Linken-MdB über Kurdengebiete: „Kein Vertrauen in türkisches Militär“
Sabine Leidig bereist mit einer Delegation der Linkspartei die syrisch-türkische Grenzregion. Dort seien die Zustände unerträglich.
taz: Frau Leidig, wo erwischen wir Sie gerade?
Sabine Leidig: Wir sitzen im Moment im Bus und fahren zur syrischen Grenze. Davor waren wir in Suruc, der letzten richtigen Stadt vor der Grenze. Die Bürgermeisterin hat uns gesagt, dass in Suruc und Umgebung schon 50.000 Flüchtlinge gelandet seien, viele davon aus Kobani.
Haben Sie mit den Flüchtlingen gesprochen?
Ja, wir haben gerade eines der vielen Flüchtlingscamps hier besucht. Verwaltet werden sie von den Flüchtlingen selbst, der Bevölkerung und der Stadtverwaltung, die von der kurdischen Partei gestellt wird. Das funktioniert bislang gut, aber die Camps müssten schnell winterfest gemacht werden. Im Moment hat es noch 28 Grad, aber in wenigen Wochen wird es hier sehr kalt. Es fehlen Winterzelte, Decken und Medikamente.
Kommt die humanitäre Hilfe der Bundesregierung in diesen Camps nicht an?
Davon hat hier noch niemand etwas gesehen.
Jetzt sind Sie also auf dem Weg an die syrisch-türkische Grenze. Haben Sie schon Berichte von dort gehört?
Die Grenze wurde gestern angeblich komplett dichtgemacht. Auf der syrischen Seite warten einige tausend Flüchtlinge darauf, in die Türkei zu kommen, werden aber nicht reingelassen. Die Zustände sollen unerträglich sein: Es gibt weder zu essen noch zu trinken. Die wichtigste Forderung ist hier, dass die Türkei einen Korridor öffnen soll – für die Flüchtlinge, aber auch für die PKK und andere kurdische Kämpfer, die den IS vertreiben könnten.
53, sitzt seit 2009 für die Linke im Bundestag und ist verkehrspolitische Sprecherin ihrer Fraktion. Zuvor war sie Bundesgeschäftsführerin von Attac und in der Gewerkschafts- und Friedensbewegung aktiv.
Hand in Hand mit den USA, die zusammen mit Verbündeten seit September IS-Stellungen bombardieren?
Darüber habe ich heute Morgen lange mit einem kurdischen Genossen aus Syrien gesprochen. Er sagt, es habe den Anschein, dass die Luftangriffe nicht gezielt IS-Stellungen treffen würden. Im Gegenteil: Er habe den Eindruck, dass die USA und ihre Verbündeten das offene Feld bombardierten und die IS-Kämpfer dadurch sogar eher in Richtung Kobani getrieben würden.
Derzeit wird eine Intervention der türkischen Armee diskutiert, um Kobani zu retten. Das Parlament in Ankara hat bereits zugestimmt. Eine Lösung?
Die Leute hier trauen dem türkischen Militär überhaupt nicht. Ihre Forderung ist eher, die kurdische Selbstverwaltung und die kurdischen Kämpfer zu stärken, auch mit Waffenlieferungen, damit sie selbst mit dem IS fertig werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin