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Linke in Ost und WestNarziss Sahra, Priester Jürgen

Als Jürgen Elsässer noch den völkischen Nationalismus kritisierte, war Sahra Wagenknecht der Antifaschismus bereits egal. Erinnerungen an ein Podium.

Kontrahenten oder Partners in Crime: Jürgen Elsässer und Sahra Wagenknecht Foto: imago, dpa

I m Jahr 1993 nahm ich an einem Kongress teil. Die Zeitschrift Konkret hatte nach Hamburg gerufen. Angesichts der völkischen Offensive nach der Eingliederung der DDR in den westdeutschen Staatsverband sollten die Köpfe der radikaleren Linken über Gegenstrategien diskutieren. „Was tun?“, der Titel der Zusammenkunft, zitierte eine Schrift von Lenin. Ich fand mich als Vertreter des undogmatisch antifaschistischen Spektrums auf einem Podium mit Sahra Wagenknecht wieder.

Anfang der 1990er Jahre war ich von Frankfurt am Main nach Ostberlin gezogen. Die Lebenserfahrung von antiautoritären Ost- und Westlinken sollte in einem gemeinsamen Zentrum unterschiedlicher Initiativen gebündelt werden. Die Ostdissidenz hatte ihren Hauptsitz im Ostberliner LSD-Viertel in Prenzlauer Berg. Doch das komplizierte (Über)leben im autoritären SED-Staat hatte Spuren hinterlassen.

Zudem waren die konformistischen Massen der DDR im Vereinigungsprozess von DDR und BRD über sie und die Ideen einer alternativen Staatsform hinweggewalzt. Die Massen wollten den Arbeiter-und-Bauern-Staat (DDR) schnellstmöglich gegen D-Mark und Westkonsum eintauschen. Gegenrede unerwünscht.

In Hamburg saß ich dann auf diesem Podium mit Sahra Wagenknecht. 1969 geboren, in der DDR aufgewachsen, war sie in der SED und ihrer Nachfolgepartei PDS, später Die Linke. Die Phase nach der Vereinigung war geprägt von einer aggressiv völkisch-nationalistischen Stimmung. Vor allem in Ostdeutschland schien es lebensgefährlich, optisch politisch, sexuell oder ethnisch erkennbar einer Minderheit zugerechnet zu werden.

„Sozialistische Strategie“

Doch der jungen Sahra ging es schon damals nicht um Antifaschismus. Vielmehr um die Verteidigung ihrer fixen Idee. „Opposition im Kapitalismus setzt sozialistische Strategie voraus und ist ohne sie nicht zu haben“, sprach sie in Hamburg. Aufzeichnungen finden sich im Netz.

Narzisstisch und polarisierend auftretend, setzte sie auch hier noch einen drauf: „Die wichtigste antikapitalistische Kraft, die es in diesem Deutschland je gegeben hat, war die DDR, war die SED …“ Die Erinnerung an die DDR und deren Lebensalltag war allerdings noch viel zu präsent, als dass sie damit hätte politisch re­üssieren können.

Doch als un­beirrbar dunkelrot blinkende neostalinistische Ich-AG in PDS, Linker und im Free-TV sollte sie über die Jahrzehnte hinweg Querdenker links einsammeln. Wolf Biermann fasst den jetzigen Zuspruch ihres BSW (und der AfD) im Osten so zusammen: „Die, die zu feige waren in der Diktatur, rebellieren jetzt ohne Risiko gegen die Demokratie.“

Die Mehrheit in PDS und Linker stellte sich gegen Altstalinisten und DDR-Nostalgiker. Wagenknecht tat das nicht. Im Gegenteil. Sie bekämpfte das demokratische Reformlager. Und so, wie sie sich anschlussfähig für das antidemokratische Lager links zeigte, tut sie dies heute auch nach rechts.

Der Kreis schließt sich

Die Landesverbände der AfD in Sachsen oder Thüringen gelten als gesichert rechtsextrem. Sie propagieren Umsturz und Zerstörung der liberalen Demokratie, durchsetzt von völkisch orientierten Faschisten. Was empfiehlt da Wagenknecht? „Die Hysterie aus dem Umgang mit der AfD rauszunehmen.“ Demokratiefeindlichkeit, Chauvinismus, Proletkult und Russlandnähe – da scheinen sich die Ränder zu schließen.

Auf dem Konkret-Kongress 1993 in Hamburg sprach auch ein gewisser Jürgen Elsässer und grenzte sich gegen Faschismus und Stalinismus deutlich ab. Elsässer, heute Herausgeber des rechtsextremen Magazins Compact, kritisierte damals noch völkischen Nationalismus, Wohlstandschauvinismus und die damit einhergehende rassistische Gewalt in den 1990er Jahren.

Doch auch bei ihm stand da immer schon dieser rhetorische Dämon im Raum, „das kalte Gesicht des westlichen Kapitalismus“. Das verbindet, darunter taten es der antiimperialistische Jürgen und die neostalinistische Sahra nie. „Antikapitalismus“ als Chiffre für „Gegen-die-Demokratie“.

