Louise Glück und der Literaturnobelpreis: Ein Preis für eine von vielen
Weltweit kann Glück nur als eine von vielen sehr guten Lyrikerinnen gelten. Trotzdem ist es schön, dass sie nun mehr LeserInnen findet.
W ie schön, dass es eine Lyrikerin geworden ist: Prosa ist so dominant. Aber Louise Glück? Den Literaturnobelpreis? Nein, nein, das sind gewiss keine schlechten Gedichte. Es gibt auch ein paar Verse, die muss man einfach lieben, etwa „Circe’s Power“: Da spricht das lyrische Ich in der Rolle der Zauberin aus der Odyssee, Sie wissen schon, die mit den Schweinen, und sagt: „I never turned anyone into a pig. / Some people are pigs; / I make them look like pigs“ – also sinngemäß: Ich habe nie jemanden in ein Schwein verwandelt. / Manche Leute sind Schweine; / Ich lasse sie aussehen wie Schweine.“
Fein gebaut auch, streng wie ein Syllogismus, und dann die Allegorese: Sie sei traurig über die Welt des Angedichteten, des Eroberers und des Irrfahrers, sagt diese Circe, „that lets the outside disguise the inside“. Das Wesen sollte doch bitte schön mit dem Schein nicht in Widerspruch geraten – ein frommer Wunsch. Hat wahrscheinlich jeder schon mal gewünscht. Ein Justemilieu-Wunsch.
Bloß: Ist das wirklich alles, was sich von Dichtung derzeit erwarten lässt? Oder spricht aus dieser Wahl nicht zu sehr der Wunsch der Akademie, die eigene Krise durch eine Kandidatin zu überwinden, gegen die keiner etwas hat? Weil ihr Konsensfeminismus fast nie aneckt? Selbst ihr beim Erscheinen skandalisiertes Gedicht „The Drowned Children“, das von der Notwendigkeit, Kinder zu ertränken, handelt, hat sich längst als lesebuchkompatibel erwiesen.
Ehrlich gesagt, scheint das die Wahl bestimmt zu haben: Glück widmet sich bevorzugt traditionellen Lyrikthemen, „Betrug, Sterblichkeit, Liebe und Verlust“, wie der Kritiker Donald Bogen einmal resümiert hat. Er meinte das lobend. Und das sind ja weiß Gott alles ernste, allgemein menschliche Probleme, auch wenn sie sich in Glücks Ausgestaltung sehr klar einer bestimmten Klasse zuordnen lassen, die nun mal in den USA weiß ist.
Ach!, die wichtigen lyrischen Stimmen ihrer Generation in den USA, Judith Ortíz Cofer, Adrienne Rich oder Audre Lorde hatten das Politische des Privaten so viel dringlicher besungen. Nur sind diese Radikalen halt schon gestorben, bevor Mann sie hätte bejubeln wollen. Weltweit kann Glück erst recht nur als eine von vielen sehr guten Lyrikerinnen gelten, die, fest verankert in einer von Europa ausgehenden Tradition, wie nur noch wenige die Klaviatur der griechischen Mythologie beherrscht. Es ist schön, dass sie nun mehr Leserinnen findet, und fast lustig, dass der deutsche Buchhandel davon kaum profitieren wird. Aber sicher ist: Die Akademie hat mit ihrer Wahl eine vergangenheitsweisende Entscheidung gefällt.
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