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Lügendetektoren vor GerichtNichts als die Wahrheit

Opferschutzverbände fordern ein Ende von Lügendetektor-Tests vor Gericht. Ein gesetzliches Verbot der umstrittenen Methode ist aber nicht geplant.

Ein Polygraph steht am 17.10.2017 vor Prozessbeginn im Amtsgericht in Bautzen (Sachsen) auf einem Tisch im Verhandlungssaal Foto: Sebastian Kahnert/dpa/picture alliance

BERLIN taz | Es klingt wie in einem amerikanischen Krimi: Ein Mann wird bezichtigt, seine Kinder zu missbrauchen. Weil sich der Vorwurf nicht anders ausräumen lässt, lässt das Gericht einen Lügendetektor-Test durchführen. Die Maschine soll klären, ob der Mann lügt.

Das ist tatsächlich Praxis in einigen wenigen Verhandlungen in deutschen Familiengerichten. Und die ist umstritten. Die taz hatte vor knapp zwei Wochen von einem dramatischen Fall in Chemnitz berichtet. Über 22 Jahre hatte ein Vater mindestens zehn Kinder schwer sexuell missbraucht. Er konnte das unter anderem deswegen so lange unbehelligt tun, weil ein „forensisch-physiopsychologisches Gutachten“, also ein Lügendetektor, ihn in einem früheren Verfahren entlastet hatte.

Anfang dieses Jahres wurde doch der Prozess gegen den Mann eröffnet. Er gestand, das Landgericht verurteilte ihn zu 10 Jahren und 6 Monaten Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung. Sein Anwalt hat dagegen Revision eingelegt.

Opferberatungen sehen verheerende Folgen

Franziska Drohsel ist juristische Referentin bei der Bundeskoordinierung Spezialisierter Fachberatungen. Das ist der Dachverband für Beratungsstellen, die zu sexualisierter Gewalt an Kindern und Jugendlichen arbeiten. Der Fall von Chemnitz zeige, „welch verheerende Folgen ein Lügendetektor in einem Gerichtsverfahren hat“, sagt Drohsel.

Er mache ein weiteres Mal deutlich, dass es sich bei dem Lügendetektor um ein „absolut ungeeignetes Beweismittel“ handele. Drohsel fordert, dass die Methode in keinem Gerichtsverfahren mehr zur Anwendung kommen sollte.

Ähnlich argumentiert auch Christiane Hentschker-Bringt von der Landesarbeitsgemeinschaft Sexualisierte Gewalt in Sachsen. Der Lügendetektor vermittle eine „trügerische Sicherheit“. „Statt technischer Scheinlösungen brauchen Familiengerichte und andere Verfahrensbeteiligte fundiertes Wissen über manipulative Täterstrategien und die daraus entstehenden Familiendynamiken.“ Fachberatungsstellen sollten stärker einbezogen werden, so Hentschker-Bringt gegenüber der taz.

Der Bundesgerichtshof hatte Polygraphen, wie Lügendetektoren eigentlich genannt werden, 1998 als „völlig ungeeignet“ bezeichnet. Verboten ist ihr Einsatz damit nicht, aber an Bedingungen geknüpft. So muss die Teilnahme an einem Polygraphentest freiwillig erfolgen, sein Einsatz darf nur eines unter mehreren Beweismitteln sein.

Konsequenzen aus dem Fehlurteil von Chemnitz

Die meisten Gerichte halten sich an die höchstrichterliche Rechtssprechung und verzichten auf Polygraphen-Gutachten. Eine Handvoll Gerichte setzt sie trotzdem ein. Welche Konsequenzen ziehen diese Gerichte nun aus dem verheerenden Fehlurteil in Chemnitz?

Wer mit Fa­mi­li­en­rich­te­r*in­nen in unterschiedlichen Gerichten und Instanzen spricht, der stößt vor allem auf Unverständnis für die Methode. Eine „absolute Katastrophe“ sei der Fall von Chemnitz. Eine Prognose, ob sie polygrafische Gutachten auch in Zukunft weiter zulassen, kann allerdings keines der befragten Gerichte abgeben. Es gilt die richterliche Unabhängigkeit.

Aber es zeigt sich eine Tendenz unter den wenigen Gerichten, die in den vergangenen Jahren polygrafische Gutachten herangezogen oder für zuverlässig erklärt haben. Am Amtsgericht Schwäbisch-Hall hatte eine Richterin zuletzt 2022 ein solches Gutachten in Auftrag gegeben. Die Richterin hat das Gericht mittlerweile verlassen, seitdem sei es dort „keine geübte Praxis“ mehr, das Verfahren einzusetzen, sagt der Direktor.

Auch am Amtsgericht Koblenz, wo zuletzt 2017 ein polygrafisches Gutachten eingeholt wurde, heißt es, in den vergangenen fünf Jahren sei keines mehr herangezogen worden. Am Amtsgericht Dresden liegt das letzte entsprechende Verfahren fünf Jahre zurück. Am Amtsgericht Bautzen, wo es in den vergangenen fünfzehn Jahren immer wieder Polygraphentests gab, heißt es, aktuell sei kein Fall absehbar, in dem ein solches Gutachten eingeholt werde.

Auch in den höheren Instanzen, die sich zuletzt mit dem Einsatz von Polygraphen beschäftigt hatten, scheinen die Gerichte Abstand zu nehmen. Am OLG Koblenz sei in den vergangenen fünf Jahren kein Fall mehr bekannt, bei dem der Polygraf eingesetzt wurde, am OLG Dresden ebenfalls nicht.

