Linkspartei wählt neue Führung: Motzki oder mehrheitsfähig
Beim Parteitag der Linken geht es nicht nur darum, wer die Partei künftig führt – sondern auch, in welche Richtung. Möchte sie künftig mitregieren?
Die Linke erhofft sich von diesem Bundesparteitag nichts weniger als einen Aufbruch, den sie angesichts von Umfragewerten zwischen 6 und 8 Prozent auch bitter nötig hat. Ob ihr das gelingt, wird nicht nur davon abhängen, mit welcher Zustimmung die beiden designierten Parteivorsitzenden Janine Wissler und Susanne Hennig-Wellsow ins Amt gelangen, sondern auch, wie der 44-köpfige Parteivorstand um sie herum zusammengesetzt sein wird.
Werden die beiden eingemauert sein von Fundamentalist:innen, die Hartz IV erst dann abschaffen wollen, wenn Deutschland zuvor aus der Nato austritt? Oder werden genügend Leute vertreten sein, die bereit sind, Anliegen zu priorisieren, Kompromisse zu finden und Koalitionen zu knüpfen, die die Linke politikfähig machen. Auch davon wird es abhängen, ob eine Regierungskoalition von Grünen, Linken und SPD, welche derzeit rechnerisch in weiter Ferne ist, im September überhaupt eine Chance hat oder zumindest nicht an der Linken scheitert.
Ungewöhnlich ist, wie viele junge Leute es in den Vorstand drängt, dessen monatliche Sitzungen vor der Coronapandemie so schlecht besucht waren, dass er kaum beschlussfähig war. Viele von ihnen sehen weniger die Auslandseinsätze der Bundeswehr als zentrale Aufgabe für die Linke, als die Klimakrise und die fehlende soziale Gerechtigkeit.
Generationenwechsel im Vorstand
Dass so viele junge Menschen, davon einige aus dem Lager der pragmatischen Linken, antreten, stimme ihn hoffnungsfroh, sagt ein führender Genosse aus dem Realolager. „Es könnte nicht nur an der Parteispitze, sondern auch im Vorstand einen Bruch geben.“
Und auch das ist anders: Zum ersten Mal nach dem Showdown in Göttingen vor fast neun Jahren, der Katja Kipping und Bernd Riexinger an die Spitze der Partei spülte, könnte ein Wechsel recht geschmeidig klappen. Hennig-Wellsow und Wissler haben zwei Gegenkandidat:innen, deren Chancen aber marginal sind.
Doch hinter den Kulissen rumpelt es. Dass die beiden Frauen gemeinsam und recht konkurrenzlos antreten, ist Resultat einer lange eingefädelten Übergabe. In Kippings Berliner Privatwohnung trafen sich seit dem Spätherbst 2019 potenzielle Nachfolger:innen zu klandestinen Treffen. Der Fraktionsvorsitzende Dietmar Bartsch bemühte sich vergeblich, einen Gegenkandidaten von Format aus dem Lager der sogenannten Reformer, wie sich die ostdeutschen Realos nennen, gegen Kippings Wunschnachfolgerin Hennig-Wellsow ins Rennen zu schicken. Als der parlamentarische Geschäftsführer der Bundestagsfraktion, Jan Korte, als einziger Anwärter mit reellen Chancen im Sommer 2020 absagte, drehte Bartsch schließlich bei.
Keine Kampfkandidatur um Geschäftsführerposten
Auch den Versuch, sich über den Posten des Bundesgeschäftsführers zentralen Einfluss auf die Parteizentrale zu sichern, brach das Reformerlager kurz vor dem Parteitag wieder ab. Gegen den von Hennig-Wellsow und Wissler unterstützten Amtsinhaber Jörg Schindler hatte zunächst der enge Bartsch-Vertraute Thomas Westphal, Leiter des Vorstandsbüros der Linksfraktion, kandidiert. Hennig-Wellsow und Wissler reagierten wenig amüsiert. Eindringlich redeten sie Bartsch und seiner Co-Vorsitzenden Amira Mohamed Ali in den vergangenen Tagen ins Gewissen, dass solche Machtspielereien derzeit nicht angezeigt seien.
Mit Erfolg: Am Mittwochnachmittag zog Westphal seine Kandidatur gegen Schindler zurück. „Auf Initiative der designierten Parteivorsitzenden und der Fraktionsvorsitzenden hat es eine gute Verständigung zwischen uns gegeben“, begründete Westphal gegenüber der taz diplomatisch seinen Verzicht. Er habe bei allen Beteiligten einen „ernsthaften Willen gesehen, jetzt ein neues Kapitel in der Zusammenarbeit und des Erfolges aufzuschlagen“. Jetzt sei es „an der Zeit, unsere Geschlossenheit zu zeigen“.
