piwik no script img

Linken-Politiker über sein neues BuchHört mehr Bruce Springsteen!

Die Krise der linken Parteien ist hausgemacht, meint Jan Korte. Denn die urbane Linke verstehe nicht mehr, was in Bitterfeld los ist.

Zwischen Oben und Unten zuspitzen: Bruce Springsteen, der Liebling der Massen Foto: Plusphoto/imago
Stefan Reinecke
Interview von Stefan Reinecke

taz: Ulf Poschardt, Welt-Chefredakteur, wirft der Linken gerne vor, sich in einem Elfenbeinturm zu bewegen. Sie sehen das auch so?

Jan Korte: Bestimmt nicht so wie Poschardt. Aber es gibt die Neigung in der deutschen Linken, in der eigenen Blase zu leben. Ist eine linke Großstadtsicht kompatibel mit Menschen, die in meinem Wahlkreis in Bitterfeld und Bernburg in Sachsen-Anhalt leben? Das ist eine zentrale Frage.

Bitterfeld ist eine Hochburg der AfD. Sollen Linke um AfD-Wähler werben – oder ist das eine Sackgasse?

Nein, ist es nicht. Das wäre zu bequem. 2009 habe mich in Bitterfeld 33 Prozent gewählt. Da waren welche dabei, die Ressentiments gegen Flüchtlinge hatten. Sie haben trotzdem Linkspartei gewählt, obwohl wir eine andere Migrationspolitik vertreten. Bei der Landtagswahl haben uns nur noch halb so viele gewählt. Wir müssen versuchen alle, außer den Nazis, zurück zu gewinnen. Viele haben vollständig mit diesem politischen System abgeschlossen. Die sind in keinem Verein mehr und gehen nicht mehr zur Wahl. Damit kann man sich als Linker nicht abfinden.

Das heißt konkret?

Wir müssen erstmal begreifen, dass viele von denen fragen: Seht ihr uns eigentlich noch? Kennt Ihr unsere Sorgen und unseren Alltag? Ihr redet über uns in einer Weise, die nichts mit uns zu tun hat.

Gilt das auch für die Linkspartei?

Ja, das gilt auch für meine Partei. Die Linkspartei wurde gegründet, um das Leben von Arbeitern und Arbeitslosen zu verbessern und ihnen eine Stimme zu geben. De facto wählen die uns kaum mehr. Das heißt: Wir machen was falsch, nicht die.

Und was?

Wir haben das Gleichgewicht verloren. Wir haben erfolgreiche Kämpfe geführt bei LGBT und Umweltbewegung. Aber wir haben Leute aus dem Auge verloren, die kein Geld haben, um in Urlaub zu fahren und in deren Ort das Schwimmbad dicht gemacht wird. Wir müssen auch unsere Sprache ändern. Leuten, die in Bitterfeld zwei Deindustrialisierungen erlebt haben, kann man nicht sagen: Jetzt kümmer dich mal um dein Selfempowerment.

Im Interview: Jan Korte

(42) ist Parlamentarischer Geschäftsführer der Linksfraktion. Kürzlich erschien von ihm das Buch „Die Verantwortung der Linken“ (Verbrecher Verlag). Er stellt es am Dienstag in Berlin vor, Fahimi, Skalitzerstr. 133, 20 Uhr.

Und eine angemessene Sprache und mehr Empfindsamkeit lösen das Problem?

Das ist eine Voraussetzung. Wir müssen so reden, dass auch die alleinerziehende Kassiererin nach einem harten Arbeitstag bemerkt: Die reden von mir. Das sind meine Leute. Im Rust-Belt in den USA sind 2016 Leute, die immer demokratisch gewählt haben, reihenweise zu Trump übergelaufen.

Wenn die Demokraten mehr Bruce Springsteen gehört und verstanden hätten, hätten sie die Gefühle dieses Milieus besser begriffen – und Trump wäre uns erspart geblieben. Wir brauchen einen aufklärerischen, linken Populismus, der zwischen Oben und Unten zuspitzt. Und die Zerstörung des Sozialstaates thematisiert.

Letzteres ist doch Konsens in der Linken...

