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Long Distance WalkingDer lange Walk an die Spitze

Ann Sayer hat die Szene der Langstreckengeher in England aufgemischt. Als Frau war sie dort lange unerwünscht. Am Ende war sie eine Ikone.

Läufer:innen im Bushy Park in London Foto: Rob Pinney/ZUMA/picture alliance

A nn Sayer wurde 1936 als jüngstes von drei Kindern des Tabakhändlers Ernest und seiner Frau Rose geboren. Das Ehepaar legte wohl Wert auf eine gute Ausbildung, denn Sayer machte das Abitur und entschied danach, Geologin werden zu wollen. In der Schule hatte sie Sport immer gehasst, aber während des Studiums wollte sie „etwas Energievolles tun“ und nahm sich vor, Schwimmen, Rudern und Fechten auszuprobieren. Rudern fand sie dabei so toll, „dass ich gleich dabei blieb und nie bis zum Fechtsport kam“, wie sie später erzählte.

Frauen durften erst in den 70er Jahren an den olympischen Ruderwettbewerben teilnehmen, aber Ann Sayer und ihre anderen Achter-Kolleginnen wurden ausgewählt, 1962 bei den Europameisterschaften in Ostberlin zu starten. Die Frauen mussten ihre Boote und die Ruderblätter allein finanzieren und sich den Schriftzug „Great Britain“ selber auf ihre Trainingsanzüge nähen. Am Ende belegte der Britinnen-Achter im Finale den fünften Platz.

Nach und nach verlagerte sich Sayers Interesse auf das Long Distance Walking, einer in Großbritannien erfundenen und noch heute gepflegten Sportart, bei der Menschen zig Kilometer gehen. Ann Sayer, Spitzname Metronom, war 38 Jahre alt, als sie an ihrem ersten Langstrecken-Event teilnehmen wollte. Die samt und sonders männlichen Organisatoren erklärten ihr jedoch, dass sie nicht daran gehindert werden könne, die Strecke, eine öffentliche Straße, zu benutzen. Aber in dem Moment, in dem sie die Ziellinie überqueren würde, habe sie in dem Wettbewerb nie existiert: Ann Sayer startete trotzdem – und wurde zwar Dritte, aber nicht gefeiert.

Im Oktober 1977 wurde Sayer schließlich zur ersten Frau, die die 100 Meilen in unter 24 Stunden ging. Damit hatte sie sich für die Brotherhood of Centurions qualifiziert, wo die Männer allerdings nicht begeistert über den weiblichen Zuwachs waren. Sie sei „keine aggressive Feministin“ gewesen, sagte sie später, „ich sah es nur nicht ein, warum es Männern erlaubt sein sollte, so bekloppt zu sein und 24-Stunden-Walks zu machen, aber uns Frauen nicht.“ Ihr zähes Beharren auf Gleichberechtigung sollte mit der Ernennung zum Oberhaupt der Centurion-Bruderschaft 2013 enden.

Bis dahin hatte sie etliche Langstrecken-Events absolviert, unter anderem das „3 Peaks“, bei dem die drei höchsten Erhebungen in England, Schottland und Wales in möglichst kurzer Zeit begangen werden müssen. Sayer legte die 420 Meilen (657 Kilometer) in einer neuen Rekordzeit von 7 Tagen und 31 Minuten zurück. Zuletzt startete sie 1994 noch einmal bei einem Wettkampf. Im französischen Bazancourt nahm sie an einem 24-Stunden-Walk teil und wurde Dritte.

Neben ihrem Job als Geologin bei BP arbeitete sie aktiv in der LDWA, dem britischen Langstrecken-Walker-Verein mit. Nach ihrer Pensionierung leitete sie zudem lokale „Walking for Health“-Gruppen und arbeitete im Informationszentrum des von ihr wohl sehr geliebten Bushy Parks, eines der königlichen Londoner Parks. Als sie nicht mehr allein wohnen konnte, siedelte Ann Sayer in ein Heim ganz in der Nähe um und liebte es Freunden zufolge, von ihrem dortigen Zimmerfenster aus in den Park zu schauen. Alle Angebote, einen größeren Wohnraum zu beziehen, lehnte sie mangels Blick auf Bushy ab.

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Elke Wittich
Journalistin
Schreibt nicht nur über Sport, sondern auch über Verschwörungsideologien, skandinavische Politik und Königshäuser. *** Die ersten Artikel für den taz-Sport gestalteten sich allerdings etwas schwierig: Mit den Worten "Wie, die schicken uns heute eine Frau?" wurde ich beispielsweise vor Jahren von einem völlig entsetzten Vorsitzenden eines Westberliner Fünftligavereins begrüßt. Da war er also, der große Tag, an dem über seinen Club in der taz berichtet werden würde, und dann das: Eine Frau! Ich antwortete ja, ich sei die Strafe und sofort war die Stimmung super. *** Und eines Tages werde ich über diesen Tag und andere, sagen wir: interessante Begegnungen mal ein Buch schreiben.
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