Justizministerium schließt Verbot aus

Den Polygraphen tatsächlich zu verbieten, ist so gut wie ausgeschlossen. Gesetzlich verboten sind vor allem Vernehmungsmethoden, die gegen die Menschenwürde oder das Völkerrecht verstoßen, wie zum Beispiel Folter. Das Bundesjustizministerium könnte theoretisch die Strafprozessordnung ändern und dort den Polygraphen als unzulässiges Beweismittel verbieten.

Das sei aber nicht geplant, schreibt eine Sprecherin auf taz-Anfrage. Das Ministerium gehe allerdings davon aus, dass durch die höchstrichterliche Rechtsprechung auch ohne einen Katalog unzulässiger Beweismethoden „ausreichend konkretisiert worden“ sei, „unter welchen Voraussetzungen ein Beweismittel als geeignet oder ungeeignet anzusehen ist“.

In Chemnitz, wo ein polygrafisches Gutachten den angeklagten Vater fälschlich entlastet hatte, will man den Polygraphen jedenfalls nicht mehr einsetzen.

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9 Kommentare

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  • Soziopathen können die Tests manipulieren, die Aussagefähigkeit ist aufgrund von der Mannigfaltigkeit der psychischen und persönlichen Ausprägungen kaum ernst zu nehmen. Ich denke die Evidenz ist bei diesem Verfahren mangelhaft.

  • Wir haben uns während meines Psychologie Studiums mit Polygraphen beschäftigt.



    Abgesehen davon, dass das Ergebnis selten wirklich valide ist, war es erschreckend einfach, den Polygraphen zu überlisten.



    Unser Dozent hat einige Tests mit uns gemacht, uns dann einige "Tricks" beigebracht, den Test zu überlisten und dann die Tests wiederholt.



    Kein einziger Test war danach valide ... man konnte das Ergebnis nach Belieben manipulieren.

    Das war Ende der 80er, wo man wahrscheinlich schwieriger an Infos rankam, wie man den Polygraphen überlistet.

    Jetzt, durch Google & Co, sollte das ein Kinderspiel sein....

  • Das Polygraphen unzuverlässig sind, ist seit Jahrzehnten(mindestens 50 Jahre) bekannt. Erstaunlich das die in Deutschland überhaupt noch genutzt werden.

  • Ohne polyhraph hätte es ja auch keine Beweise gegeben und der Mann wäre trotzdem freigesprochen worden.

  • Man sollte die richterliche Freiheit dahingehend einschränken, dass bei Gutachtern und Gutachten nur fachlich anerkannte Verfahren und Fachleute gewählt werden dürfen. Im Moment können Richter ja irgendwen und irgendwas auswählen, unabhängig von Qualifikation und Eignung.

    • @Axel Schäfer:

      Das ist richtig.



      Ich erinnere mich an einen Prozess 1989 gegen Menschen, die eine von der Bundesanwaltschaft sogenannte "Legale RAF" gebildet haben sollten.



      Um wenigstens irgendeinen Bombenanschlag auch nur halbwegs konkreten Personen zuzuordnen, kam man auf die Idee einen sogenannten "Schriftsachverständigen" an den Start zu bringen. Ockelmann hiess der glaube ich. Aus Hamburg. Der haute sonst mit seinen Schriftgutachten Puffgänger raus, die nachher ihre Unterschrift auf dem Gagenscheck anzweifelten.



      Also ja - die freie Beweiswürdigung des Gerichts ist schon weitreichend. In diesem Fall wurden an 4 Menschen fast 4 Jahrzehnte Knast verteilt. Denen schuldet der Staat eigentlich bis heute jeweils ein bisschen mehr als eine Viertelmillion Haftentschädigung.

  • Oh, danke für die Info. Ich wusste tatsächlich nicht, dass dieser feuchte Traum aller rechten InnenministerInnen und PolizistInnen in Deutschland noch angewendet wird. Erschreckend, was bei uns so alles an repressivem Zwang vom Staat existiert. Wird mit unserer in Teilen rechtsextremen Regierung (da, wo sie schon AfD Politik umsetzt) nicht besser.

  • Im Netz abrufbares Gutachten z. Sachverhalt der Glaubhaftigkeitsbeurteilung:



    aus-unserer-sicht....usch-rixen-sachser



    An dieser Stelle aber auch eine Gegenmeinung zur Intention des Artikels, eines Strafrechtsexperten aus Passau, Prof Holm Putzke:



    "Es kommt gar nicht selten vor, das zeigen die Erfahrungen praktizierender Polygrafiesachverständiger, dass vor allem in Verfahren, in denen es um Sexualdelikte geht, Beschuldigte nach einem nicht bestandenen Test ein Geständnis ablegen. Ein geständiger Beschuldigter nützt vor allem dem Opfer, dem so möglicherweise eine Aussage und langwieriges Warten auf einen Schuldspruch erspart bleiben. Es ist im Übrigen aber auch nicht einzusehen, warum mutmaßliche Opferzeugen ihre Aussagen mithilfe eines psychologischen Gutachtens glaubhafter machen dürfen, wenn dies dem Beschuldigten mittels einer polygraphischen Untersuchung verwehrt wird, obwohl diese deutlich zuverlässiger ist."



    www.jura.uni-passa...rschung/polygrafie

    • @Martin Rees:

      "Es kommt gar nicht selten vor, das zeigen die Erfahrungen praktizierender Polygrafiesachverständiger"



      "Gar nicht selten" bedeutet nicht "im Regelfall". Und Fehlbeurteilungen sind auch "gar nicht selten", dafür aber desaströs.



      Abgesehen davon: Polygrafiesachverständige möchten ihren Service verkaufen. Natürlich sehen die das Verfahren positiv. Verlassen Sie sich auch auf die Antwort des Frosches auf die Frage, ob man den Sumpf trockenlegen soll?