Es gibt linke Debatten, in denen die Wiederherstellung des Sozialstaates als rückwärtsgewandt gilt. Wer so redet, hat den Bezug nach Draußen verloren. Meine Mutter war Krankenschwester. Sie sagt: Früher hatten wir das doppelte Personal für die Hälfte der Patienten. Ich will den Sozialstaat der alten Bundesrepublik nicht verklären – aber für viele Millionen waren die Verhältnisse damals besser. Wer das nicht sieht, kann die Rechtsentwicklung nicht bekämpfen.

Das Klientel der Linkspartei gehört zum Teil selbst zu den Gewinnern der Globalisierung...

Ja, richtig. Das hat Andreas Reckwitz brillant analysiert. Es gibt eine neue Akademikerklasse, die Weltoffenheit und Aufklärung schätzt und die Stimmung in diesem Land mit prägt. Die Kehrseite ist: Es gibt Milieus, die abgewertet werden, weil sie weder ökonomisch noch kulturell über ähnliches Kapital verfügen. Auch Teile der Linken strahlen oft etwas unbewusst Abwertendes gegenüber diesen Menschen aus. Das ist falsch. Linke dürfen niemals auf Schwächere herabblicken.

Sondern?

Begreifen, was es bedeutet, wenn Bahnhöfe, Schulen und Kneipen auf dem Land dicht gemacht werden. Eine funktionierende soziale Infrastruktur hat auch was mit dem Kampf gegen Rechts zu tun. In den Kneipen wurde auch viel rechte Scheiße erzählt, keine Frage. Aber da gab es den Wirt, der irgendwann gesagt hat: So, jetzt reicht es, hör auf mit diesem Schwachsinn. Orte zu erkämpfen, an denen das gesellschaftliche Leben stattfinden kann, auch das ist Job der Linken.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

24 Kommentare

 / 
  • und Frau Kipping feiert nach Hamburg, das die Linke eine Grossstadtpartei geworden ist, hören die Leute auf dem Land sicher gerne. Die Frau hat nichts verstanden. Hoffentlich kandidiert Hr. Korte für den Parteivorsitz der linken.

  • 0G
    08391 (Profil gelöscht)

    Gabriel, Palmer, Wagenknecht und nun auch Korte - ein sehr ähnliches Argumentationsmuster hinsichtlich LGBT Themen. Mich würde wirklich mal interessieren, wie viel Zeit und Engagement diese Personen in LGBT Themen investiert haben. Vermutlich einen verschwindend geringen Aufwand. Also zu suggerieren, dass hier nun permanet für etwas gekämpft wurde und andere Themen deshalb vernachlässigt wurden, ist nun doch etwas sehr albern. Außerdem bleibt anzumerken, dass auch das liberale FDP Milieu den Bürgerrechten aufgeschlossen gegenübersteht. Und wenns ums Geld geht, also bei den Themen für eine sozialere Umverteilung, war und wird daher der Kampf wesentlich aufwenidger sein.

    • @08391 (Profil gelöscht):

      Ein Duo Korte/Wagenknecht könnte die linke Stagnation (Kipping/Riexinger) in der Tat überwinden.



      Und Sie können derweil ruhig Ihre Kemmerich-LGBT-Partei wählen - vielleicht reicht's dann für 5 Prozent...

      • 0G
        08391 (Profil gelöscht)
        @Linksman:

        Die FDP hat sich leider nicht gerade engagiert. Bei LGBT Themen haben sich nur die Grünen wirklich ins Zeug gelegt. Herr Korte ist mir diesbezüglich nie aufgefallen. Daher würde mich wirklich interessieren, wie viel Engagement er meint, dort investiert zu haben? Und ob es schlau ist nach AfD Manier LGBT Themen gegen soziale Themen zu verunglimpfen!

  • Ich sehe eine leichte Aufklärung am roten Horizont. Warten wir es ab.

