Macrons Pläne für die EU: Versuch eines Neustarts
Frankreichs Präsident Macron überrascht mit einer neuen Initiative für Europa. Welche Chancen haben seine Vorschläge?
Macron ließ am Mittwoch einen Brief an die „Bürgerinnen und Bürger Europas“ veröffentlichen. Der Text, den in Deutschland Die Welt abdruckte, erschien in Tageszeitungen aller 28 EU-Mitgliedsstaaten.
Darin redet der Präsident allen EuropäerInnen ins Gewissen. Emotional, voll Sorge über den sich ausbreitenden Nationalismus, aber auch optimistisch. Der Kontinent, so schreibt Macron, stehe an „einem Scheidepunkt, an dem wir gemeinsam in politischer und kultureller Hinsicht die Ausgestaltung unserer Zivilisation in einer sich verändernden Welt neu erfinden müssen.“
Allein der Weg ist ungewöhnlich. Macron nutzt keine Rede, kein Interview, keine Pressekonferenz, um seine Botschaft zu platzieren. Stattdessen wendet er sich direkt an die BürgerInnen, an den Regierungen vorbei – das ist neu. Zweieinhalb Monate vor der Europawahl will er eine Diskussion über die EU entfachen, die viele Menschen für einen lebensfremden, bürokratischen Apparat halten.
„Neubeginn“ für Europa
Gedanklich knüpft Macron an seine Sorbonne-Rede an. Im September 2017 hatte er an der Pariser Universität weit reichende Vorschläge zur Reformierung der EU gemacht – und andere Regierungen, allen voran die deutsche, in Zugzwang gebracht.
Danach passierte wenig. Die angekündigte „Neubegründung“ eines geeinten Europas blieb aus. Und Kanzlerin Angela Merkel (CDU), die gerne die deutsch-französische Partnerschaft lobt, ließ Macron am ausgestreckten Arm verhungern.
Emmanuel Macron
Für den Franzosen ist klar: Europa ist noch nie in so großer Gefahr gewesen wie heute. Macron stellt gegen die nationalistische Abschottung einen „Neubeginn“, der Freiheit, Schutz und Fortschritt berücksichtigen soll.
Noch für das Jahr 2019 schlägt er eine große Europa-Konferenz vor. Die Debatte soll jedoch nicht Vertretern von Regierungen und EU-Beamten vorbehalten bleiben, auch Experten, Sozialpartner, Religionsvertreter und Bürger sollen angehört werden. Macron schwebt dabei eine Debatte „ohne Tabus“ vor, „einschließlich einer Überarbeitung der Verträge.“
Weg mit Schengen
Dazu macht er rund ein Dutzend konkrete Vorschläge: Zum Schutz der Demokratie vor Manipulationen und Hackerangriffen regt er die Gründung einer europäischen Agentur gegen Cyberattacken an. Außerdem soll die Finanzierung europäischer politischer Parteien durch fremde Mächte verboten werden. Und er will durch EU-weite Regelungen Hass- und Gewaltkommentare aus dem Internet verbannen.
Zu den dringendsten Aufgaben gehört für Macron eine Totalrevision des Schengen-Abkommens, das die Abschaffung der Binnengrenzen für alle Teilnehmerstaaten regelt. Er möchte eine gemeinschaftliche Grenzpolizei für den Schutz der dadurch umso wichtigeren Außengrenzen schaffen und eine europäische Asylbehörde dazu. „Ich glaube angesichts der Migration an ein Europa, das sowohl seine Werte als auch seine Grenzen beschützt.“
Wie schon seit Amtsantritt betont Macron die zentrale Bedeutung von Umwelt- und Klimaschutz für eine recycelte Europäische Union. „Von der Zentralbank bis hin zur Europäischen Kommission, vom EU-Haushalt bis hin zum Investitionsplan für Europa: alle unsere Institutionen müssen den Schutz des Klimas zum Ziel haben.“
Bisher ist das Bemühen, die europäische Politik auf grünen Kurs zu bringen, mit großen Widerständen verbunden, durchaus auch aus Deutschland, wenn es etwa um Landwirtschaft oder Autos geht.
Macrons Pläne durchweg ausgebremst
Deshalb bringt Macron eine „Europäische Klimabank“ ins Gespräch. „Das könnte eine parallele Struktur zur EZB sein, die Klimaprojekte mit besonders günstigen Bedingungen unterstützt“, sagte Laurence Tubiana, Vorsitzende der Europäischen Klimastiftung ECF, die gute Kontakte zur französischen Regierung hat.
Gegen eine Renaissance der EU lässt sich nicht viel sagen. Seit dem Brexit-Referendum im Juni 2016 steht die EU-Reform ganz oben auf der Brüsseler Agenda. Mehrere EU-Gipfel haben sich mit der Zukunft Europas beschäftigt.
Doch in der Praxis ist wenig passiert. Die Euro-Reform stieß auf erbitterten Widerstand in den Niederlanden und anderen liberalen Staaten in Nordeuropa. Macron wurde aber auch mehrmals von Merkel ausgebremst. Zuletzt hat die Kanzlerin die Digitalsteuer – Macrons bisher wichtigstes Projekt für die Europawahl – auf die lange Bank geschoben.
Solche Misserfolge dürften auch der Grund sein, weshalb sich Macron nun schon wieder neue Vorhaben ausgedacht hat. Ähnlich wie die EU-Kommission, die täglich mit Erfolgsmeldungen wirbt, möchte auch er die Bürger mit konkreten Plänen an die Wahlurne locken.
Falsches Lockmittel
Das Problem ist nur, dass man den „Neubeginn in Europa“ nicht wählen kann. Macron hat im Europa-Parlament, anders als die sozialdemokratische Fraktion SPE oder die konservative EVP, keinen eigenen Spitzenkandidaten aufgestellt.
Er lehnt den Prozess der Spitzenkandidaten sogar ab – und setzt darauf, dass am Ende die Staats- und Regierungschefs die EU-Agenda bestimmen werden. Sein Wahlappell zielt also nicht nur auf die Wähler, sondern auch auf Merkel und die anderen EU-Granden, die im Sommer die Weichen für die Zukunft stellen werden.
Ob Macrons Ideen dazu geeignet sind, die Wähler zu motivieren, darf bezweifelt werden. Eine Schengen-Reform oder eine Demokratie-Agentur sind nicht gerade das, was sich Bürger von der EU wünschen. Diese Ideen werden zudem schon lange in Brüssel diskutiert – ohne greifbares Ergebnis.
Auch ein Bürger-Konvent zur Vertragsreform ist schon mehrfach erwogen worden – und wurde verworfen, weil eine Vertragsänderung mit riskanten Referenden in den Einzelstaaten verbunden wäre.
Schweigen im deutschen Walde
Die Reaktionen in Deutschland fielen interessant aus. Es gab wolkiges Lob, aber keine Zusagen für Unterstützung. Finanzminister Olaf Scholz (SPD) sagte, Macron setze „ein entschlossenes Signal“ für den Zusammenhalt in Europa. „Ich finde, er hat Recht: Nicht Skepsis, sondern Zuversicht sollte unser Handeln bestimmen.“
Welche Idee Scholz wie stärken will, sagte er indes nicht.
Auch die Reaktion der Kanzlerin war viel sagend. Zwar erklärte ein Regierungssprecher, wie wichtig es es sei, dass die proeuropäischen Kräfte ihre Konzeptionen vorstellten.
Doch Merkel schwieg.
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