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Lobbyschlacht um EwigkeitschemikalienGefährliche Stoffe im Trinkwasser

Sie finden sich in vielen Kunststoff-Produkten – und gefährden die Gesundheit. LobbyistInnen arbeiten mit dubiosen Mitteln daran, dass das so bleibt.

Auch in Pizzaverpackungen können sich sogenannte Ewigkeitschemikalien befinden Foto: Michael Gstettenbauer/imago

Berlin taz | Im Leitungswasser gefundene „Ewigkeitschemikalien“ sorgen in Großbritannien für Forderungen nach dem Komplettverbot der Stoffe.

Nachdem in 278 Wasserproben der Grenzwert von jeweils mehr als 100 Nanogramm pro Liter für einzelne Stoffe aus der Gruppe der Per- und polyfluorierten Alkylverbindungen (PFAS) gefunden wurden, schlug der Industrieverband Water UK gegenüber dem britischen Guardian Alarm. Water UK wünsche „ein Verbot von PFAS und die Entwicklung eines nationalen Plans zur Entfernung von PFAS aus der Umwelt, der von den Herstellern bezahlt werden sollte.“

Tatsächlich überraschen die Funde ExpertInnen jedoch kaum. PFAS sind eines der global größten Umweltprobleme. Die Chemikalien befinden sich in Regenjacken, Pizza-Boxen, Imprägniersprays, Hautpflegeprodukten oder Teflon-Pfannen. Sie werden auch in vielen Industrieprozessen benutzt, sind somit fast überall zu finden – aber bauen sich nur sehr langsam ab.

Die Stoffgruppe umfasst mehr als 10.000 verschiedene Chemikalien, von denen viele hochgiftig sind, vor allem für die Entwicklung von Kindern. Sie stehen unter anderem im Verdacht, Leberschäden sowie Nieren- und Hodenkrebs zu verursachen.

Schadensbeseitigung kostet Europa Billionen

Die Beseitigung der Schäden durch PFAS kostet in den kommenden 20 Jahren in 31 europäischen Staaten zwei Billionen Euro, jedes Jahr sind das 95 Milliarden Euro, rechnete in dieser Woche ein internationaler Rechercheverband namens „The Forever Pollution Project“ vor. Die JournalistInnen und WissenschaftlerInnen untersuchten zudem die Argumente der Industrielobby, die versucht, in Europa eine stärkere Regulierung von PFAS zu verhindern – mit erschreckenden Ergebnissen.

Bislang sind in Europa nur zwei Stoffe aus der PFAS-Gruppe verboten. Anfang 2023 hatte Deutschland jedoch gemeinsam mit vier anderen Ländern vorgeschlagen, die Nutzung in der EU deutlich zu beschränken. Dies habe einen regelrechten „Lobby-Ansturm“ gegen die Regulierungspläne ausgelöst, schreibt das Rechercheteam. Die Argumente der IndustrievertreterInnen seien in großen Teilen „irreführend, übertrieben und unlauter“.

Das Rechercheteam untersuchte etwa 1.200 Lobbyargumente gegen eine strengere Regulierung. Urteil: Die Kunststoffindustrie habe dabei PolitikerInnen aus 16 Ländern mit einer „massiven Desinformationskampagne“ versucht zu beeinflussen.

Ein Beispiel: In fast verschiedenen 1.000 Lobbydokumenten sei auf zwei wissenschaftliche Studien hingewiesen worden, in denen es hieß, die PFAS-Stoffgruppe Fluorpolymere seien „Polymers of Low Concern“ (PLC), also unbedenklich, gemäß den von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) festgelegten Kriterien – und sollten deshalb nicht reguliert werden.

Als Begründung wurde genannt, Fluorpolymere seien zu groß, um in menschliche Zellen einzudringen und dort Schaden anzurichten. Die AutorInnen der Papiere seien jedoch IndustriemitarbeiterInnen oder BeraterInnen gewesen, also nicht unabhängig, heißt es von dem Rechercheverband.

Lobby nutzt ausgedachte Kriterien

Auch die von den Lobbyisten vorgebrachten „PLC-Kriterien“ existieren demnach nicht. In einer Erklärung gegenüber dem Rechercheprojekt bestätigte die OECD, dass „kein vereinbarter Kriteriensatz auf OECD-Ebene festgelegt wurde“ und dass „die OECD keine Bewertung von Fluorpolymeren durchgeführt hat“.