  • Die erfolgreichen Kämpfe bei LGBT und Umweltbewegung werden zutreffend allerdings den Grünen zugeschrieben. Die Linkspartei ist immer die Partei, die sich für die unteren und mittleren Einkommensschichten einsetzt. Ihr ganzes Programm ist auf diese Gruppen ausgerichtet. Leider wählen die Gruppen, die es von ihrer sozioökonomischen Lage eigentlich tun müssten, die Partei nicht. Das liegt aber ganz sicherlich nicht daran, dass sich nebenbei auch mit LGBT oder Umweltthemen beschäftigt wird in der Linkspartei! Momentan liegt es wohl daran, dass linke Parteien keine überzeugenden Antworten auf die Fragen Migration und Umverteilung in der von CDU, FDP, Seeheimer SPD und Hartz 4 grün geprägten sozialen Marktwirtschaft haben!

  • Segregation i Wahlverhalten.



    Sozial Schwache beteiligen sich mit einer halb so hohen Rate an Wahlen wie besser gestellte.

    Was für ein Mobilisierungspotential liegtd brach. Oder schlimmer, wennwir dies der AfD überlassen, was kann da auf uns zukommen?

  • Ihre Worte sind mit Gold nicht aufzuwiegen, Herr Korte. Vielen Dank für das Interview.

  • Sahra Wagenknecht hatte also recht...

  • Der Mann spricht mir aus der Seele. Ich bin und war immer eine Linke... aber ich find mich in der aktuellen Linken nicht mehr wieder. Am ehesten noch in Teilen der Sozis (what's so funny about peace, love and Arbeitskreis für Arbeitnehmerfragen?), jetzt, wo Frau Wagenknecht nimmer mitmacht. Grüne waren mir immer fremd.



    Und wenn ich die TAZ lese (unterhaltsam isse, keine Frage) hab ich manchmal den Eindruck, zumindest die "Meinungsrubrik" ist erst zufrieden wenn das ganze Land wie Berlin Mitte ist ("Das wichtigste Elektropop-Album des Jahre" - ja ne, is klar. ist wichtig.) Die meisten Menschen leben aber in Kleinstädten und Dörfern... diese Welt wird, wenn überhaupt, nur unter dem Aspekt beobachtet wie nah sie schon am urbanen Lebensstil dran ist. Je weniger, desto schlechter.



    Also gut, ich bin halt alt. Ich tät mich ja an den Kaminofen hocken und die Klappe halten, aber der Kaminkehrer hat gesagt den dürfmer nimmer anschüren wegen Feinstaub.

  • tolles Interview, danke dafür.

  • "Das Klientel der Linkspartei gehört zum Teil selbst zu den Gewinnern der Globalisierung...

    Ja, richtig. Das hat Andreas Reckwitz brillant analysiert. Es gibt eine neue Akademikerklasse, die Weltoffenheit und Aufklärung schätzt und die Stimmung in diesem Land mit prägt. "

    Das sind genau die Salon Revoluzzer welche die tatsächliche linke Klientel nicht braucht.

    Internationalismus predigen aber nicht kapieren was in den abgehängten Vierteln passiert.

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Als Schlagobers:

    Nur wenn wir dorthin gehen, wo "viel rechte Scheiße geredet wird" (das fängt bereits in der Union, der SPD und der FDP an und macht auch bei der Linken nicht Halt), können wir etwas bewirken.

    Das setzt voraus, sich auch mal unbeliebt zu machen. (Dies lässt sich lernen.)

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Ich liebe Springsteen. Auch wenn er im falschen Land geboren wurde.

    Und in Zeiten wie diesen geht sozialistische, meinetwegen auch sozialdemokratische Politik nur durch Zuspitzungen - und nichts anderes.

    Unsere politischen Gegner sind nicht durch das Werfen mit Wattebäuschen zahlenmäßig stark geworden. Inhaltlich sind sie ohnehin nur Plattitüdenschleudern. Sie zünden Nebenkerzen, Blubbern wie der vulkanische Boden auf Island und sedieren wirkungsvoller als Valium. Die Krallen setzen sie nur zur Not ein.

    Lernen wir von ihnen. Grenzen wir uns von ihnen ab, statt ihnen hinterherzulaufen. Sie werden uns nie achten und lieben. Weil sie sich selbst nicht achten und lieben.



    Ich möchte niemals einer von ihnen sein.

