Linken-Politiker will nicht widerrufen: Shitstorm, nächste Runde
Ein Hamburger Linken-Kandidat relativiert den Holocaust, gibt sich in einem Interview reuig – und nährt online Verschwörungsgläubiges.
Nun ist solches da nicht zum allerersten Mal geäußert worden von Umwelt- oder Klimaschützer*innen; durch eine ähnlich Alexander-Gauland-taugliche Aussage zog sich auch der Kopf der Initiative „Extinction Rebellion“ den Zorn seiner deutschen Mitstreiter*innen zu. Radtke aber ist Kandidat der Hamburger Linkspartei: Bei der Bürgerschaftswahl am 23. Februar steht der 18-Jährige auf Listenplatz 20.
Die Partei distanzierte sich, ebenso die Hamburger Gliederung von „Fridays for Future“ (FFF), als deren Teil Radtke sich bezeichnete. Die Kandidatur ruhen zu lassen, legte ihm die Linkenspitze nahe, auch der Parteiausschluss steht im Raum.
„Es ist nicht falsch, Bewusstsein für die Klimakrise zu schaffen“, sagte Radtke dann am Donnerstag der Welt. „Ich hätte aber besser erklären sollen, was ich meine. Auschwitz können wir nicht rückgängig machen. Aber den Klimawandel können wir noch stoppen.“ Ihn in eine rechte Ecke zu schieben, sei völlig falsch: „Ich plane gerade eine Aktion, die meine antifaschistische Position klarmachen wird“ – und zur letzten Freitagsdemo vor der Hamburger Wahl, am 21. Februar, „habe ich jetzt die Auschwitz-Überlebende Esther Bejarano eingeladen“. Auf taz-Nachfrage bestätigte das Hamburger Auschwitz-Komitee, dem Bejarano vorsteht, diese Einladung am Freitag übrigens nicht.
Präzisierung seiner Position also und eine gewisse Einsicht? Damit wäre vielleicht Beruhigung möglich gewesen. Aber Radtke legte nach: „Zentrale Positionen“ bei FFF in Hamburg besetzen demnach „Mitglieder und Sympathisantinnen der Grünen Jugend“. Die Folge: Je näher die Wahl rückt, „desto mehr Widerstand habe ich erlebt“. Im vorerst letzten Tweet zur Sache drohte er mit der Enthüllung angeblicher „dreckiger Geheimnisse“ – bis hin zu „Pädophilen bei FFF Hamburg“.
Pädos bei den Grünen? Was bei allem wahren Kern klingt, als komme es aus dem Style Book für rechtsextremes Trollhandwerk, nahm dann noch an Fahrt auf: Am Freitagvormittag hatte sich der Hamburger SPD-Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs kritisch über den Vorgang geäußert. Und @tomradtkede antwortete: Er solle „aufpassen, sonst ergeht es ihm wie seinem ehemaligen Fraktionskollegen Edathy. Ich kenne die Namen einiger seiner Opfer.“
„Pädophile“ gehörte am frühen Freitagabend dann zeitweise zu den Trendbegriffem bei Twitter Deutschland.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles