Linke und Schusswaffen: Antirassistischer Schützenverein

Wie zwei linke US-Aktivisten bei einem Treffen in Seattle ihr Waffentragen rechtfertigen. Und warum sie lieber Krankenversicherung für alle hätten.

Eine Person mit rosa Handtsche und Gewehr am Schießstand

in den USA gibt es mehrere John Brown Clubs, auch in Missouri, wo „Rob“ Mitglied ist Foto: Daniel Arnold/NYT/Redux/laif

SEATTLE taz | Da war dieser Aufmarsch von Dutzenden schwer bewaffneter Männer. Wochenlang besetzten sie 2016 den Malheur-Nationalpark in Oregon und schüchterten die Bewohner der umliegenden Orte ein. Das gab den letzten Ausschlag für „Tycho“: Der 31-Jährige besaß schon zuvor Schusswaffen und ging auf Schießstände. Aber nach der rechtsextremen Machtdemonstration wollte er seinem Hobby einen politischen Sinn geben: Er begann die Suche nach einem linken Schützenverein. „Ich bin nicht einverstanden damit, dass Männer mit Gewehren Schwarze und Schwule und Linke bedrohen und deren Existenzberechtigung bestreiten“, sagt er.

Tycho trägt eine Schirmmütze mit der Regenbogenfahne der LGBTQ-Bewegung – und mit einem Maschinengewehr. Er selbst bezeichnet sich als bi. Unter seinem T-Shirt zeichnet sich eine kugel­sichere Weste ab. Griffbereit am Körper, aber nicht sichtbar trägt er eine Schusswaffe. An dem Nachmittag, als er der taz ein Interview in einem Park in Seattle gibt, hat er eine Walther dabei. Den Namen der Pistole benutzt er ganz selbstverständlich.

Bevor Tycho in seine Heimatstadt Seattle zurückkam, lebte er mehrere Jahre in der Wüste in New Mexico. Dort begann er auf Blechbüchsen zu schießen. „Es gab sonst nichts zu tun“, sagt er. Aus der Langeweile wurde eine Sammlung. „Nicht genug“, ist die Mengenangabe, die er über seine Schusswaffen macht.

Auch der 32-jährige „Koff“ kommt bewaffnet zu dem Interview im Park. Die beiden Männer haben noch nie auf jemanden geschossen, sagen sie. Ihr Ziel sei es, „mit deeskalierenden Maßnahmen“ dafür zu sorgen, dass es dabei bleibe. Aber wenn sie ihre Häuser verlassen, nehmen sie fast immer Schusswaffen mit. Beide haben eine Lizenz des Bundesstaates Washington an der nördlichen Pazifikküste. Sie erlaubt es ihnen, versteckt Waffen zu tragen.

Keine Fotos

Tycho und Koff sind Mitglieder des „Puget Sound John Brown Gun Club“ (PSJBGC). Der Club versteht sich als „antifaschistische, antirassistische, Pro-Arbeiter- und Pro-Community-Verteidigungs-Organisation“. Seine Mitglieder tun etwas, wogegen ein großer Teil der US-amerikanischen Linken opponiert: Sie treten mit Schusswaffen auf, und sie versuchen, mehr Leute in den Umgang mit Schusswaffen einzuführen.

Koff und Tycho arbeiten für zwei der großen Hightechkonzerne in Seattle. Weil in den USA immer wieder Beschäftigte, die außerdienstlich an „kontroversen Aktivitäten“ teilnehmen, entlassen werden, wollen sie weder ihre richtigen Namen sagen noch wer ihre Arbeitgeber sind. Auch fotografiert werden möchten sie nicht.

