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Linke Grüne zu Jamaika-Aus„Die Zerreißprobe bleibt uns erspart“

Die Berliner Abgeordnete Canan Bayram war nicht überrascht vom Jamaika-Ende. Sie kündigt eine Debatte über die Zugeständnisse der grünen Verhandler an.

„Deckel, Rahmen und andere unsägliche Wörter“: Canan Bayram, hier mit ihrem Vorgänger Christian Ströbele Foto: dpa
Bert Schulz
Interview von Bert Schulz

taz: Frau Bayram, die FDP hat die Jamaika-Sondierungen platzen lassen. Sind Sie erleichtert oder entgeistert?

Canan Bayram: Sagen wir mal so: Ich war nicht überrascht.

Also irgendwie doch erleichtert? Schließlich haben Sie schon im Vorfeld der Sondierungen gesagt, dass Sie eine Jamaika-Koalition nicht mitwählen werden. Jetzt kommen Sie erst gar nicht in diesen Gewissenskonflikt.

Das ist keine Kategorie für mich. Ich habe einfach bis zuletzt nicht geglaubt, dass es zu Jamaika kommt. Erleichtert würde ja heißen, dass ich es befürchtet hätte. Und selbst wenn es eine Einigung bei den Sondierungen gegeben hätte, hätte ich große Zweifel gehabt, ob dieses weite Entgegenkommen unserer Spitzenkandidaten überhaupt Rückhalt in der Partei gefunden hätte.

Es geht um höchst dehnbare Formulierungen wie etwa jene, dass eine Obergrenze für Geflüchtete von 200.000 als „atmender Rahmen“ gelten würde.

Richtig. „Deckel“, „Rahmen“ und andere unsägliche Wörter. Seitdem das jüngste Sondierungspapier geleakt wurde, ging in der Partei einiges ab. Deswegen war ich eher in der Stimmung: Hier wird das Unmögliche versucht und das wird nicht klappen.

Lag das an der FDP?

Zuletzt wurde in der Fraktion immer klarer, dass die FDP ein Unsicherheitsfaktor ist: Wenn wir über FDP-Positionen in der Innen- oder Rechtspolitik gesprochen haben, dann wurde oft gesagt, dass deren Position unklar sei. Aber es wurde deutlich, dass die Partei während ihrer parlamentarischen Auszeit in den letzten Jahren ihren national-liberalen Flügel gestärkt hat. Das erlebe ich auch als Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses bei der Berliner FDP.

Im Interview: Canan Bayram

Jahrgang 1966, ist die bundesweit einzige direkte gewählte grüne Bundestagsabgeordnete. Die Innenpolitikerin hat den früheren Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg von Christian Ströbele im September knapp gegen den Kandidaten der Linken verteidigen können.

Für die linken Grünen ist der Abbruch durch die FDP die beste Lösung: Jamaika kommt nicht, und die Schuld daran trifft die FDP und nicht die Grünen.

Das hat der Partei eine Zerreißprobe erspart. Der Bundesparteitag am Samstag wäre für viele sehr schwierig geworden. Aber die parteiinterne Auseinandersetzung wird dennoch in gewissen Teilen stattfinden. Es muss darüber geredet werden, inwieweit die grünen Verhandler ihr Mandat überschritten haben.

Sie kommen gerade aus einer Sitzung der grünen Fraktionslinken. Wie war dort die Stimmung?

Sagen wir so: Es gibt Klärungsbedarf, in vielerlei Hinsicht.

Jamaika hätte ja zur absurden Situation geführt, dass die Grünen im Bund mit konservativen Kräften regieren, im Land Berlin aber mit linken Kräften.

Für die rot-rot-grüne Koalition in Berlin wäre Jamaika eher ein Gegner gewesen.

Gerade aus einer Berliner Perspektive wären die Konflikte sehr hart gewesen. Ich sehe ja, welchen Anspruch wir an den Bund haben, um unsere rot-rot-grünen Projekte hier umzusetzen. Da wäre Jamaika eher ein Gegner als ein Partner gewesen.

Wie geht es Ihrer Meinung nach jetzt weiter im Bund?

Durch das Scheitern von Jamaika bekommt der Bundespräsident eine herausragende Rolle. Und dieser Präsident ist ja nicht irgendwer: Frank-Walter Steinmeier war mal Spitzenkandidat der SPD. Die Sozialdemokraten müssen jetzt für sich definieren, gegen welche Regierung sie künftig Opposition machen will. Das Grundgesetz macht es uns Abgeordneten nicht leicht, den Weg zu Neuwahlen zu finden. Wahrscheinlich ist also, dass es die aktuelle geschäftsführende Regierung erst mal weiter geben wird. Ich glaube, dass sich die Sozialdemokratie noch mal sehr eingehend mit ihrer Rolle in der aktuellen Konstellation beschäftigen muss – bei allem Verständnis für ihre Sehnsucht nach Opposition.

