Literaturnobelpreis an Han Kang: Überraschend, aber verdient
Der Literaturnobelpreis geht in diesem Jahr an die südkoreanische Schriftstellerin Han Kang. Sie überzeugt mit poetischer Prosa.
E ine Frau hört auf, Fleisch zu essen. Klingt banal, ist bei der Schriftstellerin Han Kang aber Ausgangspunkt einer Sozialkritik an der südkoreanischen Gesellschaft. In ihrem Roman „Die Vegetarierin“ schreibt sie über eine Frau, die so wenig eigenen Charakter hat, dass sie eigentlich nicht viel mehr ist als eine Zimmerpflanze: schmückend, am Leben.
In der Konsequenz verwandelt sie sich im Laufe des Romans in genau das: eine Zimmerpflanze. Ihre Umgebung reagiert darauf mit Unverständnis und Gewalt. Die Geschichte wird aus Sicht ihres Ehemanns, ihres Schwagers und ihrer Schwester erzählt. Sie selbst hat nicht einmal eine eigene Stimme.
Han Kang hat den diesjährigen Literaturnobelpreis bekommen – für ihre „intensive poetische Prosa“, die historische Traumata konfrontiert und die „Fragilität menschlichen Lebens“ herausstellt, wie es in der Begründung des Nobelkomitees heißt. Die Auszeichnung überrascht, ist aber verdient. Wer gelangweilt ist von den vielen Lebensgeschichten von Autor*innen, die ihre Quarter- oder Midlifecrisis in Romanform gießen, findet bei Han Kang Neues, Anderes, Frisches.
Es sind Geschichten, die auf historischen Ereignissen beruhen oder gesellschaftliche Verhältnisse in den Blick nehmen. Han Kang bildet aber nicht einfach ab, sondern dreht die Geschichten immer ein Stück weiter. Die Frau, die zur Pflanze wird. Die Seele eines beim Massaker Getöteten, die einen Monolog hält, so in ihrem Roman „Menschenwerk“.
Romane bereits übersetzt
In „Deine kalten Hände“ formt der Protagonist, ein Künstler, Skulpturen von Frauen, die der Schönheitsnorm nicht entsprechen, während eines seiner Modelle sich mit Fastfood vollstopft und sich anschließend den Finger in den Hals steckt. Aus einer der Skulpturen will sich der Künstler später seinen eigenen Sarg bauen.
Wer Han Kang noch nicht kennt, hat Glück: So muss man nicht zwei, drei, vier Jahre auf den nächsten ins Deutsche übersetzten Roman warten, sondern kann jetzt gleich fünf hintereinander lesen.
Und sich darüber eine neue literarische Welt erschließen, darunter vielleicht Sayaka Murata, die ebenso über das Ausbrechen von Frauen aus der gesellschaftlichen Norm schreibt, allerdings in Japan. Auch sie nutzt dafür surreale und zuweilen Ekel erzeugende Elemente. Die Japanerin Asako Yuzuki verhandelt ähnliche Themen, verzichtet dabei aber auf das Surreale, thematisiert auf ihre Weise den Ekel.
Auch Han Kang kann anders: In „Weiß“ setzt sie sich mit dem frühen Tod ihrer Schwester auseinander. Zuletzt erschien auf Deutsch „Griechischstunden“: ein Roman über eine Frau, die nach dem Tod ihrer Mutter – kurz gesagt – ihre Stimme verliert. Anhand der griechischen Sprache und mittels ihres Griechischlehrers holt sie sich diese zurück.
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