Die übrigen Clubmitglieder sind laut Koff „Ärzte, Anwälte und Lehrer zwischen 20 und 50 Jahren“, Frauen und Männer, „weiße, schwarze, nahöstliche, Latino und chinesische Amerikaner“. Die Mitglieder der John Brown Clubs haben eine hie­rar­chie­freie Struktur, treffen sich am Schießstand, helfen als Ordner bei Demonstrationen und bieten kostenlos Kurse im Schießen und in anderen Formen der Selbstverteidigung an. Ihre Zielgruppe sind linke AktivistInnen, die sie vor Überfällen von rassistischen Gruppen beschützen wollen – darunter die „Proud Boys“ und „Identity ­Evropa“, die an der Westküste sehr präsent sind.

„Wir unterstützen Menschen, die in der Schusswaffenkultur unterrepräsentiert sind“, sagt Koff. „Alles, was wir tun, ist legal.“ Vage bleibt er, was die exakte Zahl der Mitglieder des Clubs angeht: „Mehrere Dutzend.“ Während der ersten Monate der Pandemie verhängte der Club eine Aufnahmesperre. Aber seit dem Beginn der neuen Antirassismusbewegung wächst das Interesse potenzieller neuer Mitglieder.

John Brown und die Sklaven

Der John Brown Club am Puget Sound ist aus einer anderen linken Schusswaffenorganisation hervorgegangen: „Redneck Revolt“. Die erstarkte, als auf der rechten Seite des US-amerikanischen Spektrums bewaffnete Männer gegen Barack Oba­ma und für die Tea Party demonstrierten. Rückblickend bereiteten die Rechten damals bereits das ideologische Terrain für den Aufstieg von Donald Trump vor. Die Linken benutzten in ihrem Namen das Schimpfwort „Redneck“ für hinterwäldlerische weiße Landbewohner aus dem Süden.

Am 4. Juli zogen zahlreiche bewaffnete und maskierte Demonstranten zum Stone Mountain in Georgia. An dem Granitfelsen befindet sich ein Relief führender Personen der Konföderierten Staaten – der Ort gilt als Geburtsort des modernen Ku-Klux-Klan. Die Demonstranten bezeichnen ihre Gruppe selbst als „Not Fucking Around Coalition“, es sind Schwarze Aktivist:innen, zum Teil äußern sie sich antisemitisch. Der Marsch verlief friedlich, Videos davon werden momentan vielfach in sozialen Medien geteilt.

Ähnlich wie der PSJBGC sieht sich auch die NFAC als antirassistische Organisation, die sich gegen White Supremacy stellt. Ein Mann, der der sich Grand Master Jay nennt und als Anführer der Gruppe sieht, bezeichnete gegenüber Newsweek die Gruppe als „Schwarze Miliz“. Alle Aktivisten seien Schwarz und ehemalige Soldaten, es bestehe kein Zusammenhang zwischen ihnen und den „Black Lives Matter“-Protesten. (taz)

Als lockerer Zusammenschluss bestand der John Brown Gun Club schon länger. Seine offizielle Gründung fand im ersten Amtsjahr von Trump im Weißen Haus statt. Namensgeber war der weiße Aboli­tio­nist John Brown, der im Jahr 1859 zusammen mit zwei Dutzend weißen und schwarzen Männern ein Waffenarsenal in Harpers Ferry im heutigen West Virginia stürmte. Er war nicht mit dem Pazifismus anderer weißer Abolitionisten einverstanden und wollte die Waffen an Sklaven verteilen. Browns Versuch endete in einem Blutbad. Knapp zwei Jahre nach seiner Hinrichtung begann der Bürgerkrieg, der zur Abschaffung der Sklaverei führte.

John Brown Clubs gibt es an mehreren Orten der USA. Sie verstehen sich alle als irgendwie links, sind aber unabhängig voneinander. An der Puget-Bucht waren mehrere jüdische Mitglieder unter den Clubgründern, sagt Koff. Er beschreibt es als eine Reaktion auf den Antisemitismus der örtlichen rechten Gruppen. „Wie in den 1930er Jahren in Deutschland machen sie auch heute in den USA Juden für ökonomische Ungerechtigkeiten verantwortlich“, sagt Koff. Freunde haben ihm gesagt, dass manches in den USA heute an die Weimarer Repu­blik erinnere. Koff stammt aus einer Einwandererfamilie aus China, ist in Pennsylvania aufgewachsen und hat schon als Teenager mit Vater und Mutter das Zielscheibenschießen gelernt.

