Macron-Rede an der Sorbonne-Universität: „Europa ist nicht unsterblich!“
Frankreichs Staatschef Macron hält eine Grundsatzrede an der Sorbonne. Er warnt vor Europas Bedeutungsverlust und fordert eine neue Handelspolitik.
„Europa ist nicht unsterblich“, warnte Macron. Der französische Staatschef will sich aber mit einer von nationalistischen Parteien ausgeschlachteten Untergangsstimmung nicht abfinden. Noch hätten die Europäer die Wahl, mit gemeinsamen Initiativen den Gefahren zu trotzen, um ihren Wohlstand, ihre humanistischen Grundwerte und die Demokratie, aber auch ihre Grenzen zu verteidigen. Die Zukunft aber wird – Macron zufolge – in den „kommenden fünf Jahren“ entschieden. Wenn Europa sich nicht gemeinsam wehre, drohe außer der Abhängigkeit eine kollektive „Verarmung“.
Eine „Conditio sine qua non“ für unsere Sicherheit sei es, dass Russland in der Ukraine nicht gewinnen dürfe. Er bedauere es auch nicht, am 26. Februar eine „strategische Zweideutigkeit“ geschaffen zu haben, als er erwähnte, im Interesse einer glaubwürdigen Abschreckung dürfe der Westen die Entsendung von Truppen an die Front nicht ausschließen.
Die Gefahren gehen aber weit über die militärische Bedrohung hinaus. Macron erwähnte in diesem Zusammenhang auch die Probleme der Immigration. Mit dem kürzlich beschlossenen Migrations- und Asylpakt müsse Europa seine Grenzen schützen und auch dazu stehen. Nach britischem Vorbild abgewiesene Geflüchtete in ein afrikanisches Land abzuschieben, erteilte Macron eine Absage.
EU muss eine „Macht“ werden
Ein besonders wichtiges Thema für Macron ist die wirtschaftliche Unabhängigkeit. Die richtige Strategie ist für den französischen Staatschef – wie schon in seiner ersten Sorbonne-Rede 2017 – eine „europäische Souveränität“ bei der Verteidigung, der Energieversorgung, der Versorgung mit strategischen Gütern, bei Gesundheit und Ernährung zu erreichen. Dazu dürfe die EU nicht länger „naiv“ bleiben, sondern müsse eine „Macht“ werden, die ihre Interessen gegen militärische Bedrohungen oder Cyberattacken verteidigt. Insbesondere auch gegen unlautere Konkurrenz durch Wirtschaftsgroßmächte, wie die USA oder China, die internationale Handelsregeln nicht mehr respektieren.
Europa müsse in einen „Pakt für den Wohlstand“ investieren. Und damit in Innovationen, Produktivitätssteigerung und in eine Re-Industrialisierung. Ganz nach dem Vorbild der USA und Chinas sollten eigene Wirtschaftsinteressen im Vordergrund stehen. Dies gelte erst Recht für die Rüstungsindustrie. Macron verlangt nichts Geringeres als einen „Investitionsschock“. Als Inspiration dafür nannte er die europäische Anleihe von rund 800 Milliarden Euro zur Stützung der Wirtschaft in der Corona-Pandemie. Zusätzliche Mittel für die massiven Investitionen dafür sieht er unter anderem in Einnahmen aus einer CO2-Abgabe und der Besteuerung „reeller“ Gewinne multinationaler Konzerne in den EU-Staaten.
Die EU sei zwar in den letzten Jahren auf dem Weg zu einer „europäischen Souveränität“ vorangekommen, aber zu zimperlich. Mit seiner Rede skizzierte Macron der zukünftigen EU-Kommission detailreich die Basis für ihre Agenda. Zugleich lieferte er seinen Beitrag zur Europawahl in knapp sechs Wochen. Allerdings ohne dabei eine Liste oder Kandidaten auch nur zu erwähnen. Ganz vorne im Saal an der Sorbonne saß neben diversen Ministern Valérie Hayer, die Spitzenkandidatin der französischen Regierungsparteien.
Bisher verteidigte sie ohne viel Aufhebens Macrons Vision bei den anstehenden Wahlen. Umfragen geben ihrer Liste Renaissance derzeit weniger als 20 Prozent der Stimmen, während das rechtspopulistische Rassemblement National mit mehr als 30 Prozent klar in Führung liegt. Starthilfe durch den offiziell über den Parteien stehenden Staatschef Macron kam der noch schwunglosen Hayer bestimmt gelegen.
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