Was wäre mit einer Minderheitsregierung?

Noch vor Jamaika habe ich das auch mal als Idee erwähnt. Eine Variante wäre gewesen, CDU/CSU und FDP bilden die Regierung und man sucht wechselnde Mehrheiten. Aber in der jetzigen Situation wäre es ja nur die Union, die die Regierung bilden müsste.

Grüne und CDU/CSU haben sich in den Sondierungen doch gar nicht so schlecht verstanden …

Das war nicht mein Eindruck.

Sie glauben nicht, dass die beiden noch zusammen kommen können?

Es wurde uns in Fraktionssitzungen auch berichtet, dass es die CDU ist, die beim Klimaschutz bremst und die uns beim Thema Migration bis zum äußersten vorführen will. Nach dem Platzen der Sondierung haben alle über den geschimpft, der den Tisch verlassen hat. Aber man kann jetzt nicht sagen, dass es nur die FDP war, die alles verweigert hat. Das würde zu kurz greifen.

Zum Abschluss einen inhaltliche Frage: Was den in den Verhandlungen umstrittenen Familiennachzug von Flüchtlingen mit sogenanntem subsidiärem Schutz angeht, ist das Ende der Sondierung doch eine prima Sache. Die Aussetzung für zwei Jahre läuft ja wiederum im Frühjahr 2018 aus, oder?

Genau. Ab März. Das ist in Paragraf 104 des Aufenthaltsgesetz geregelt. Ich fand es beachtlich, dass unsere Verhandler gar nicht transportiert haben, dass es nicht darum geht, dass wir Grünen etwas wollen – nämlich den Familiennachzug. Sondern dass die anderen von uns wollten, dass wir unsere Zustimmung geben zur Verlängerung dieser menschenverachtenden Vorschrift – der Aussetzung des Familiennachzugs.

Die Vorschrift wird also auslaufen?

Auch die SPD hat gesagt, sie würden einer solchen Aussetzung nicht mehr zustimmen. Bei diesem Thema hat die Union im Bundestag wirklich nur die FDP und die AfD an ihrer Seite. Es wäre ein Tabubruch, wenn diese Vorschrift mit den Stimmen dieser drei Fraktionen verlängert würde.

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14 Kommentare

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  • Deutschland hat fast 10 Millionen Ausländer laut neuester Statistikdaten. Warum müssen jetzt noch mal weitere hinzu, weil nachrangig Geschützte niciht zurück zu ihren Familien wollen? Was ist daran "grün"? Ist es nachhaltig, um mal eine grüne Vokabel zu benutzen, einem Land mit Wohnungsnot, zu wenig Ärzten, zu wenig Kitas und zu wenig Lehrern immer mehr zuzumuten? Wer profitert davon am Ende? Sicher nicht sozial Schwache.

    • @Kapiert:

      Ich meine auch, dass wir über Nachteile bzw negative Seiten von Nachzug sprechen und hiernach gemeinsame (breite Mehrheiten) Lösungen müssen, sonst drohen wir im Innern zu zerreißen.

      Dogmatisch (aus rechtlicher Sicht) ist es mir ebenfalls ein Rätsel, nicht auch an Rückkehr der Inhaber dieses Schutzes in die Heimat zu denken.

      Familiennachzug klingt so schön unkompliziert und einleuchtend. An dem wäre so, wenn nicht weitere Rechtsinstitute greifen würden, zB bis hin zur s.g. Integrationsduldung, an welche weitere tatsächliche Aufenthaltsmöglichkeiten für Dritte (idR Kernfamilie) anknüpfen, oder die Niederlassungserlaubnis.

      Wenn Nachzug wirklich hieße, er wäre dem Zweck nach konsequent einige-

      und begrenzt, dann würden dem wohl auch mehr Menschen offen gegenüber stehen.

    • @Kapiert:

      Deutschland liegt mit 10% Ausländer ziemlich genau im Schnitt EU (z.T. auch weil es gar nicht so einfach ist "Deutsch" zu werden) Armut gegen Ausländer auszuspielen ist das AFD Argument. Tatsache ist und bleibt dass die grossen Einwanderungsströme (Tuerkei 60er und 70er) maßgebend zum Wohlstand in Deutschland beigetragen haben. Man kann grad den Grünen nicht wirklich vorwerfen dass die Umverteilung der Mittel (zu wenig Kitas und zu wenig Lehrern) nicht stattfindet - da waren andere am Werk ...