Biermann dürfte richtig­liegen, wenn er heute sagt: „Da wächst in der Ex-DDR zusammen, was zusammengehört: die Erben des Hitler’schen Nationalsozialismus und des Stalin’schen Nationalkommunismus.“

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Andreas Fanizadeh
Ressortleitung Kultur
Andreas Fanizadeh, geb. 1963 in St.Johann i.Pg. (Österreich). Kulturpolitischer Chefkorrespondent der taz. Von Oktober 2007 bis August 2024 Leiter des Kulturressorts der taz. War von 2000 bis 2007 Auslandsredakteur von „Die Wochenzeitung“ in Zürich. Arbeitete in den 1990ern in Berlin für den ID Verlag und die Edition ID-Archiv, gab dort u.a. die Zeitschrift "Die Beute" mit heraus. Studierte in Frankfurt/M. Germanistik und Politikwissenschaften.
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8 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Elsässer, der damals zu den Antideutschen gehörte und sich sowohl gegen völkischen Nationalismus als auch gegen westlichen Imperialismus aussprach, zeigte später, dass er beides nie ernst gemeint hatte.

    Heute ist Elsässer nicht nur Herausgeber der extremrechten Zeitung "Compact", sondern auch Berater rechter bis neofaschistischer Bewegungen. Seine Tipps: "Redet nicht über Soziales, redet über Volk und Nation!"

    Bei Wagenknecht ist es so, dass sie ebenfalls oft nicht gemeint hat, was sie nachgeplappert hat. Heute nimmt sie das Wort "Sozialismus" überhaupt nicht mehr in den Mund, sondern orientiert sich an Ludwig Erhard, dem alten CDU-Wirtschaftsminister unter dem überaus rechten Adenauer.

    In beiden Fällen kann man sagen: Sozialistisch waren beide nur solange, wie sie sich noch politisch orientieren mussten. Heute haben sich beide politisch selbst gefunden.

    Vielleicht sieht man an Elsässer und Wagenknecht aber auch, dass sich AfD und CDU in Wahrheit gar nicht so sehr unterscheiden, weil beide Parteien in ihrem Kern vor allem antisozialistisch verfasst sind.

    • @Uns Uwe:

      "Bei Wagenknecht ist es so, dass sie ebenfalls oft nicht gemeint hat, was sie nachgeplappert hat."



      Spätestens seit ihren Äußerungen zur Covid-Impfung war mir klar, dass sie - und ich halte sie sehr wohl für sehr intelligent - bewusst Bullshit erzählt.

      Danke für den Rückblick! Setzt doch so einiges in Relation und bringt mich auch selbst dazu, so einige Ansichten aus meiner Jugend in anderem Lichte zu sehen. Fand ich doch damals gerade Texte von Elsässer in konkret besonders überzeugend...

      • @Ringsle:

        das ist eine Fehleinschätzung der Sahra Wagenknecht: Sie plappert eben nicht nach, sondern weiss sehr wohl, was sie wann sagt und sie hat eine Mission! Ihre Wirkung beruht auf Integrität und Volksnähe, mit direkter Ansschlussfähigkeit zu deutschnationalen Positionen.

  • Ja, der konkret-Kongress 1993. Unvergessen Wolfgang Pohrt auf dem Podium. Die erste „Amtshandlung“ des Publikums: Rauchverbot für Pohrt, auf die dieser natürlich qualmend, mit stoisch verächtlicher Miene reagierte. Der neben ihm am Mikrophon stehenden schönen, von ihrer sozialistischen Mission erfüllten, Sarah schenkte er keinen Blick. Sie wirkte frisch aus der DDR importiert, ein wenig wie eine Konfirmandin mit Rosa-Luxemburg-Frisur, die intelligent und belesen ihr Glaubensbekenntnis predigt. Und Elsässer war damals noch Mitarbeiter der konkret-Redaktion, flog aber bald. Sarah und Jürgen gaben optisch ein schönes Paar ab, das in meiner Erinnerung auch zusammen eine kleine politische Schrift heraus gab. Irrungen und Wirrungen….: Elsässers Entwicklung zum Faschisten, Sarahs Entwicklung zur Führerin der idealisierten Unterdrückten und Ausgebeuteten….

  • Lang ist's her.

    Auf dem Konkret-Kongress in Hamburg war ich leider nicht. Dafür auf dem in Dresden.

    Dort saßen neben olle Gremliza, der Solitär Wolfgang Pohrt und der verdrehte Karl Held, von der MG, der Marxistischen Gruppe, die wir damals Magische Gruppe nannten, weil sie auf jede Frage eine Antwort hatte.

    Held relativierte den Holocaust, bis Pohrt genug hatte und ging. Gremliza stauchte daraufhin Held zusammen. Zurecht natürlich.

    Der Rest ist in der Senke des Vergessens verschwunden.

  • Danke, Andreas Fanizadeh! Gut beobachtet, Wolf Biermann!

    Wer kam in den Osten, wer bleibt, wer geht weg?*

    (*dpa 26.8.24) Die Schweiz bleibt das beliebteste Auswanderungsland der Deutschen in Europa. Rund 315960 deutsche Staatsbürgerinnen und -bürger hatten Anfang 2023 ihren Wohnsitz im Nachbarland, wie das Statistische Bundesamt in Wiesbaden mitteilte. Das waren 1,5 Prozent oder rund 4660 Menschen mehr als ein Jahr zuvor. Laut Angaben der Statistiker nimmt die Zahl der Deutschen mit Wohnsitz in der Schweiz seit Jahren zu.

  • Was soll man dazu sagen? Sehr gut auf den Punkt gebracht!

  • Biermann bringt es zweimal kurz & prägnant auf den Punkt. Chapeau!