Umkämpft bleibt jedoch die zweite Reihe. Für die sechs Stellvertreterposten gibt es aktuell zehn Kandidaturen. Besonders das Duell zwischen dem Verteidigungsexperten Matthias Höhn und dem Friedenspolitiker Tobias Pflüger dürfte spannend werden.
Erbitterter Streit um einzelne Themen
Denn manches ändert sich dann doch nicht. Die Linke liebt es, sich an Detailfragen aufzureiben, besonders solchen, bei denen sie mangels Möglichkeiten ohnehin nichts zu entscheiden hätte. Im Jahr 2017 war es das Thema Migrationspolitik, über das die Partei erbittert stritt und dabei übersah, dass sie als 9,2-Prozent-Oppositionspartei nicht am entscheidenden Hebel sitzt.
Aktuell debattieren sie mal wieder über ihre außenpolitischen Grundsätze, und zwar ohne Aussicht aufs Außen- und Verteidigungsministerium. Der Verteidigungspolitiker Höhn veröffentlichte im Januar ein Positionspapier, in welchem er seine Genoss:innen aufforderte, ihre seit 30 Jahren aufrechterhaltene Fundamentalablehnung von Blauhelmeinsätzen mit Bundeswehrbeteiligung zu überprüfen. Die Welt habe sich nun mal verändert, begründete er das in der taz. „Es ist egozentrisch zu meinen, nur die Linke brauche sich nicht zu ändern.“
Die Gegenreaktion kam prompt: Der Vorstand fasste einen Beschluss, in dem er jegliche Änderungen an den friedenspolitischen Überzeugungen ausschloss. Pflüger, derzeit stellvertretender Parteivorsitzender, sagte der taz: „Man sollte nicht die eigenen Positionen schleifen, sondern vertreten, was man für richtig hält.“ Er habe den Eindruck, dass es Höhn nur darum gehe, eine Tür für Auslandseinsätze zu öffnen und so Regierungsfähigkeit zu suggerieren.
Sahra Wagenknechts langer Schatten
Pflügers Eindruck stimmt tatsächlich. In der Debatte über Auslandseinsätze geht es nicht um Krieg oder Frieden, sondern um die ewige Frage der Linken: Ist sie bereit zu regieren oder richtet sie sich wie ein grantelnder Motzki in der Opposition ein.
Die beiden designierten Chefinnen Hennig-Wellsow und Wissler senden da unterschiedliche Botschaften aus. Während Wissler skeptisch ist und die Verankerung in den sozialen Bewegungen betont, setzt Hennig-Wellsow das Thema Regierungsbeteiligung unverblümt auf die Tagesordnung. „Ich glaube, es gibt dafür nur ein kurzes Zeitfenster und wir haben nicht mehr viel Zeit“, sagte sie der taz im Vorfeld des Parteitags. Ihr Wahlergebnis wird auch ein Gradmesser dafür sein, wie sehr die Partei dieser Ansage folgt.
Dass es gelingen kann, gegensätzliche Positionen zu vereinen, zeigt ein weiteres Streitthema, welches der Vorstand kurz vor dem Parteitag geräuschlos abräumte: Die richtige Strategie zur Bekämpfung der Coronapandemie. Sahra Wagenknecht, die ebenso populäre wie polarisierende Ex-Fraktionsvorsitzende, stellte Anfang Februar in der Talkshow „Anne Will“ den geltenden Lockdown infrage. Ganze Berufsgruppen würden ohne valide Grundlage in den Ruin getrieben, sagte Wagenknecht dort.
Empfohlener externer Inhalt
Eigentlich hat die Linkspartei ihre Haltung längst formuliert. Man fordert einen energischen Lockdown, aber bitte sozial abgefedert. Nun aber fühlten sich vor allem jüngere GenossInnen genötigt, einen noch schärferen Lockdown anzumahnen. Die Linke solle sich hinter der von Wissenschaftler:innen angeregten ZeroCovid-Strategie versammeln, also Lockdown bis Corona in Deutschland beseitigt sei.
Das erschien vielen in der Parteiführung zu unrealistisch. Also einigte man sich auf einen Kompromiss: In den Leitantrag fließen Formulierungen der ZeroCovid-Fans ein, die Position der Partei bleibt die Gleiche.
Auch für den Leitantrag gilt: Derzeit ist er vor allem bedrucktes Papier für Genoss:innen, relevant für andere wird er erst, wenn die Linke eine Machtperspektive hätte und ihre Forderungen umsetzen könnte. „Ohne eine solche Machtoption werden wir den Wähler auch nicht davon überzeugen, dass er uns wählen soll“, meint ein Genosse, der ebenfalls für den Vorstand kandidiert. Es ist offen, ob diese Position sich auch im Rest der Partei durchsetzt.
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