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Drogenplattform „Archetyp“ ist offlineMacht, Moral und Monero

Er war einer der größten Drogenmärkte im Darknet – jetzt haben Ermittler „Archetyp“ abgeschaltet. Doch der nächste illegale Marktplatz kommt bestimmt.

Soll Käufer und Händler abschrecken: animiertes Video der internationalen Operation Deep Sentinel Foto: BKA

Am 11. Juni nimmt die spanische Polizei einen 30-jährigen Deutschen in Barcelona fest. Der Vorwurf: Er soll einen der weltweit größten Darknet-Handelsplätze betrieben haben. „Archetyp“ heißt die Plattform.

Tage zuvor zierte noch das in Blautönen simplistisch gehaltene Logo die Website. Weiter kamen Nutzer nicht – „Market in Maintenance“ stand tagelang dort – Wartungsarbeiten. Zugriff auf das, was sich dahinter verbarg, auf die Listen voller Drogen und verschreibungspflichtiger Medikamente, per Klick bestellbar, hatten die Nutzer nicht.

Auf Reddit spekulierten sie, ob sich der Betreiber der Seite aus dem Staub gemacht hätte. „Exit Scam“ heißt das: Wenn die Betreiber der Seite Zahlungen annehmen, jedoch weder die Ware verschicken noch die Zahlungen an die Drogenverkäufer weiterleiten.

Exit Scams sind bedingt durch das akzeptierte Zahlungsmittel: Kryptowährungen. 2019 versuchten die Admins des Drogenhandelsplatzes „Wall Street Market“, sich mit 14,2 Millionen US-Dollar in den Kryptowährungen Bitcoin und Monero aus dem Staub zu machen, bevor sie von den deutschen Behörden festgenommen wurden.

Krypto braucht keine Bank als Mittelsmann für Transaktionen. Alles läuft über Blockchains ab, Ketten aus Blöcken, die die Informationen der Zahlungen speichern. All das ist nicht verfälschbar, weil die Info auf unzähligen Rechnern weltweit gespeichert und immer wieder gegengecheckt wird. Weil keine Bank im Spiel ist, lässt sich keine Rücküberweisung vornehmen.

Lob für Aufmachung und einfache Bedienung

Wer einmal Kryptowährung an einen Han­dels­platz geschickt hat, ist sie los, ob das Keta oder Koks zu Hause ankommt oder nicht. Bei wem sollte man sich auch beschweren? Immerhin wird der Kauf von Drogen im Internet nach Paragraf 29 Betäubungsmittelgesetz (BtMG) genauso geahndet, mit bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe.

Auch wenn es aus den genannten Gründen riskant ist, sich Drogen im Darknet zu bestellen, machen es europaweit Hunderttausende – Archetyp hatte laut Angaben des BKA mehr als 600.000 Nutzer. Die Seite, die während der Coronapandemie im Mai 2020 online ging, hatte einen guten Ruf.

Leute auf Reddit lobten die Aufmachung und einfache Bedienung. Auch wenn es lukrativ scheint, Geld von Nutzern einzusammeln und dann in der Unendlichkeit des Internets unterzutauchen, ist es bei genauerer Betrachtung nur ein kurzes Vergnügen. Das Vertrauen ist dann für immer verspielt.

Auf Archetyp waren Produkte in Kategorien gelistet, bebildert, gezahlt wurde in der Privacy Coin Monero. Es gab dort nur Drogen. Andere illegale Güter wie Waffen oder geklaute Daten – wie es sie auf anderen Darknet-Handelsplätzen gibt – waren nicht im Sortiment. Geliefert wurde nur innerhalb der EU.

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Was ist das Darknet?

Clear Web: Das ist das Internet, das von Suchmaschinen wie Google indexiert wird. Webseiten wie Nachrichtenportale, Social Media oder Shops sind Teil des Clear Web.

Deep Web: Bereiche des Internets, die nicht von Suchmaschinen erfasst werden: private Datenbanken, E-Mails, geschützte Webseiten, Inhalte hinter Passwörtern. Es umfasst den größten Teil des Internets.

Darknet: Teil des Deep Web, nur mit speziellen Browsern wie Tor zugänglich. Bietet Anonymität und wird für legale (Whistleblowing) und illegale Aktivitäten genutzt.

Wie zahlt man für Drogen im Darknet?

Meistens mit Kryptowährungen, insbesondere Bitcoin und Monero.

Bitcoin (BTC): Größte Kryptowährung nach Marktkapitalisierung, weit verbreitet, einfach zu nutzen. Transaktionen sind öffentlich und dauerhaft in der Blockchain sichtbar, was Rückverfolgung durch Behörden ermöglicht.

Monero (XMR): Starke Anonymität durch Verschleierung von Sender, Empfänger und Betrag. Schwer rückverfolgbar. Viele Kryptobörsen listen Monero nicht, weil Monero durch seine starken Datenschutzfunktionen schwer rückverfolgbar ist.

Große Schläge gegen Darknet-Handelsplätze

2013 – Silk Road

2014 – Silk Road 2.0

2017 – AlphaBay

2017 – Hansa Market

2019 – Wall Street Market

2021 – DarkMarket

2022 – Hydra

Die Erfahrung mit den jeweiligen Händlern wurde – ähnlich wie bei Amazon – mit Sternen und Kundenbewertungen untermalt. Kam eine Bestellung nicht an, konnten Nutzer eine Art Kundenservice zur Schlichtung beiziehen und eine schlechte Bewertung schreiben. Archetyp hatte sich über die Jahre einen Ruf aufgebaut.

International koordinierte Operation Deep Sentinel

Dennoch wurden die Nutzer unruhig, als die Seite vor einer Woche nicht mehr erreichbar war. Sie wussten noch nichts von der koordinierten Aktion von Ermittlungsbehörden mehrerer Länder, der Festnahme des Deutschen in Barcelona, von den Razzien, den sieben Festnahmen in Schweden, den Durchsuchungen in Rumänien, der Abschaltung der Server in den Niederlanden und den Dutzenden beschlagnahmten Computern und Smartphones.

Am 16. Juni zierte dann nicht mehr das bläutönige Design den Webauftritt des Drogen-Online-Shops, sondern der Schriftzug „This domain has been seized“ – „Diese Seite wurde beschlagnahmt“. Darunter ein Link zur „Operation Deep Sentinel“ und die Logos der beteiligten Behörden aus den Niederlanden, Deutschland, Rumänien, Schweden, Spanien und den USA. Das BKA schreibt auf Anfrage, dass es auch mit Frankreich, Irland, Litauen und Tschechien kooperiert und von den dortigen Behörden Beweismittel erlangt habe.

Als mutmaßlichen Betreiber der Seite nennen Bundeskriminalamt (BKA) und die deutsche Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (ZIT) einen 30-jährigen Deutschen, der in Barcelona wohnte und im Netz unter dem Nutzernamen „ASNT“ bekannt ist. ASNT gab 2021 dem Netzpolitikportal tarnkappe.info, das von dem Journalisten Lars Sobiraj geführt wird, ein Interview zu den hinter Archetyp stehenden Gedanken und Ideen. Damals hatte Archetyp in weniger als einem Jahr schon 40.000 Nutzer und rund 500 Händler versammelt.

Wie kommt ein Journalist in Kontakt mit einem Darknet-Drogenhandelbetreiber? Sobiraj schreibt der taz, dass ASNT ihn kontaktierte. „Da der Betreiber offenkundig viel von seiner Materie versteht, habe ich zugestimmt“, sagt Sobiraj. Um sicher zu sein, dass ASNT wirklich verantwortlich für Archetyp ist, prüfte er, ob ASNT die Website kontrolliert und dort etwas ändern kann.

Er wollte nicht, dass Menschen im Darknet über den Tisch gezogen werden

In dem Interview von 2021 erzählt ASNT, dass er aus finanziell schwierigen Verhältnissen komme und früh in Kontakt mit Drogen gekommen sei. „Als ich jünger war, habe ich mich für unbesiegbar gehalten. Dachte, ich bin klüger als andere, habe gekonnt jede Warnung ignoriert und täglich gemacht, worauf ich Bock hatte“, schieb ASNT in verschlüsselten Nachrichten an Sobiraj. Der Archetyp-Admin erzählt, dass er früher viel getrunken und sich mit „Dummköpfen“ umgeben habe. Nach einem „Ego-Tod“ während eines LSD-Trips soll ASNT dann Anfang seiner 20er laut eigenen Angaben sein Leben umgekrempelt und sich vom Alkoholkonsum verabschiedet haben.

