Luftattacken auf Aleppo: „Abscheuliche Angriffe“
Der Osten Aleppos wird bombardiert. Es sollen auch Fassbomben im Einsatz gewesen sein. Syrische Weißhelme sprechen von einem „katastrophalen Tag“.
Ihre Freiwilligen hätten mehr als 2.000 Artilleriegranaten einschlagen hören und 250 Luftangriffe gezählt, berichteten die Weißhelme, die in diesem Jahr für ihren selbstlosen Einsatz für die zivilen Opfer des Bürgerkriegs mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet wurden. Auf ihrer Internetseite wurden Videos von den massiven Angriffen veröffentlicht. Die Weißhelme beklagten „beispiellose Bombardements mit allen Waffenarten“.
„De facto wurde nicht ein einziges Viertel von Ost-Aleppo von den heutigen Bombardements verschont“, erklärte ihrerseits die in Großbritannien ansässige Beobachtungsstelle. Diese stützt sich auf ein breites Netzwerk von Informanten in Syrien, ihre Angaben sind von unabhängiger Seite kaum zu überprüfen. Ihren Zählungen zufolge wurden seit Beginn einer neuen Offensive der Armee auf Ost-Aleppo am Dienstag fast hundert Zivilisten getötet.
Nach Angaben der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen vom Samstag wurden auch mehrere Krankenhäuser in Ost-Aleppo bei den Angriffen der Regierungstruppen direkt getroffen. Unter ihnen sei auch das einzige Kinderklinik in den von Rebellen kontrolliertem Gebiet der Stadt gewesen, das die Arbeit habe einstellen müssen.
„Keinerlei Entschuldigung“
Die US-Regierung verurteilte „die schrecklichen Angriffe gegen medizinische Einrichtungen und humanitäre Helfer“. Es gebe „keinerlei Entschuldigungen für diese abscheulichen Taten“, erklärte die Nationale Sicherheitsberaterin Susan Rice am Rande des Apec-Gipfels in Lima. „Das syrische Regime und seine Verbündeten, vor allem Russland, sind verantwortlich für die aktuellen und langfristigen Konsequenzen dieser Taten.“
Auch die UNO äußerte sich erschüttert. Die Vereinten Nationen seien „entsetzt“ über die jüngste Gewalteskalation in Syrien, erklärten der UN-Hilfskoordinator in Syrien, Ali al-Saatari, und der Regionalkoordinator Kevin Kennedy.
Seit Mitte Juli sind die Rebellen im Ostteil der Stadt von Regierungstruppen eingekesselt. Dort leben schätzungsweise 250.000 Menschen, die mittlerweile kaum noch etwas zu essen und zu trinken haben. Auch die medizinische Versorgung ist in weiten Teilen zusammengebrochen.
UN-Sondergesandter in Damaskus
Die russische Armee unterstützt die syrischen Regierungstruppen, an den jüngsten Angriffen auf Aleppo war sie nach eigenen Angaben aber nicht beteiligt. Moskau hatte am Dienstag den Beginn einer Offensive gegen Rebellen und Dschihadisten in der Provinz Idlib verkündet.
Die syrische Regierung hat unterdessen einen Appell des UN-Sondergesandten Staffan de Mistura abgewiesen, einen Waffenstillstand im erbittert umkämpften Aleppo zu schließen.
Um die Lage in Aleppo zu beruhigen, plädierte de Mistura dafür, dass sich die extremistischen Kämpfer der ehemaligen Al-Nusra-Front aus dem Ostteil der Stadt zurückziehen sollen. Die gemäßigte Opposition soll die Viertel demnach weiter kontrollieren, die syrische Armee im Gegenzug nicht einmarschieren und ihre Angriffe stoppen.
Außenminister Walid al-Muallim erklärte nach einem Treffen mit de Mistura in Damaskus, alle staatlichen Institutionen in der nordsyrischen Metropole müssten wieder hergestellt werden. Den von den UN vorgeschlagenen Autonomiestatus für den von Rebellen gehaltenen Ostteil der Stadt lehnte er ab.
Massive Regierungsoffensive wird nicht zurückgefahren
De Mistura sagte zunächst nichts nach dem Treffen mit al-Muallim. Der Außenminister wiederum ließ keinerlei Bereitschaft erkennen, die massive Regierungsoffensive in Aleppo zurückzufahren, bei der inzwischen alle Krankenhäuser im von den Rebellen gehaltenen Osten der Stadt funktionsunfähig gebombt worden sein sollen. Damaskus werde es nicht zulassen, dass 275 000 Menschen in Aleppo als „Geiseln von rund 6000 Bewaffneten“ blieben.
„Wir stimmten überein, dass Terroristen den Osten Aleppos verlassen müssen, um das Leiden der Zivilisten in der Stadt zu beenden“, sagte al-Muallim.
Die syrische Regierung bezeichnet alle, die gegen sie kämpfen, als Terroristen. Die UN und der Westen unterscheiden dagegen zwischen moderaten Rebellen und extremistischen Organisationen wie der Terrormiliz Islamischer Staat.
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