      • @Christophe THOMAS:

        Die Einwanderungswellen aus der Türkei und auch aus Südeuropa waren etwas ganz anderes. Da sind Leute direkt in Arbeit gegangen. Diese Leute wurden angeworben da hier ein Mangel an einfachen Arbeitern bestand. Diese Zeiten sind vorbei. Die jetzigen Einwanderungswellen sind extrem schwer in Arbeit zu bringen. Daher sind zusätzliche Mittel für Ärzte, Kitas, Leherer,... aufzubringen welche nicht von den Migranten erwirtschaftet werden können. Eines der Hauptprobleme wird aber wohl die Wohnungssituation sein. Deutschland ist ein Land in dem relativ wenige Leute eigene Wohnungen besitzen und zusätzlich in vielen Ballungsgebieten die Preise extrem steigen, bei einer zusätzlichen Nachfrage von den jetzigen Migranten steigt daher selbstverständlich die Miete. Dies ist ein Preis den eben die Mittleren und Unteren Einkommen zu tragen haben, da sehr viele dieser keine eigenen Wohnungen besitzen.

  • Also ein Familiennachzug für abgelehnte Asylbewerber ("Subsidiäre") ist eine ziemlich verrückte Regelung. Darauf zu insistieren ist einfach unvernünftig, nicht nachhaltig und kostet Milliarden.

     

    Vor allen Dingen habe ich keine Lust, wenn nach 5 Jahren Jameika die Rechten noch stärker da stehen.

    • @Ansgar Reb:

      Ihre “Subsidiären“ sind, sagen wir, nur mittelbar abgelehnte Asylbewerber. Den Begriff sollte man nicht verengen, schon gar nicht politisch oder taktisch.

      Ihren Worten folgend wären gleichfalls Flüchtlinge gemäß Genfer Konvention abgelehnte Asylbewerber, weil sie nicht dem Worte nach unter Art. 16 a Absatz 1 GG fallen könnten.

  • Zu schade, dass in der Partei nicht schon "einiges abging", als die grünen Verhandler gleich mal die Reichensteuer aufgegeben haben. Aber klar, die war ja eh halbherzig beschlossen und schwammigst formuliert worden...

  • Die Grünen sollten mal darüber nachdenken, ob es nicht besser wäre, wenn sie widerwillig und mit Skrupeln etwas tun würden, was ansonsten andere begeistert und ohne Skrupel tun werden.

     

    Zumal Dinge wie die verflixte "Obergrenze" ja auch Handlungsmöglichkeiten eröffnen: Man könnte die Zustimmung dazu von einer klaren Einwanderungsgesetzgebung diesseits von Asyl abhängig machen.

    • @Mustardman:

      Haben sie doch gemacht. Wochenlang. Bei vielen Themen.

    • 8G
      81331 (Profil gelöscht)
      @Mustardman:

      ...oder das Dosenpfand ; )

    • 3G
      39167 (Profil gelöscht)
      @Mustardman:

      Ich kann Ihnen nur zustimmen!

      Obergrenze? Familiennachzug?

      Ich hätte gerne einmal Lösungen für diese Forderungen.

      Wie soll das gehen mit Wohnungen, Lehrern etc etc.

      Altersarmut, Rente, Kinderarmut?

      Etwas gehört davon in den Verhandlungen von den unterschiedlich Farbigen?

      Es gibt viele Probleme zu lösen. Die Festlegung auf ein Thema "Familiennachzug" hat die Menschen, jedenfalls aus meinem Umfeld, mehr als genervt.

  • Mit einem Herrn Trittin in Koalitionsverhandlungen hat es noch nie eine Lösung gegeben. Bei Neuwahlen werden die Linken wegen ihrer Haltung zur Migrationsfrage keinen Blumentopf mehr gewinnen. Die AfD wird noch mehr zulegen, wollen wir das wirklich ?

    • 4G
      41069 (Profil gelöscht)
      @Klartexter:

      Wir wollen eine andere Politik und die AFDP müssen wir kleinhalten und nicht deren menschenverachtende Positionen zu eigen machen.

    • 8G
      81331 (Profil gelöscht)
      @Klartexter:

      ...ja, das wollen wir. Denn, es waren nicht "die Linken", die die AfD so stark gemacht haben.