Im Juni haben die BesetzerInnen des Stadtteils Capitol Hill in Seattle den John Brown Club um Unterstützung gebeten. Mehrfach patrouillierten auch Koff und Tycho um die acht innerstädtischen Blocks, um sie vor rechten Überfallen zu schützen. Als eine Gruppe von „Proud Boys“ mit Pistolen, die an ihren Gürteln baumelten, über das Gelände zogen, verfolgte Tycho das Geschehen aus der Distanz, um notfalls eingreifen zu können. Aber als in der Nacht zum 20. Juni ein junger Mann am Rand des besetzten Gebietes erschossen wurde und der – bislang nicht bestätigte – Verdacht aufkam, dahinter könnte eine interne Abrechnung stecken, zog sich der John Brown Club vom Capitol Hill zurück. „Wir wollen keine Polizeiarbeit machen“, sagt Koff, „uns geht es ausschließlich darum, die Community nach außen vor rechten Angriffen zu sichern.“

Keine Polizei!

Wenige Tage vor dem Interview hat er bei der Gedenkfeier für Charleena Lyles für Sicherheit gesorgt. Die 30-jährige Afroamerikanerin wurde im Juni 2017 in Anwesenheit ihrer drei Kinder in ihrer Wohnung in Seattle von der Polizei erschossen. Sie hatte einen Notruf wegen eines Einbruchs gesendet. Sekunden nach der Ankunft der beiden Polizisten war sie tot. Angeblich hatte die schwangere Frau ein Messer in der Hand. Bei der Gedenkfeier will ihre Familie keinen Polizeischutz haben.

Wenige Tage nach dem Interview geht Koff am 4. Juli bewaffnet zu einer Gedenkfeier für ein anderes Polizeiopfer. In Poulsbo gedenken Freunde und Angehörige des 39-jährigen Stonechild „Stoney“ Chiefstick, exakt ein Jahr nachdem Polizisten ihn erschossen haben. Angeblich hatte der als friedlich bekannte Native American zuvor Menschen mit einem Schraubenzieher bedroht.

Koff und Tycho verweisen darauf, dass Jahrzehnte vor ihnen schon die Black Panther bewaffnet auftraten. Und dass selbst Martin Luther King sich von den Bewaffneten der „Deacons for Defense and Justice“ begleiten ließ. Wenn sie über ihren Club sprechen, fallen gelegentlich dieselben Worte wie bei rechten Schusswaffenfreunden in den USA. Es geht um das „Recht auf Selbstvertei­digung“ und „patriotische Amerikaner“. Anders als rechte Schusswaffenträger verstehen die Mit­glieder des John Brown Club sich nicht als Miliz mit einer geschlossenen ideologischen Weltsicht. Umsturz­absichten haben sie nicht.

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Was der John Brown Club auch nicht hat, ist die Rückendeckung durch den US-Präsidenten. Trump hat – nachdem es bei einem rechten Aufmarsch in Charlottesville im Sommer 2017 eine Tote und mehrere Verletzte gab – die mit Fackeln marschierenden Neonazis und die Gegendemonstranten auf eine Ebene gestellt und von „guten Menschen auf beiden Seiten“ ­gesprochen.

Sollten Schusswaffen in den USA je unter stärkere Kontrolle kommen, würde Tycho „ein paar Protestbriefe an meine Abgeordneten“ schreiben. Aber eine „freie Krankenversicherung für alle“ wäre ihm wichtiger als Schusswaffen“. Sollte es eines Tages so weit kommen, „würde ich vielleicht als Hobby teure Computerteile sammeln“.

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