Klingt ein wenig nach Net­flix-Drehbuch? Ja. Es gibt durchaus Überschneidungen mit der Story der Serie „How to Sell Drugs Online (Fast)“. Sie beruht auf der wahren Geschichte des damals 18-jährigen Maximilian Schmidt, der zwischen 2013 und 2015 aus seinem Leipziger Kinderzimmer heraus unter dem Decknamen „Shiny Flakes“ einen Onlinedrogenhandel startete. Im Stern-Porträt zu Schmidt beschreibt ein Psychiater die „klassische Selbstüberschätzung“ des jungen Erwachsenen, der mittlerweile wieder auf freiem Fuß ist.

Auch ASNT überschätzte sich laut eigenen Angaben selbst. Beide Drogenhandelbetreiber wollten anders sein als die Menschen um sie herum. Beide strebten nach Selbstwirksamkeit, bauten sich im Schatten des Internets ein Imperium auf. Beide wurden erwischt.

Im Forum des ersten großen Darknet-Handelsplatzes Silk Road kam ASNT nach eigenen Angaben mit Philosophie und Ethik in Kontakt. Er tauschte Nachrichten mit Menschen aus, die ihn aus seiner Sicht besser zu verstehen schienen als die in seiner Heimat. Er sah Drogenpolitik kritisch, wollte nicht, dass Menschen im Darknet über den Tisch gezogen werden, und wünschte sich „Dekriminalisierung und/oder Legalisierung“ von Drogen.

Ein bisschen wie bei „Hydra“

In einem Darknet-Forum schrieb er, dass die Handelsplätze ein Symptom des Drogenverlangens seien, nicht die Ursache. Nach eigenen Angaben soll er zuvor Websites gehackt und im Bereich der Cybersicherheit gearbeitet haben.

Über die Identität der sieben in Schweden Festgenommenen ist weniger bekannt. „Viele der größten Händler auf Archetyp kommen aus Schweden“, sagt Caroline Wiklund, Pressesprecherin der schwedischen Polizei der taz. Dort wurden sowohl Verkäufer als auch Moderatoren der Plattform verhaftet.

„Nach der Schließung des nationalen Marktplatzes Flugsvamp 3.0 im November 2021 wussten viele schwedische Händler und Käufer erst mal nicht, wohin. Deswegen etablierten sich die schwedischen Händler schnell auf Archetyp. Im Zusammenhang mit Archetyp haben wir seit 2022 mit dem BKA zusammengearbeitet“, sagt Wiklund.

Ist dieser große Schlag gegen Archetyp das Ende vom Drogenkauf im Darknet? Nein. „Es hat aber eine unheimliche Symbolkraft“, sagt Julia Kramer, die am Institut für Informationssicherheit der Hochschule Niederrhein zu Cyberkriminalität forscht. „Cyberkriminelle werden dadurch verunsichert. Wird ein Handelsplatz runtergenommen, kommt ein neuer.

Die Frage ist, ob es die neuen Betreiber schaffen, schnell und mit den nötigen Sicherheitsvorkehrungen eine neue Plattform aufzuziehen – insbesondere, wenn sie durch die Signalwirkung einer internationalen Polizeiaktion eingeschüchtert sind.“

Darauf, dass die Behörden auf Signalwirkung und Abschreckung abzielen, lässt auch das Video auf der Website zu „Operation Deep Sentinel“ schließen. Der zweiminütige Clip wirkt wie der Trailer zur animierten Version von „How to Sell Drugs Online (Fast)“. Er richtet sich an die „Underground Economy“: die Händler, Betreiber und Moderatoren von Drogenhandelsplätzen. Er fasst die Arbeit der Behörden zusammen, die in Sachen Cyberkriminalität kooperieren müssen – weil diese Bereiche der Kriminalität vor Landesgrenzen nicht haltmachen.

BKA-Sprecher Alexander Göttert bestätigt auf Anfrage, dass das Video Teil der Stategie zur Bekämpfung von Cybercrime ist und die Vorgehensweise als „disruptive Kommunikation“ bezeichnet wird, mit dem Ziel der „Prävention weiterer Taten durch Tatgeneigte.“

2022 legte das BKA den damals umsatzstärksten Handelsplatz im Darknet weltweit lahm. Sein Name: „Hydra“. In der griechischen Mythologie ein Wesen, dem zwei Köpfe nachwachsen, wenn einer abgeschlagen wird – den Teil kennen die meisten. Dass es Herakles gelang, die Hydra zu besiegen, ist weniger bekannt.

Es ist wahrscheinlich mit den Darknet-Drogenmärkten ähnlich wie in der griechischen Mythologie: Eine Lösung zum Umgang mit Drogenhandel im Internet ist weder schnell noch geradlinig noch offensichtlich.

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