Trotz der dubiosen Argumentation dringen die IndustrievertreterInnen bei der Politik durch. Auf Nachfrage habe das Bundeswirtschaftsministerium laut dem Rechercheverband zunächst auf die OECD-Kriterien verwiesen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sprach sich im vergangenen September bei einer Veranstaltung der Chemieindustrie erneut gegen ein „undifferenziertes Totalverbot“ von einzelnen PFAS-Stoffgruppen aus.

Umwelt- und VerbraucherschützerInnen fordern seit langem ein umfassendes Verbot der Ewigkeitschemikalien. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte zu Beginn ihrer vergangenen Legislaturperiode eine entsprechende Reform der EU-Chemikalienverordnung Reach angekündigt, aber keinen Gesetzesvorschlag vorgelegt. Die seit Dezember amtierende Umweltkommissarin Jessika Roswall will die Verordnung „vereinfachen“, konkrete Vorschläge dafür gibt es bislang allerdings nicht.

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14 Kommentare

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  • Wunder mich sehr, dass Habeck nicht erwähnt wird…auf tagesschau.de gibt’s zu lesen:



    ,Wie Habeck der Chemie-Lobby auf den Leim geht‘ (14.1.).



    Ein Beispiel für sauberen Journalismus!



    Dort steht unter anderem geschrieben: ,Bundeswirtschaftsminister und Grünen-Kanzlerkandidat Habeck erklärt im August 2023, man dürfe "die Entwicklung von Technologien nicht durch Überregulierung verhindern, zumal der Einsatz in geschlossenen Systemen in der Produktion erfolgt." Wenige Wochen später lädt Bundeskanzler Olaf Scholz zu einem Chemiegipfel ins Kanzleramt. Im Anschluss schreibt das Kanzleramt mit Bezug auf PFAS, dass es "pauschale, undifferenzierte Verbote ganzer Stoffklassen" ablehne.‘

    Aber der ganze Artikel ist wirklich sehr erhellend geschrieben!

    • @Alfred E. Neuman:

      Bei Panorama, die Chemielobby - vom 16.01.2025 sieht man Habeck ab ca. Minute 24 auch " fein " .

  • In Sachen Raubtierlobbyismus wundert mich dass einzelne Politiker eine transparente Gesetzgebung torpedieren wo sie können.



    Das kann nur daran liegen dass diese Personen auf den Payrolls der Lobbyisten sitzen.



    Eine andere Erklärung ist kaum plausibel.

  • PFAS: Verursacherprinzip für Kostenumlage?



    handelsblatt.de 2023



    "BASF droht Milliardenklage in den USA



    Verunreinigungen mit PFAS-Chemikalien führen in den USA zu ersten milliardenschweren Vergleichen von Chemiekonzernen. In Europa drohen den Herstellern Klagen von Staaten."



    z. Nachweis in Organen:



    "A major concern with PFAS, also dubbed “forever chemicals,” is that they accumulate in the liver and kidney and persist in serum. The mechanisms responsible for their disposition and excretion in humans are poorly understood."



    Quelle:



    Effects of PFAS on human liver transporters: implications for health outcomes



    Ena Vujic, Stephen S Ferguson, Kim L R Brouwer



    Toxicological Sciences, Volume 200, Issue 2, August 2024, Pages 213–227, doi.org/10.1093/toxsci/kfae061



    Published: 09 May 2024



    An die toxische Wirkung d. gr. Asbestfasern sei hier erinnert, ebenfalls f. die Ewigkeit in die Umwelt eingebracht. "Peak Asbest" der Freisetzung kommt wohl noch❗



    Die taz berichtete:



    "Die Wirkung, die sie auf Menschen haben, treten Jahrzehnte später auf: Asbestose, Lungen-, Bauchfell-, Kehlkopf-, Eierstockkrebs.



    (...)



    Erste Warnungen gab es bereits 1898



    (...)



    Es sollte 100 Jahre dauern, bis sich..."

  • Zum Thema sehr zu empfehlen



    ARD Panorama vom 16.01.2025



    " Vergiftet - Die Macht der Chemielobby "

  • Ewigkeitschemikalien ?!



