Macron lockert französisches Arbeitsrecht: Massenproteste sind angekündigt
Die Regierung setzt mit der umstrittenen Reform ein Wahlversprechen des jungen Präsidenten um. Das Ziel: die Arbeitslosenquote senken.
Eine „mutige, ausgewogene und gerechte Reform“ nannte Premierminister Edouard Philippe die fünf Verordnungen mit insgesamt 36 Maßnahmen, als er sie zusammen mit Arbeitsministerin Muriel Pénicaud am Mittag in Paris vorstellte. Mit der Reform traut sich die Regierung an eines der umstrittensten politischen Themen der Republik. Legten PolitikerInnen in der Vergangenheit am Arbeitsgesetz Hand an, sorgte das stets für massenhafte Proteste. Auch dieses Mal haben Gewerkschafter sowie der Linkspolitiker Jean-Luc Mélenchon Demonstrationen angekündigt.
Kein Wunder, geht es doch direkt an die Macht der Gewerkschaften: So sollen die drei Gremien, die zuvor in französischen Betrieben die Arbeitnehmer vertreten haben, zu einem verschmolzen werden. Arbeitsministerin Pénicaud betonte, dass die Reform vor allem für kleine und mittlere Unternehmen eine Verbesserung darstelle. Sie sollen etwa davon profitieren, dass von Unternehmen und Arbeitnehmern ausgehandelte Betriebsvereinbarungen mehr Gewicht eingeräumt wird.
Überdies geht es an die Entschädigungen für ungerechtfertigte Kündigungen: Konnte zuvor ein Gericht über die Höhe entscheiden, werden diese nun gedeckelt. Das Maximum liegt künftig bei 20 Monaten Gehalt nach 30 Jahren Betriebszugehörigkeit. Für viele Gegner der Reform klingt das nach einer Einladung an die Unternehmen – könnten diese doch nun geradezu ein Budget für Kündigungen einplanen. Im Gegenzug für die Deckelung steigt allerdings auch die gesetzliche Kündigungsabfindung um 25 Prozent.
Kompliziert und starr
Mit seiner Reform will Macron den Jobmarkt anheizen. Das Land leidet seit geraumer Zeit unter einer hohen Arbeitslosigkeit, die fast doppelt so hoch ist wie in Deutschland. Im zweiten Quartal dieses Jahres lag die Arbeitslosenquote bei 9,5 Prozent.
Die Schuld daran sehen UnternehmerInnen und InvestorInnen im Arbeitsrecht der Franzosen. Zu kompliziert und starr sei das Arbeitsgesetzbuch, der „Code du travail“, behaupten die Befürworter der Reform. Schon fast ein Mythos ist die ständig wiederholte Behauptung des Arbeitgeberverbands Medef, der Code sei 3.000 Seiten lang – der Subtext: Mit so was können wir Unternehmer uns nicht herumschlagen.
CGT-Chef Philippe Martinez
Unter Gewerkschaftern dagegen ist das strenge Arbeitsrecht sehr geschätzt. Vor allem die radikalere Arbeitnehmervertretung CGT wehrt sich gegen die Reform. „Alle Befürchtungen, die wir hatten, wurden bestätigt“, sagte CGT-Chef Philippe Martinez. „Das ist das Ende des Arbeitsvertrags“, erklärte Martinez mit Bezug darauf, dass sich Firmen und Beschäftigte künftig leichter auf Arbeitszeiten und Bezahlung je nach Auftragslage einigen können sollen. „Entweder Sie sind einverstanden, oder Sie zischen mit nichts in der Tasche ab,“ sagte der CGT-Chef.
Am 22. September sollen die Verordnungen vom Kabinett abgesegnet werden. Für den 12. September rief Martinez zu landesweiten Protesten auf. Ein einhelliges Bündnis gibt es unter den Gewerkschaftern allerdings nicht: Die gemäßigtere Force Ouvrière kündigte schon am Mittwoch an, sich daran nicht zu beteiligen.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Trump macht Selenskyj für Andauern des Kriegs verantwortlich
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
Emotionen und politische Realität
Raus aus dem postfaktischen Regieren!