben die EU-Behörden überhaupt nicht zugelassen, weil sie es als „gesundheitsschädlich bei Verschlucken“ und „sehr giftig für Wasserorganismen“ einstufen. Auch die Fisch-, Blut- und Federmehle seien eine bessere Variante, erklärt van den Berge. Mineraldünger würden leichter ausgewaschen und gelangten so eher ins Grundwasser.
Und Edgar Corrales? Leitet neben seiner Biofarm für Dole eine Plantage mit Pestiziden, Dünger, dem vollen Programm. Könnte er sich auf sie beschränken, würde seine Bioananas keiner mehr kaufen, denn Corrales ist kein Öko. Er ist Geschäftsmann.
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