    Dieser passende Ausdruck sagt schon alles.



    Hier wird Gott gespielt, aber nicht zum guten.



    Alles muß zerfallen können und zurückkehren in den Fundus unserer Erde. Wo das nicht mehr möglich ist, da sind die Elemente die solchen Stoffe abbilden uns allen gestohlen.



    Nur wegen schnödem Mammons die Welt bestehlen und alle Lebewesen potentiell schädigen.



    Eigentlich gehören solche Aktöre vor einen internalionalen Gerichtshof !

    • @Bertel:

      Zum letzten Satz:



      Dort würden sie in einer sehr langen Warteschlange stehen und kämen zu Lebzeiten nicht mehr an die Reihe. Und wenn doch: Müssten sie denn vor irgendetwas Angst haben?

  • Was essen und trinken Lobbyisten?

    Wenn die Mobilität allmählich elektrisch wird, müssen die Konzerne, die am Erdöl verdienen, andere Anwendungsbereiche glorifizieren. Freuen wir uns auf immer schrillere Propaganda der Erdöl/Plastik-Lobby, wie:

    - Plastik schafft Arbeitsplätze



    - Die Wirtschaft BRAUCHT Plastik



    - Medikamente werden aus Erdöl gemacht



    - Papierverpackungen sind genauso schädlich



    - Plastikverpackungen verlängern die Haltbarkeit der Lebensmittel



    - Plastikspielzeug ist hygienisch und schön bunt



    - Plastikkleidung ist haltbarer



    - Plastikkleidung lässt sich besser recyceln



    - PFAS wie Teflon werden schon lange verwendet usw.

    Als Gegenmittel denken wir bitte alle an die vielen Meerestiere, die an Erdöl und Plastik sterben.

    • @Patricia Winter:

      PFAS auch im Regenwasser ist schon sehr krass !

    • @Patricia Winter:

      So einfach kann man natürlich die Welt sehen.



      Aber wenn es konkret wird dürfte es echt schwerfallen zu entscheiden welche Kunststoffe eine Berechtigung haben und welche nicht. Eine Welt ohne Plastiktüten?Billig. Aber ohne Elektrogeräte? Ohne Medizinprodukte ? Ohne Computer ohne Händis? Bitte fortsetzen…

      • @Dromedar:In:

        Ohne Dromedare wäre anscheinend akzeptiert. Von einigen Handlungen der Menschheit angewidert zu sein, "einfach" zu nennen, bedarf eines Wortes, das erst noch ... ach, "Whataboutism"?

        • @Christian Clauser:

          "Wohlstandsverwahrlosung" beginnt ebenfalls mit "W".

      • @Dromedar:In:

        Die Realisierung von Alternativen scheitert oft nicht an deren Existenz oder Qualität, sondern auch an mangelndem Druck aus der Politik qua "Weichmachereffekt" durch Lobbyismus.



        Erst sanktionsbewehrte Verbote, die Androhung von Strafen u. Kampagnen mit Negativimage führen zu Slogans/Sätzen wie:



        "Wir haben verstanden"



        Oder



        "Ein Schritt in eine bessere Zukunft"

        "Für verbrauchernahe Produkte wie Spielzeug, Essgeschirr und Outdoorjacken gibt es Alternativen. Viele Anwender am Ende der Produktionskette wünschen sich von ihren Zulieferern sichere und nachhaltige Ausgangsstoffe. Über 100 Firmen, von Levi’s, über H&M bis zur Supermarktkette Coop, haben ihren Wunsch nach Pfas-freien Ausgangsstoffen bereits bekundet."



        Quelle fr.de



        Weiter dort 2023



        "Das Beispiel Pfas-freier Wärmepumpen von deutschen Herstellern zeigt, dass sich der Umstieg lohnt und sich so aussichtsreiche Positionen auf dem Weltmarkt erobern lassen. Die notwendige Transformation unserer Wirtschaft muss den Klimaschutz in den Fokus nehmen, aber auch den Schutz von Natur und Gesundheit durch den sukzessiven Verzicht auf giftige Substanzen wie Pfas."



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        taz.de/Erhoehte-St...ditalien/!6004557/