    Nachfragen: gerne.

    Stöckchen: bitte hoch genughalten, damit sich das Springen lohnt. Das Kriechen überlasse ich lieber anderen.

    • @76530 (Profil gelöscht):

      Man könnte wohl eine Liste anfertigen von hunderten, wenn nicht tausenden von herausragenden Künstlern, Musikern, Regisseuren, Literaten, Philosophen, Soziologen, Theatermachern, Malern, die demzufolge alle im falschen Land geboren sind.

      Das wäre allerdings wunderlich. Einfacher wäre es zu sagen, das Land hat sie hervorgebracht.

      So wie Deutschland Günter Grass und Dieter Bohlen hervorgebracht hat.

      • 7G
        76530 (Profil gelöscht)
        @Jim Hawkins:

        Hier stimme ich Ihnen - mal wieder - zu. Die Formulierung mit dem falschen Land war zu reflexhaft - und nicht wirklich passend. Schnelligkeit zulasten von Gründlichkeit, Folge 4711.

        Ich käme übrigens nie auf die Idee, zu behaupten, es gäbe nur Vollpfosten in den USA. Wohl aber, zumindest von dem was bekannt ist in Sachen Menschen mit Missioniergeist und Sendungsbewusstsein) die MEISTEN weltweit.

        Was das Einfache angeht: seit ich - spät - Hermann Hesse gelesen habe (ich mag das Antizyklische), weiß ich: Auf einfache Wege schickt man nur die Schwachen.

        Und was Deutschland betrifft: neben diesen zweibeinigen Koniferen hat Deutschland immerhin Willy Brandt, Sahra Wagenknecht, Harry Rowohlt, Lowandorder - und auch mich - hervorgebracht.

      • @Jim Hawkins:

        Ich versuche mir gerade vorzustellen, wie Springsteens Songs klingen würden, wäre er Deutscher. Pardon, nein, ich will es mir gar nicht vorstellen.

        • @Ewald der Etrusker:

          Oh, das kann ich mir sogar sehr gut vorstellen! Ich liebe die deutschen Coverversionen von vielen populären englischsprachigen Songs der 1960er bis 1980er Jahre, die sind oft keinesfalls schlecht übersetzt!👍

      • @Jim Hawkins:

        Totally agree, Jim! Richtige und falsche Länder zu unterscheiden, und eh, die Amis die doofen Blödis etc - das ist so blindspoted, well, soviel selbstgerechter Dünkel, wäre man einer dieser Helden, die im sicheren Heim versichern sie würden das Kriechen anderen überlassen, man würde sagen, das is ja fast amerikanisch, ist es nicht?

    • @76530 (Profil gelöscht):

      Ich weiss zwar nicht, wer Sie sind und wo Sie wohnen, ich kann Ihre Persönlichkeit nicht einschätzen und auch nicht Ihre generelle Haltung zu politischen Fragen - aber, ich stimme Ihnen zu und verzichte deshalb auf Nachfragen, und das mit dem Stöckchen lassen wir einfach sein.

      • 7G
        76530 (Profil gelöscht)
        @Der Allgäuer:

        Ich war fast geneigt, den ollen Herbert Wehner auszupacken: "Ihr Lob trifft mich in keinster Weise."

        Da heute Sonntag ist, lasse ich Gnade vor Recht ergehen. Merci vielmals.

        Und herzliche Grüße ins schöne Allgau bzw. dem, was davon noch übrig ist.

        • @76530 (Profil gelöscht):

          Ich könnte ja nun mit "Onkel" Herbert Wehner antworten: "Ich ignoriere Sie nicht einmal", aber dazu liegen die meisten Ihrer Leserkommentare, die ich gelesen habe, zu sehr auf meiner Linie.

          Also, weitermachen!

          • 7G
            76530 (Profil gelöscht)
            @Der Allgäuer:

            Nan denn: Auf die Linie! :-)

  • gut erkannt !



    Nun gilt es den Rest der demokratischen Parteien mitzunehmen. Das ist noch ein langer anstrengender Weg - der es aber Wert ist zugehen.



    Fast wie Bernie Sanders, Hut ab!